von Aktion Deutschland Hilft
Interview mit Karsten Kaminski
Nach Angaben des UNHCR suchen über 1,1 Millionen Menschen aus Syrien Schutz im Libanon. Der Libanon selbst hat nur 6 Millionen Einwohner. Die Ressourcen des Landes sind fast erschöpft, während eine ganze Generation syrischer Kinder in Flüchtlingslagern aufwachsen muss.
Karsten Kaminski wurde 2018 als einer von sechs Journalistinnen und Journalisten für den "Journalistenpreis Humanitäre Hilfe" nominiert und hat sich die aktuelle Situation im Libanon angesehen. Im Interview spricht er über seine Erlebnisse und Eindrücke.
Aktion Deutschland Hilft: Herr Kaminski, Sie haben sich für den „Journalistenpreis Humanitäre Hilfe“ beworben und gehören jetzt zu den sechs nominierten Journalisten. Aus welcher Motivation heraus haben Sie sich beworben?
Karsten Kaminski: Jeden Tag hört und liest man in den Nachrichten Berichte über Kriege, Katastrophen, Krisen, Krankheiten und Korruption. Die Themen bleiben meistens nur kurz auf der Nachrichtenagenda, was bleibt sind die Folgen der Katastrophen. Davon sind tausende Menschen betroffen: Wie fühlen sie sich? Welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen? Wie schauen sie in die Zukunft? Diese Fragen kann man nur beantworten, wenn man die betroffenen Menschen trifft und mit ihnen über ihre Geschichten spricht. Was dafür im journalistischen Alltag oft fehlt, ist die Zeit. Das Stipendium hat mir das ermöglicht und so konnte ich viel über die Situation vor Ort lernen und auch die Lage der Menschen besser verstehen.
Ihre Recherchereise hat sie mit den Hilfsorganisationen arche noVa, Habitat for Humanity und Islamic Relief in den Libanon geführt. Was waren Ihre ersten Gedanken zu Ihrem Reiseland?
Im ersten Moment war ich ehrlich gesagt verwirrt, weil mein Themenschwerpunkt Osteuropa ist. Ich war mir sicher, dass ich in die Ostukraine reisen werde. Nach einigen Minuten war mir dann aber klar: Wow, du hast eine neue Herausforderung, ein Land im Nahen Osten – gerade diese Region ist für mich in den letzten Jahren immer interessanter geworden. Die Syrienkrise prägt die internationalen Schlagzeilen und damit auch meine Arbeit als Nachrichtenjournalist. Ich habe mich sehr über die neue Chance gefreut.
Karsten Kaminsiki im Libanon: Klicken Sie sich durch die Bildergalerie (6 Bilder)
Im Februar nominiert, im April und Mai verreist – viele Ereignisse in kürzester Zeit. Wie haben Sie sich auf Ihre Reise vorbereitet?
Die Vorbereitungszeit war knapp. Zumal eigentlich noch eine Reise in den Irak geplant war, die wir dann aber aus Sicherheitsgründen absagen mussten. Erst wenige Wochen vor Abreise war klar, dass ich zwei Wochen im Libanon sein werde. Das hieß vor allem viel Organisation in den letzten Tagen. In den Wochen vor der Reise habe ich viele Berichte gelesen, mich mit Kollegen und Korrespondenten aus der Region ausgetauscht und Vorgespräche mit Experten geführt. So konnte ich besser verstehen, welche Herausforderungen die Menschen in der Region haben.
Der Libanon beherbergt laut UNHCR über eine Million Flüchtlinge aus Syrien. Knapp die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder. Wie haben Sie die Situation in den Hilfsprojekten erlebt?
Im Libanon leben wirklich viele syrische Kinder, die in prekären Umständen aufwachsen. Vor Ort habe ich viele Schulen besucht und beobachten können, wie die Kinder sich dort frei gefühlt haben. Sie müssen in den Schulen nicht an die Arbeit denken. Zum Hintergrund: Viele syrische Flüchtlingskinder im Libanon gehen arbeiten, damit die Familie genug Geld zum Überleben hat. Der Tageslohn liegt zwischen 3 bis 5 US-Dollar.
Viele Kinder genießen es deshalb, auf dem Pausenhof zu spielen. Es gibt Spielzeug, einen sauberen Boden und viel Platz – in den informellen Camps sieht es ganz anders aus. Dort leben viele Kinder auf engstem Raum in Zelten aus Plastikplanen, müssen in manchen Fällen improvisierte Toiletten benutzen und sehen oft nur die Felder der Bauern, auf denen die Familien den ganzen Tag arbeiten.
Gibt es eine spezielle Situation oder Begegnungen, die Sie ganz besonders in Erinnerung behalten werden?
Es war die Begegnung mit Mohammed Hassarien, ein palästinensischer Flüchtling in der 3. Generation, der im Flüchtlingscamp Shatila wohnt. Für die Palästinenser gibt es zwölf solcher Camps im Libanon, für die syrischen Flüchtlinge gibt es keine. Deshalb sind die Camps mittlerweile überfüllt, viele Syrer haben dort eine Unterkunft gefunden.
Mohammed war vor einigen Jahren noch drogenabhängig, konnte aber durch die Hilfe von humanitären Hilfsaktionen eine Therapie besuchen. Außerdem hat man ihm geholfen, seinen Lebensraum besser zu gestalten, unter anderem hat er neue Sanitäranlagen für die Unterkunft bekommen. Mit seiner schwangeren Frau und einem Kind lebt er in einem Zimmer, das ungefähr 10 Quadratmeter groß ist.
Im Interview sagte er: "Ich hatte mein ganzes Leben das Gefühl, dass ich nichts wert bin. Immer wieder habe ich es im Alltag gespürt, ich bin nur ein Flüchtling. Aber dann kamen Menschen, die mir geholfen haben. Sie haben mir wieder meine Würde gegeben." Ein Satz, durch den ich verstanden habe, wie viel humanitäre Hilfe den Menschen geben kann.
Würden Sie sagen, dass die journalistische Arbeit in internationalen humanitären Hilfsprojekten anders ist?
Interviews mussten viel öfter abgebrochen werden, weil es für die Menschen emotional zu viel wurde. Aber ich habe auch Interviews von meiner Seite pausiert, weil ich gemerkt habe, dass ich bei den Menschen eine schlechte Erinnerung aktiviert habe. Die Begegnung vor Ort hat mir einfach gezeigt, dass man viel Zeit braucht, um mit den Menschen über ihre Schicksale zu sprechen. Aber auch vor Ort gab es leider nicht immer genug Zeit. Das ist sowohl für mich als Journalist als auch für die Menschen, die ich interviewe, schwer.
Welche Eindrücke und Erfahrungen nehmen Sie ganz besonders mit zurück in Ihren Alltag nach Deutschland?
Während meiner Reise im Libanon habe ich das erste Mal in meinem Leben großes Elend und Hoffnungslosigkeit in so einem Ausmaß gesehen. Das hat etwas mit mir gemacht. Aber ich kann nicht genau sagen, was. Immer noch versuche ich, die Eindrücke einzuordnen, mache mir Notizen. Einerseits verstehe ich jetzt die Bilder von Katastrophen besser, wenn ich sie für die Nachrichtenberichterstattung verwende. Andererseits habe ich auch ein besseres Verständnis dafür bekommen, warum es wichtig ist, den Menschen vor Ort zu helfen. Die Reise wird mich wohl noch einige Wochen beschäftigen.