Anna Ernst, Bereichsleiterin Krisenmanagement und Nothilfe bei der Johanniter-Unfall-Hilfe, berichtet, wie die Situation in den betroffenen Gebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mehr als zwei Monate nach der Katastrophe ist, wie die Spendengelder zum Einsatz kommen und was es für die Zukunft braucht.
Aktion Deutschland Hilft: Die Bilder von der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gingen im Juli um die Welt. Das Unwetter hinterließ vielerorts eine Spur der Verwüstung und fast 200 Menschen verloren ihr Leben. Sie sind mit den Johannitern an den besonders betroffenen Orten im Einsatz. Wie ist die Lage vor Ort und was benötigen die Menschen gerade besonders?
Anna Ernst: Unsere Helferinnen und Helfer waren von dem Ausmaß der Zerstörung und dem Leid der Betroffenen erschüttert: Ganze Orte, Straßenzüge, Brücken, aber auch Geschäfte, Schulen, Kindergärten und Gesundheitseinrichtungen liegen in Trümmern. Viele Familien haben alles verloren.
Die Betroffenen haben akuten finanziellen Unterstützungsbedarf, um das alltägliche Leben zu finanzieren und teilweise sehr kurzfristig Neuanschaffungen zu tätigen. Für sie steht die Frage im Raum, wie es weitergeht und wie sie die optimale Unterstützung beim Wiederaufbau ihrer Häuser erhalten können. Es gibt großen Beratungs- und Gesprächsbedarf, denn die Leute sind natürlich verzweifelt.
Wo und wie helfen Sie mit den Johannitern gerade konkret?
Wir haben, wie andere Mitgliedsorganisationen von Aktion Deutschland Hilft auch, finanzielle Soforthilfe geleistet. Auf Antrag und Prüfung haben die Menschen unkompliziert Mittel erhalten. Wir besorgen und verteilen auch in großem Maßstab Haushaltsgegenstände wie beispielsweise Werkzeuge, Heiztrockner und Waschmaschinen, die vor Ort benötigt werden.
Die Hilfen richten sich generell nach den Bedarfen der Menschen vor Ort und werden mit den zuständigen Behörden und Partnerorganisationen abgestimmt. So unterstützen wir derzeit die Betroffenen beispielsweise mit Betreuungsangeboten.
Wir haben Kinderbetreuungsangebote eingerichtet und unterstützen bei der Betreuung von Seniorinnen und Senioren. In Dernau haben wir auch einen ständigen Sanitätsdienst zur medizinischen Erstversorgung eingerichtet.
Parallel bereiten wir die langfristige Hilfe vor, um Familien und Haushalte über Einzelfallhilfen beim Wiederaufbau zu unterstützen. Dafür wird gerade die Gesetzesgrundlage geschaffen und wir hoffen, dass wir hier sehr bald aktiv werden können.
Eine sorgsame Planung ist im Sinne der nachhaltigen Umsetzung der Spendengelder sehr wichtig. Dass wir in vielfacher Hinsicht an den Erfahrungen aus den Hochwasserkatastrophen 2002 und 2013 anknüpfen können, ist dabei ein großer Vorteil.
Wie unterscheidet sich die hierzulande geleistete Hilfe von jener bei Flutkatastrophen im Ausland?
Helferinnen und Helfer berichteten, dass sie sich in der Soforthilfephase an Einsätze im Ausland erinnert fühlten. Die komplette Zerstörung ganzer Orte ist ein Bild, das viele leider aus Auslandseinsätzen kennen.
Auch die großartige Hilfe der Menschen vor Ort und die Selbsthilfe kennen wir von Auslandseinsätzen, ebenso wie den großen Koordinierungsaufwand zwischen den lokalen Akteuren und Behörden sowie den Hilfsorganisationen.
In Deutschland haben wir jedoch vor Ort ganz andere Ressourcen und Hilfestrukturen, während die Hilfe in vielen Krisenländern beispielsweise durch Einsatzkräfte und Hilfsgüter aus dem Ausland unterstützt werden muss.
Was kann getan werden bzw. was tun Sie, um derartigen Katastrophen künftig vorzubeugen? Hilft Ihnen hier die Erfahrung aus den Auslandseinsätzen?
Wir haben in Deutschland einen guten Bevölkerungsschutz, der im Wesentlichen von Tausenden ehrenamtlichen und bestens qualifizierten Einsatzkräften getragen wird. Gleichzeitig begrüßen wir die derzeitigen Diskussionen und Aktivitäten zur Stärkung des Bevölkerungsschutzes und bringen uns mit unseren Erfahrungen gerne ein.
Wir können aus den Herausforderungen der letzten Jahre, so der Flüchtlingslage 2015/16, der Flutkatastrophe und der Corona-Pandemie viele Erkenntnisse ziehen und sollten die Chance nutzen, jetzt globale Entwicklungen wie den Klimawandel einzubeziehen.
Fragen, die sich hier stellen, sind zum Beispiel: Wie kann die Hilfe in überregionalen oder gar bundeweiten Lagen bestmöglich koordiniert werden? Wie können wir Menschen besser in die Katastrophenvorsorge einbinden und den Selbstschutz stärken? In diesem Bereich gibt es in der Auslandshilfe bereits viele Erfahrungen, von denen wir auch im Inland profitieren können.
+++ Spendenaufruf +++
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