Tanja Rerich ist bei Aktion Deutschland Hilft Referentin für die Hochwasserhilfe. Sie hat Hilfsprojekte der Bündnisorganisationen in Rheinland-Pfalz und NRW besucht und spricht im Interview über die aktuelle Lage in den Flutgebieten.
Aktion Deutschland Hilft: Sie waren vor kurzem vor Ort. Welche persönlichen Eindrücke nehmen Sie, knapp ein Jahr nach der Flutkatastrophe, mit?
Tanja Rerich: Auf unserer Reise besuchten wir Projekte in Gebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, sodass wir uns einen guten Überblick verschaffen konnten. Für mich persönlich war es wichtig zu sehen, dass sich das Hochwassergebiet über mehr als nur das Ahrtal erstreckt.
Die Auswirkungen, aber auch die Hilfsmaßnahmen sind daher sehr vielfältig. Es ist gut zu sehen, dass Aufbauarbeiten vorangehen, dass unsere Hilfsprojekte die Menschen vor Ort unterstützen. Besonders beeindruckt haben mich die Menschen, mit denen ich im Gespräch war.
Seit Tag eins waren die Helfer:innen unserer Bündnisorganisationen, die vielen freiwilligen Helfer:innen aber auch die selbst betroffenen Menschen vor Ort im Einsatz. Jede und jeder hat eine persönliche Geschichte, und die Bereitschaft diese Geschichte mit uns zu teilen, fand ich bemerkenswert.
Aber das wirklich Beeindruckende ist, dass der Blick nach vorn und die Zusammenarbeit in der Gemeinschaft allen Beteiligten mehr Kraft gibt als das Hadern mit den Aspekten, die vielleicht noch nicht gut laufen. Sich gegenseitig Kraft geben aus der Gemeinschaft heraus, das ist etwas, was ich für mich als wichtigen Eindruck mitgenommen habe.
Wie sieht die Situation in den betroffenen Gebieten aktuell aus?
Es gibt immer noch Regionen wie Dernau oder Bad Münstereifel, die mit Blick auf die zerstörte Infrastruktur und die vielen betroffenen Gebäude noch ganz am Anfang des Wiederaufbaus stehen. Wir haben mit vielen Betroffenen gesprochen, bei denen erst jetzt langsam klar wird, was zum Beispiel mit den Häusern passiert. Wir haben aber auch schon Regionen gesehen, in denen es sichtbar vorangeht. Neben all den wichtigen sichtbaren Hilfen, ist aber auch die Unterstützung wichtig, die nicht auf den ersten Blick zu sehen ist.
Wir haben viele Menschen erlebt, die erst jetzt die starke Traumatisierung wahrnehmen, wenn es beispielsweise wieder anfängt zu regen und zu stürmen. Daher ist uns ganz besonders deutlich geworden, dass Menschen nicht nur materielle Hilfe benötigen, sondern auch Unterstützung in Form von psychosozialen Angeboten, Beratungsangeboten, kulturellen Angeboten. Geschützte Räume, in denen sie sich mit anderen treffen und austauschen können. Die Bedeutung dieser Maßnahmen wird oftmals unterschätzt.
Wie geht die Wiederaufbauphase voran?
Unser Besuch hat gezeigt, dass wir uns gerade erst am Anfang der Wiederaufbauphase befinden. Wiederaufbau muss durchdacht geschehen. Neben all den rechtlichen Aspekten und Hindernissen müssen auch die Angebote, die durch unsere Bündnisorganisationen geschaffen werden, an den Bedarfen vor Ort ausgerichtet werden. Daher haben sich die Projekte vor Ort etwas gewandelt. Zu Beginn standen die Rettung von Menschenleben, Aufräumarbeiten und kurzfristige Lösungen im Fokus.
Jetzt geht es stärker um die Unterstützung und Begleitung der Menschen vor Ort. Es ist wichtig, dass sich niemand allein gelassen oder vergessen fühlt. Beratungsangebote werden weiter wichtig sein, Angebote für gemeinschaftliche Aktivitäten sind ebenso wichtig, um auch wieder schöne gemeinsame Momente zu erleben, die Kraft geben. Daher bin ich sehr dankbar dafür, dass unsere Bündnisorganisationen auf so vielfältige Weise vor Ort helfen, sei es mit finanzieller Unterstützung, Tiny Houses als Übergangs-Wohnlösung, dem Hebammenmobil oder psychosozialer Hilfe.
Welche aktuellen Herausforderungen bei der Hilfe vor Ort zeigen sich?
Neben den rechtlichen Herausforderungen, die den Wiederaufbau ganz besonders prägen und gestalten, stellen auch die unterschiedlichen Bedarfe vor Ort eine große Herausforderung dar. Familien benötigen andere Unterstützung als Senior:innen, Schulen, Kita, Vereine und andere Initiativen haben wiederum andere Bereiche, in denen sie Hilfe benötigen.
Es ist daher wichtig, allen Menschen ein für ihre Bedürfnisse passendes Angebot zu machen, alle dort abzuholen, wo sie sich gerade im Wiederaufbauprozess befinden und sie nicht allein zu lassen. Die Herausforderung wird auf Dauer vor allem darin bestehen, immer wieder eine Perspektive aufzuzeigen, wie es weitergehen kann.
Was wird benötigt, um die Hilfeleistungen vor Ort verbessern zu können?
Es ist wichtig, dass die Zusammenarbeit aller vor Ort agierenden Helfer:innen in Hilfsorganisationen, Vereinen, Initiativen oder aus Kommunen und Gemeinden, noch stärker vernetzt wird. So kann sichergestellt werden, dass alle nach ihren Fähigkeiten und Stärken Hilfe dort leisten, wo sie benötigt wird und niemand doppelt arbeitet. Kommunikation, Verständnis füreinander und Zusammenarbeit, das sind die Schlagworte. Im Prinzip genau das, wofür auch unser Bündnis steht: koordiniert, gemeinsam helfen.
Wie wird die Hilfeleistung in den nächsten Monaten und Jahren aussehen?
Von Seiten der Bündnisorganisationen wird sich die Hilfe neben der finanziellen Wiederaufbauhilfe unter anderem auf psychosoziale Angebote, Beratungsangebote, Unterstützung von sozialen Einrichtungen konzentrieren.
Im vergangenen Jahr hat man gemerkt, wie schnell sich die Rahmenbedingungen vor Ort verändern können. Wir müssen schauen, was konkret vor Ort gebraucht wird. Denn nicht jede Region, nicht jede Gemeinde hat dieselben Bedürfnisse und Baustellen. Hier wird ein langfristiger Austausch mit allen Beteiligten vor Ort von Nöten sein, um zielgerichtet zu helfen.
Was genau kann die Betroffenen in dieser Phase unterstützen?
Zum einen ist die Unterstützung durch staatliche Hilfen sehr wichtig. Mit Blick auf die Arbeit unserer Bündnisorganisationen ist es wichtig, dass die betroffenen Menschen ein Unterstützungsangebot erhalten, welches leicht zugänglich ist und ihre Bedarfe abdeckt. Die klare Kommunikation, welche Hilfsprojekte es in den unterschiedlichen Bereichen gibt, ist darüber hinaus sehr wichtig. Denn wenn ich nicht weiß, was es gibt, kann ich auch nicht gezielt Hilfe einholen.
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