Von Frank Lahme
Es war ein cooler Bluff, durch den das Hammer Forum vor 25 Jahren quasi über Nacht bundesweite Berühmtheit erlangte. „Papiere, wo sind die Papiere?“, forderte der Regierungsbeamte am Militärflughafen von Bagdad. Der irakische Staatsdiener wollte Dokumente, in denen die Bundesrepublik der Aufnahme von kriegsverletzten Kindern zugestimmt hatte. Doch die gab es nicht. Im Gegenteil: Klaus Helling, Chefarzt der Klinik für Manuelle Therapie und in jenem Moment der Verhandlungsführer des deutschen Hilfskommandos, hatte lediglich einen Packen Absagen des Innenministeriums im Gepäck – versehen mit Bundesadler, Stempeln und Unterschriften der Bonner und Berliner Spitzenfunktionäre. „Ich hab’ ihm den ganzen Stapel übergeben und so getan, als wären das die Dokumente. Der konnte kein Wort Deutsch und hat es mir geglaubt“, erinnert sich der Mediziner an das Husarenstück von Bagdad...
Keine zehn Stunden später saß Helling damals, im Juni 1991, mit zehn schwerstverletzten Jungen und Mädchen in einer russischen Maschine und nahm über Kuwait Kurs auf Frankfurt. Ohne Einreiseerlaubnis für seine Schützlinge, das definitive „Nein“ aus dem Schäuble-Ministerium klingelte noch in seinen Ohren. Während das Flugzeug das Kriegsgebiet hinter sich ließ, glühten auf deutschem Grund die Telefondrähte. Das Ministerium beharrte auf seinem Standpunkt, das Forum betreibe Kinderschlepperei und verlangte die Rückkehr in den Irak. Hellings Mitstreiter zückten die nächste Karte in einem hochbrisanten Pokerspiel. „Wir haben zehn Kamerateams auf unserer Seite“, lautete die Botschaft an die Einreisebehörden.
Das Ministerium gab klein bei. Als die Maschine zur Landung ansetzte, standen 15 Rettungswagen am Rollfeld. „Als ich die gesehen hatte, wusste ich, dass wir gewonnen hatten“, erinnert sich der Mediziner. Und eines war kein Bluff geblieben: ARD, ZDF, RTL und viele weitere Sender hatten ihre Reporter in Marsch gesetzt. Alle berichteten von der Ankunft des kleinen Teams aus Hamm. Das Forum war fortan in aller Munde. „Wir waren schließlich die Ersten, die Kinder aus dem Irakkrieg nach Deutschland gebracht hatten“, weiß Helling von jenem Juni-Tag.
„Es musste jede Menge Verletzte geben“
Drei Monate zuvor war die Idee zur Hilfsmission geboren worden. Der so genannte zweite Golfkrieg wurde von CNN in HD-Qualität in die Wohnzimmer übertragen und ließ de facto niemanden kalt. Tausende protestierten auch in Hamm gegen das Kriegstreiben und die Resolution 678 des UN-Sicherheitsrates, die seit dem 16. Januar 1991 eine Koalition, angeführt von den Vereinigten Staaten, dazu legitimiert hatte, mit Kampfhandlungen zur Befreiung Kuwaits vom Besatzer Saddam beizutragen.
Was von CNN nicht gezeigt wurde, waren die Bilder der Opfer dieses Krieges – der Zivilisten und der Kinder. „Und es musste jede Menge Verletzte geben“, beschreibt Helling seine Motive, tätig zu werden. Als in den Radio-Nachrichten – Helling war auf dem Weg zu einer Ärztetagung in Kassel – berichtet wurde, dass US-Soldaten zur Behandlung nach Ramstein und Bitburg eingeflogen werden sollten, reifte der Entschluss, etwas für die jüngsten Opfer tun zu wollen.
Gemeinsam mit Ehrengard Ohlendorf, damals die Geschäftsführerin der Klinik für Manuelle Therapie, wurde der erste Schlachtplan entworfen. „Alle Mitarbeiter und Ärzte in der Klinik zogen mit, übernahmen freiwillig Wochenenddienste. Das eingesparte Geld sollten wir für unsere Flüge nutzen“, erinnert sich Helling.
Mit dem in Flüchtlingsfragen erfahrenen Hammer Rechtsanwalt Dr. Michael von Glahn und Wolfgang Paus („er kannte sich mit Finanzen bestens aus“) war das Team der ersten Stunde geboren. Am 12. März 1991 wurde die Vereinssatzung des Hammer Forums beschlossen, am 19. März – heute vor 25 Jahren – erfolgte der Eintrag in das Vereinsregister.
Bereits am 15. März hatte Helling das Okay von 100 Kliniken eingeholt, kleine Kriegspatienten operieren zu wollen. „Innerhalb von 14 Tagen hatte ich 190 Betten zusammen. Keine Klinik sagte, dass sie nicht behandeln wollte.“
Das Geschäft mit der Katastrophe
Am 17. März 1991 flog Helling das erste Mal ins Kriegsgebiet. Der Flug führte ins jordanische Amman, danach ging’s 1 000 Kilometer im Taxi bis nach Bagdad. In den Krankenhäusern war kein Mensch, die Hospitäler waren ohne Strom, die Menschen hausten in den Kellern der zerbombten Stadt. „Wir waren zu früh, um einzuschreiten.“ Auch die zweite Reise im April/Mai – diesmal ins türkische-irakische Grenzgebiet wurde zum Flop. 100 000 Flüchtlinge hatten sich in die Berge geschleppt, doch obwohl täglich tausend Menschen starben, gab es keine Chance, dort einzuschreiten. „Oben am Fluss haben sie ihre Leichen gewaschen und weiter unten das Wasser getrunken“, erinnert sich Helling an schreckliche Szenen während eines Fluges mit einem Militärhubschrauber. „Doch uns ließen sie nicht über die Grenze. Es war die pure Ohnmacht.“
In Deutschland war längst das Geschäft mit der Katastrophe angelaufen. „Da wurden Millionen verteilt“, erinnert sich der Hammer Arzt an Gespräche im Außenministerium. Spitzenwohlfahrtsverbände wollten den Kuchen für sich, doch immerhin hatte Helling von Hans-Dietrich Genscher persönlich Zuspruch erhalten. „Das muss auch sein“, sollen Genschers Worte gewesen sein, als er von den Zielen des Hammer Forums erfuhr.
Einsatz in Afghanistan
Ab Herbst 1991 verlagerte das Forum seine Aktivitäten nach Afghanistan. „Dort war die Lage noch viel schlimmer als im Irak“, erinnert er sich an die schrecklichen Bilder, denen er und die Helfer gleich bei der Ankunft am Flughafen von Kabul ausgesetzt waren: Rund um das Gebäude hatten die Taliban Menschen an Baukränen aufgeknüpft.
Zwölf Einsätze begleitete er selbst und überstand eine Vielzahl von gefährlichen Situationen. „Manchmal war es wirklich auf der letzten Rille“, sagt Helling insbesondere mit Blick auf die Geiselnahme des Forum-Mitarbeiters Belal El-Mogaddedi, der sich 1998 vier Wochen in der Gewalt von Taliban-Kämpfern befand und jederzeit vor der Hinrichtung durch ein Sharia-Gericht stand. Mogaddedie war damals bezichtigt worden, die Bevölkerung christianisieren zu wollen – ein absurder Gedanke.
Das Hammer Forum wuchs beständig und etablierte Hilfsprojekte in einer Vielzahl von Ländern. Immer häufiger wurde davon abgegangen, Kinder in Deutschland zu behandeln, sondern dies vor Ort zu tun.
Erschienen am 19. März 2016 im Westfälischen Anzeiger
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