von World Vision
Im Februar 2021 putschte das Militär in Myanmar. Seitdem versinkt das Land im Chaos. Hier berichtet Kyaw Kyaw*, Manager für Entwicklungszusammenarbeit bei World Vision Myanmar, von seinem Alltag voller Angst – und von den Momenten, die ihm Hoffnung geben.
"Vor der Krise begann mein Tag mit einem Morgengebet. Als Mitarbeiter einer Kinderhilfsorganisation besuchte ich Gemeinden, arbeitete mit Gemeinden und Freiwilligen zusammen, verteilte Hilfsgüter und sorgte dafür, dass sich Kinder sicher fühlten.
Myanmar: Erst die Corona-Pandemie...
Doch dann traf uns die weltweite Pandemie. Viele Familien gerieten durch Inflation, Nahrungsmittel- und Finanzunsicherheit und die Schließung von Schulen in große Schwierigkeiten. Als wir gerade ein Gefühl der Normalität in der Krise erlangt hatten, kam plötzlich der politische Umsturz und mit ihm die Kämpfe.
...dann der Putsch
Der politische Konflikt hat das Leben der Menschen ins Chaos gestürzt. Hunderttausende sind vertrieben worden und viele leben in Lagern. Der fehlende Zugang zu medizinischer Versorgung hat die Situation verschlimmert.
Wenn ich nachts aufwache, werde ich zum ersten Mal in meinem Leben von ängstlichen Gedanken überflutet. Da die Kämpfe in den vergangenen Monaten zugenommen haben, sind Schüsse, Nachrichten über Tote und die Zerstörung von Eigentum unsere Realität geworden.
Die Probleme werden größer
Jeden Tag werden die Probleme, die die politische und sozioökonomische Krise mit sich bringt, komplexer. Die größte Herausforderung sehe ich in den Auswirkungen auf die Kinder. Sie können seit etwa zwei Jahren nicht mehr zur Schule gehen.
Der Zugang zum COVID-19-Impfstoff ist begrenzt. Selbst wenn Binnenflüchtlinge an COVID-19 erkranken, zögern sie, sich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen: Entweder können sie sich keine medizinische Behandlung leisten. Oder sie befürchten, getötet oder verhaftet zu werden.
Angst vor Corona und vor Gewalt
Die Panik, die das mysteriöse COVID-19-Virus ausgelöst hat, wurde durch die Angst vor der Gewalt ersetzt. Viele Menschen trauen sich nicht mehr, zu Hause zu bleiben. Aus Angst um ihr Leben fliehen sie und lassen ihre Häuser zurück.
Ich sehe Menschen, die weit weg vom Konflikt in sicherere Gebiete ziehen, in der Hoffnung, ihre Angehörigen in Sicherheit zu bringen.
Für mich ist die Sicherheit unserer Gemeinschaft von größter Bedeutung. Oft entkommen die Dorfbewohner und ihre Familien den Kämpfen, Luftangriffen und Landminen nur knapp und suchen sich sicherere Orte. Entweder in ruhigeren Provinzen oder außerhalb des Landes.
Hintergrundinformation: Putsch in Myanmar
In Myanmar hat das Militär im Februar 2021 erneut die Macht übernommen. Zivile und bewaffnete Gruppen leisten Widerstand. Der politische Konflikt verschärft die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die bereits viele Menschen um Arbeitsplätze und Ernährungssicherheit gebracht hat.
Die Vereinten Nationen schätzen, dass 2022 rund 14,4 Millionen Menschen in Myanmar humanitäre Hilfe benötigen.
World Vision sorgt sich vor allem um das Leben und die Zukunft von rund 5 Millionen Kindern, die entweder durch Gewalt vertrieben wurden, traumatisiert, verletzt oder in Lebensgefahr sind.
World Vision arbeitet seit fast 30 Jahren in Myanmar. Mit ihrer Arbeit erreicht die Bündnisorganisation von Aktion Deutschland Hilft circa 2 Millionen Menschen, darunter 475.660 Kinder.
World Vision unterstützt den Aufbau von Existenzgrundlagen, die Verbesserung der Ernährungssicherheit und den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung.
Die Hilfsorganisation leistet außerdem Nothilfe für die am stärksten gefährdeten Kinder und ihre Familien, teils mit finanzieller Unterstützung von Aktion Deutschland Hilft: mit Lebensmitteln, Trinkwasser, Hygieneartikeln und Bildungsmaterial.
Ferner bieten die Programme Schulungen zum Schutz von Kindern und Kinderrechten an und leisten Aufklärung über die Gesundheit von Jugendlichen und die reproduktive Gesundheit.
Gemeinsam humanitäre Hilfe leisten
Die humanitären Grundsätze, die wir in der Entwicklungshilfe gelernt haben, helfen mir und meinen Kolleg:innen, schwierige Situationen zu meistern. Ich finde Wege, um Kontakt aufzunehmen und die Sicherheit zu prüfen: mit den Dorfentwicklungsausschüssen, Freiwilligen und den Bewohner:innen der Lager für Binnenvertriebene.
Viele Kinder in Myanmar sind traumatisiert
Auch in den Notunterkünften herrscht ein Gefühl der Angst. Schulen sind geschlossen, viele Kinder haben kein Zuhause – und damit keinen sicheren Ort, an den sie gehen können. Dass ihre Angehörigen getötet werden, dass sie vor Schüssen und Bomben fliehen müssen, ist ihre neue Realität geworden.
Die Kinder zeigen Anzeichen von Traumata und Verzweiflung. Jedes Mal, wenn sie laute Geräusche hören, erinnert sie das an Kämpfe und Morde.
Momente der Hoffnung: So sieht sie Hilfe vor Ort aus
Meine Kolleginnen und Kollegen und ich arbeiten gemeinsam mit den Mitgliedern des Lagerkomitees daran, die Bedürfnisse der Vertriebenen zu ermitteln. Wenn die Binnenflüchtlinge beispielsweise Lebensmittel, Unterkünfte, warme Kleidung, Bargeld und Bildungsangebote für Kinder erhalten, ist das der schönste Moment, der mich meine Sorgen und Unsicherheiten vergessen lässt.
Ich habe erlebt, wie widerstandsfähig die vertriebenen Menschen sind. Es ist eine unglaubliche Herausforderung, in intensiven Konfliktsituationen ruhig zu bleiben. Was mich inspiriert, ist der unerschütterlicher Einsatz vieler Menschen für ihre Gemeinschaft.
Ersthelfer legen Lebensmittelvorräte an, verfolgen die Nachrichten, um verlässliche Informationen zu teilen, helfen sich gegenseitig und stellen bedürftigen Familien Lebensmittel und Unterkünfte zur Verfügung. Anderen zu helfen ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen.
Wie Kinder die Schrecken verarbeiten
Eines Tages, als ich auf dem Heimweg war, sah ich zwei 12-jährige Kinder, die ein Loch in den Boden gruben. Als ich sie fragte, was sie da tun, sagten sie, dass sie versuchen, einen Unterschlupf für ihre Familie zu bauen, damit sie vor Luftangriffen und Bomben geschützt sind.
In einer solch schwierigen Situation versuchten die Kinder, mit den begrenzten Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, Lösungen zu finden, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen. Diese Kinder haben mich gelehrt, wie Resilienz aussieht.
Als Helfer dazu beitragen, dass Kinder sich sicher fühlen
Wir müssen unseren Teil dazu beitragen, dass sich die durch den Konflikt vertriebenen Kinder sicher fühlen. Auch das macht die Arbeit von lokalen Helfenden und Hilfsorganisationen so wichtig. Ich glaube, wenn wir alle zusammenarbeiten, um gefährdeten Kindern und ihren Familien zu helfen, werden sie widerstandsfähiger und können sich besser erholen.
Deshalb habe ich mich entschieden, für eine Organisation wie World Vision zu arbeiten, die an einigen der gefährlichsten Orte der Welt tätig ist, um gefährdeten Kindern und ihren Familien zu helfen.
Es braucht das Engagement der ganzen Welt
Mein Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass auch vertriebene Kinder sich entwickeln können und sie Zugang zu ausreichender Ernährung, medizinischer Versorgung, Bildung, körperlicher und geistiger Sicherheit, Liebe und angemessenem Schutz haben.
Ich bin stolz darauf, dass meine Organisation, World Vision, den am meisten gefährdeten Kindern hilft. Aber wir können dies nicht allein tun. Die nächste Generation zählt auf uns, um ihre Zukunft zu schützen. Ich bete dafür, dass der Frieden wiederhergestellt wird und die Kinder den Heilungsprozess beginnen können. Es braucht das Engagement der ganzen Welt, um die Gewalt gegen Kinder in Myanmar zu beenden."
* Name zum Schutz der Person geändert