von Aktion Deutschland Hilft
Humanitäre Hilfe in Kriegs- und Krisengebieten stellt Nichtregierungsorganisationen vor besondere Herausforderungen. Wie Menschen, deren Existenz akut bedroht ist, trotz schwieriger Rahmenbedingungen Hilfe erfahren, erklärt Caroline Klein im Interview.
Sie ist Abteilungsleiterin für humanitäre Hilfe und Projektentwicklung bei unserer Bündnisorganisation World Vision.
Aktion Deutschland Hilft: Der Zugang zu Kriegs- und Krisengebieten ist häufig ein Problem. Wie lösen Sie das?
Caroline Klein: Die Lösung können humanitäre Korridore sein. Oder die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren. In der Ukraine zum Beispiel haben wir Vorratslager mit genügend Gütern in einem Gesundheitszentrum, sodass die lokalen Helfer:innen weiterarbeiten können, auch wenn wir tage- oder wochenlang keinen Zugang von außen zu einer Region haben.
Das Beispiel zeigt, wie wichtig die Unterstützung durch lokale Mitarbeitende ist, die sehr gute Kenntnisse der Region und Sprache haben und die oft auch leichter Zugang zu spezifischen Gemeinden bekommen.
Im Falle der Ukraine wird diskutiert, ob ein "Wiederaufbau light" jetzt schon sinnvoll ist. Wie stehen Sie dazu?
Grundsätzlich muss man eruieren, ob der Wiederaufbau von Infrastruktur (Schulen, Märkte, Gesundheitsstationen etc.) ein zusätzliches Sicherheitsrisiko darstellt. Große Menschenmassen, die an solchen Orten zusammenströmen, könnten ja für Konfliktparteien interessant sein.
Andererseits gibt der Wiederaufbau von Infrastruktur, beispielsweise die Rückkehr der Kinder in ihre Schulen, den Menschen ein Stück Normalität zurück und stärkt ihre Resilienz – immer natürlich unter der Prämisse, dass die Sicherheit gewährleistet ist. Wichtig ist, den Projekten, wenn möglich, Komponenten der Friedensarbeit zuzufügen. Und: Es gilt der Grundsatz build back better!
Die Mittel reichen in der Regel nicht für alle Menschen, die man eigentlich versorgen müsste. Wie gehen Sie vor Ort konkret vor?
Für uns ist zunächst die Bedarfsermittlung vor Ort wichtig: Wie ist die Lage beispielsweise für ältere Menschen? Welche Besonderheiten gibt es vor Ort? So leben im Südsudan viele kinderreiche Familien, das muss man berücksichtigen. Eine Priorisierung vorzunehmen, um die Bedürftigsten zu versorgen, ist wichtig. Denn wir können mit den vorhandenen finanziellen Mitteln die Bedarfe tatsächlich nicht komplett decken.
Wir beziehen die Vertreter der Gemeinden in diese Priorisierung mit ein, auch um Verständnis dafür zu wecken. In Flüchtlingscamps arbeiten wir mit den gewählten Vertretern der Flüchtlinge, mit den Vereinten Nationen als Camp-Verwaltung und mit staatlichen Behörden zusammen, um Hilfsangebote nicht zu doppeln und um zu sehen, was genau noch fehlt.
Was tun Sie für die Sicherheit der Menschen, wenn Sie vor Ort Güter verteilen?
Essens- oder Hilfsgüterverteilungen führen wir nur noch durch, wenn es keine andere Option vor Ort gibt. Ansonsten folgen wir der Grundidee, die auch im Grand Bargain festgelegt wurde, die Menschen mit Bargeld zu unterstützen. So können sie selbstbestimmt besorgen, was ihre Familie am dringendsten braucht.
Wenn wir aber doch eine Essens- oder Hilfsgüterverteilung durchführen müssen, dann nach bestimmten Regeln: Die Repräsentanten der Begünstigten sind involviert und einverstanden, und die Art der Güter ist mit den humanitären Akteuren abgestimmt. Der Ort der Verteilung wird aus Sicherheitsgründen nicht zu früh bekanntgegeben und die Begünstigten werden vorher registriert.
Bei der Verteilung selbst wird die Registrierung nur noch kontrolliert. Wenn wir Frauen erreichen wollen, legen wir die Verteilung nicht auf die Abendstunden. Besondere Bedarfe sowie Zugangsschwierigkeiten – wie für Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen – werden berücksichtigt. Durch all diese Vorkehrungen schützen wir die Betroffenen und vermeiden stundenlanges Anstehen.
Und wie steht es um die Sicherheit der Begünstigten bei anderen Projektaktivitäten?
World Vision arbeitet nach den Sphere-Standards zur Verbesserung der humanitären Nothilfe und natürlich nach dem do-no-harm-Prinzip. Das bedeutet beispielsweise, dass wir in einem Land, in dem es Kindersoldaten gibt, nicht 100 Kinder ungeschützt zu einer Projektaktivität zusammentrommeln. Sonst würden wir die Kinder unter Umständen nicht vor Zwangsrekrutierung schützen.
Sind Hilfsorganisationen tatsächlich dort tätig, wo die drängendsten Bedarfe sind? Oder vor allem dort, wo man die Menschen am einfachsten erreicht?
Wir versuchen immer, uns auf die größten Bedarfe zu fokussieren. Das bedeutet auch, dass wir die Ortschaften, die nicht einfach zu erreichen sind, natürlich erreichen wollen. Dafür reduzieren wir manchmal unsere Sichtbarkeit als Organisation, indem wir keine Logos verwenden und Autos mieten anstatt unsere zu benutzen.
In einigen Ortschaften eruieren wir stündlich die Sicherheitssituation. Und wenn wir die Orte dann schließlich erreichen, sorgen wir dafür, dass die Gesundheitszentren ausreichende Medikamentenvorräte haben, wie in Afghanistan oder im Sudan.
Inwieweit verändert sich humanitäre Hilfe?
Es wird nicht einfacher! Vor Jahren war humanitäre Hilfe limitiert und gestückelt. Heute sind humanitäre Krisen komplexer, dauern länger und Konflikte überlagern sich. Vor allem die Klimaschäden im Globalen Süden gewinnen an Gewicht, und die Folgen langanhaltender Flüchtlingsströme sind gravierend.
Da reicht es nicht, im Falle einer humanitären Krise etwas water trucking zu machen, also Trinkwasser bereitzustellen. Da sind auch Infrastrukturmaßnahmen nötig, z. B. der Bau von Brunnen. NGOs sehen langfristige Maßnahmen als zunehmend notwendig an, um den impact für die Begünstigten zu verbessern.
Welche Wünsche haben Sie an nationale und internationale Akteure in der Politik?
Wir plädieren dafür, dass die gerade beschriebenen neuen Bedarfe nicht zu Lasten der bisherigen humanitären Hilfe gehen. Wir spüren, dass beispielsweise der Krieg in der Ukraine starke negative Folgen für Ostafrika hat – durch die enormen Preissteigerungen und durch die Verschiebung der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit.
Und: Für uns ist es wichtig, eine humanitäre Anwaltschaft zu haben, die nicht nur die Sicherheit der Helfer:innen gewährleistet, sondern auch die Sicherheit der Projekt-Implementierung. So war es wegen der Sanktionen in Afghanistan schwer, Bargeld zu transferieren. Da müssen Banksysteme und Regularien so flexibel gestaltet sein, dass Hilfe gut möglich ist. Die UN-Resolution 2664 regelt das, ist aber noch nicht in deutsches Recht umgewandelt.
Deutschland ist der zweitgrößte Geber für humanitäre Hilfe nach den USA. Ist damit alles gut? Haben wir damit unsere Pflicht erfüllt?
Es ist tatsächlich gut, dass Deutschland international der zweitgrößte Geber ist. Doch die Mittel, die die Nichtregierungsorganisationen erhalten, sind sehr gering: Im vergangenen Jahr gingen nur elf Prozent der Mittel für humanitäre Hilfe aus dem Auswärtigen Amt an NGOs.
Den Rest erhielten UN-Organisationen wie z.B. UNICEF. Das verstehen wir, zugleich sehen wir den Mehrwert von NGOs: große Reichweite in abgelegenen Regionen, verstärkte Einbeziehung lokaler Partnerorganisationen. Es wäre wünschenswert, dass das mehr berücksichtigt wird.
+++ Spendenaufruf +++
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