von Aktion Deutschland Hilft
Interview mit Sebastian Schneider
Als die Balkanroute Anfang 2016 plötzlich geschlossen wurde, strandeten tausende Flüchtlinge in den Städten Griechenlands. Vor kurzem hat der Journalist Sebastian Schneider sich die aktuelle Situation angesehen.
Schneider wurde 2018 als einer von sechs Kandidaten für den "Journalistenpreis Humanitäre Hilfe" nominiert. Im Interview spricht er über seine Eindrücke und Erlebnisse und über die Herausforderung, in Griechenland als Reporter tätig zu sein.
Aktion Deutschland Hilft: Herr Schneider, Sie haben sich für den „Journalistenpreis Humanitäre Hilfe“ beworben und gehören jetzt zu den sechs nominierten Journalisten. Aus welcher Motivation heraus haben Sie sich beworben?
Sebastian Schneider: Ich bin am liebsten Reporter und will nah ran. Dorthin, wo sich große Zusammenhänge an den Schicksalen von Betroffenen konkret erzählen lassen. Flucht, Vertreibung und ihre Folgen sind DAS beherrschende Thema dieser Zeit. Als Journalist habe ich es bisher aber nur aus der Berliner Perspektive begleiten können – zum Beispiel als ich während des Chaos‘ vor der Erstaufnahmestelle in der Turmstraße mit Geflüchteten geredet habe, die dort tagelang in der Hitze warten mussten.
Mich hat jetzt die Möglichkeit gereizt, eine andere Perspektive kennenzulernen und näher an den Ausgangspunkt dieser Humanitären Krise zu kommen, um sie zu verstehen. So eine Chance kriegt man als freier Journalist nur selten.
Mit Ihrer Nominierung haben Sie nicht nur erfahren, dass Sie Hilfsprojekte von Help und dem ASB besuchen werden, sondern auch, dass es nach Griechenland gehen wird. Was waren Ihre ersten Gedanken?
Ich habe mich gefreut, aber gleichzeitig hatte ich auch Respekt vor der Aufgabe. Die Situation von Geflüchteten in Griechenland, verbunden mit dem Deal zwischen Deutschland und der Türkei, ist gefühlt Dauerthema. Ich habe den Eindruck, dass es deshalb im medialen Grundrauschen inzwischen untergeht, weil so viel berichtet wurde. Der nächste Gedanke war, dass ich es genau deshalb gut finde, jetzt dorthin zu fahren – es wird eine Herausforderung, in Griechenland Reportagen zu machen, die auffallen und zeigen, warum uns die Lage dort immer noch alle angeht.
Im Februar nominiert, Ende Mai verreist – viele Ereignisse in kürzester Zeit. Wie haben Sie sich auf Ihre Reise vorbereitet?
Ich musste mir erstmal ein Bild machen, weil die Lage in Griechenland so komplex ist und so viele verschiedene Interessen aufeinanderprallen - anders, als zum Beispiel bei einer Naturkatastrophe und der anschließenden Aufbauhilfe. Also habe ich gelesen, was ich in die Finger kriegen konnte: Offizielle Lageberichte der Organisationen, aber auch viele Artikel aus den Pressearchiven und Fachaufsätze. Dabei haben mich auch der ASB und Help unterstützt, es wurde keine Info zurückgehalten und jede Frage beantwortet. Mit diesem Vorwissen bin ich dann auf befreundete Journalisten zugegangen, die sich auskannten und selber schon aus Camps in Griechenland berichtet hatten. Schließlich gab‘s noch ein Hintergrundgespräch im Auswärtigen Amt, das mir nochmal die deutsche Perspektive vermittelt hat.
Wenn ich zukünftigen Kandidaten einen Tipp geben kann: Sobald Ihr Ansprechpartner in einem Projekt wisst, das Ihr besuchen werdet, ruft an. Stellt Euch vor, erklärt, was genau Ihr vorhabt und was Ihr an Ausrüstung mitbringen werdet. Dann können sie die Bewohner vorwarnen und Vorbehalte abbauen. Man darf nicht unterschätzen, dass man da erstmal als Eindringling rüberkommt und die Leute eingeschüchtert sind. Dass ich mit der Leiterin vorab gesprochen habe, hat mir jedenfalls in einem Haus für Frauen und Kinder in Athen sehr geholfen.
Sebastian Schneider in Griechenland: Klicken Sie sich durch die Bildergalerie (4 Bilder)
Nach Stationen wie Johannesburg, Buenos Aires oder Washington D.C. führte ihre journalistische Arbeit Sie jetzt ins europäische Griechenland. Haben Sie hier noch einmal neue Erfahrungen gemacht?
Natürlich, ich war ja das erste Mal als Journalist dort, auch über humanitäre Krisen habe ich vorher noch nie berichtet. Die sieben Tage waren so vollgepackt, dass man permanent reflektieren musste, was man gerade gesehen und in einem Gespräch gehört hat. Oft hab ich auch meinem Urteil nicht über den Weg getraut, weil ich mich noch nicht sicher genug fühlte. Deshalb habe ich dann abends im Hotel versucht, so viel Hintergrundwissen wie möglich im Netz zu kriegen. Gegen Ende der Woche hatte ich allmählich das Gefühl, die Probleme durchdrungen zu haben, weil sich vieles wiederholt hat. Dieses erarbeitete Selbstbewusstsein war eine tolle Erfahrung.
Was mich sehr überrascht hat, war die Abwehrhaltung der griechischen Behörden. Obwohl mein Besuch lange angekündigt und abgeklärt war, wurde versucht, meine Arbeit einzuschränken. Offiziell durfte ich plötzlich nicht mehr in die meisten Camps und wenn, dann ohne Foto- oder Filmerlaubnis - was angesichts der Aufgabenstellung für den Journalistenpreis natürlich sinnlos war. Meine Fragen wurden ebenfalls nicht beantwortet. Das habe ich vorher noch nie erlebt, auch nicht in Südafrika oder Argentinien. Ich bin dann trotzdem in die Camps gefahren und habe berichtet.
Griechenland ist aktuell Schnittpunkt gleich mehrerer Krisen. Wie haben Sie die Situation erlebt?
Leider als deprimierend. Die Wirtschaftskrise hat das Land immer noch fest im Griff, das sagt dir auf der Straße jeder, mit dem du dich unterhältst - wirkliche Besserung ist nicht in Sicht. Also sollen die Griechen ihre maroden Finanzen sanieren, die Arbeitslosigkeit senken. Gleichzeitig wird von ihnen gefordert, so viele Flüchtlinge wie möglich von der EU fernzuhalten und zu integrieren, schließlich bekommen sie ja genug Geld dafür, so sehen es die Verantwortlichen in Brüssel und Berlin. Das kann meiner Meinung nach nicht funktionieren. Auf der anderen Seite gibt es eine irrsinnige Bürokratie und keine funktionierende Planung seitens der griechischen Behörden, wirkliches Chaos. Leidtragende von all dem sind die Geflüchteten in den Camps.
Gibt es eine spezielle Begegnung, die Sie ganz besonders in Erinnerung behalten werden?
Die Frauen im Mosaico House in Athen, von denen manche mit ihren Kindern tausende Kilometer vor ihren prügelnden Ehemännern geflohen sind. Jetzt lernen sie Englisch, Griechisch und Deutsch und ihre Kinder gehen in der gleichen Straße zur Schule. Wie stark sie waren, wie sie trotzdem nach vorne geschaut haben, hat mich beeindruckt. Aber auch die Frauen der NGO Omnes in Kilkis bei Thessaloniki fand ich ermutigend. Die haben 2015 aus dem Nichts eine Hilfsorganisation aufgebaut, ohne Unterstützung von oben, nur mit Leuten vor Ort. Heute betreuen sie knapp 600 Geflüchtete in Wohnungen in der ganzen Stadt. Sie binden die Menschen viel mehr ein und wissen deshalb mehr über ihre Bedürfnisse. Wir haben uns stundenlang unterhalten und fast nie haben sie dabei von Problemen geredet, die sie aufhalten - sondern eigentlich nur von ihren Ideen und Plänen.
Welche Eindrücke und Erlebnisse nehmen Sie ganz besonders mit zurück in Ihren Alltag nach Deutschland?
Es gibt Probleme mit den Rechtsradikalen der "Neuen Morgenröte", es gibt mehr Vorbehalte gegen Geflüchtete, als noch zu Beginn der Krise. Aber mit wie viel Würde, Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit die Leute in Griechenland den Problemen jeden Tag trotzen - das hat mich wirklich berührt.