Kurz vor Ostern verschärfte sich die Situation in Mali zunehmend. Der Druck auf die Putschisten wuchs durch Sanktionen und im Norden brachten teils rivalisierende Rebellengruppen immer größere Teile des Landes in ihre Gewalt. Wie immer traf es vor allem das schwächste Glied in der Kette, die Bevölkerung. Auch das Auswärtige Amt mahnte zur Vorsicht und empfahl allen ausländischen Bürgern, aufgrund der gespannten Lage das Land zu verlassen. Auch unser Kollege Michael Reich, von ADRA Mali, ist vorübergehend ausgereist. Er berichtet über seine Eindrücke und die möglichen Entwicklungen in Mali.
Die Situation in Mali war und ist noch immer gespannt. Im Norden ist bereits zwei Drittel des Landes in den Händen von Tuareg-Rebellen (Nationale Bewegung zur Befreiung des Azawad) und Islamisten (z.B. Ansar Dine, AQMI, Boko Haram). Im Süden hat die Militärjunta nun endlich den Weg für eine Übergangsregierung freigemacht. Am 08.04. reichte dann auch Präsident Touré offiziell seinen Rücktritt ein. Mittendrin wartet die Bevölkerung sehnsüchtig auf Hilfe. Denn was in den Medien schon wieder in den Hintergrund gedrängt wird, die andauernde Dürre schwächt Menschen, Vieh und Land. Millionen hungern und warten dringend auf Hilfe von außen.
Unser Kollege Michael Reich, Direktor von ADRA Mali, war bis zum 5. April in Mali und kennt die Bedenken und Ängste der Bevölkerung:
Michael Reich: "Die Situation ist kompliziert und das Stimmungsbild der Bevölkerung gespalten. Die Menschen sind verängstigt, was aus ihrem Land und dessen Führung werden wird. Da sind zum einen die Rebellen im Norden und zum anderen die Putschisten im Süden. Worin sich die Bevölkerung mehrheitlich einig ist: Sie ist zufrieden über die Absetzung des Präsidenten und über die Lektion, die ihm damit erteilt wurde. Daher begrüßte sie auch den Rücktritt des Präsidenten."
ADRA Deutschland: Vor dem Putsch wurde Mali vor allem aufgrund der andauernden Dürre und der drohenden Hungersnot in den Medien genannt. Wie haben Sie die Situation der Menschen in Mali wahrgenommen?
"Die Bevölkerung in Mali war sich schon seit der mangelnden Regenfälle im vergangenen Sommer darüber im Klaren, dass es ein schwieriges Jahr werden würde und es vermehrt Hunger geben würde. In einigen Regionen sind Ernteausfälle von ca. 80 Prozent zu verzeichnen und ein besorgniserregender Rückgang der Biomasse, die insbesondere für die Viehzucht wichtig ist. Seit Anfang des Jahres kann man sehen, dass die Getreidespeicher in den Dörfern bereits so schlecht gefüllt sind, wie es sonst erst Monate später der Fall ist. Zunehmend wird der Zugang zu Nahrungsmitteln durch Preisanstiege für Getreide - teilweise um 120 Prozent - enorm verschlechtert. Die Bevölkerung versucht, darauf so weit sie kann zu reagieren, indem sie verstärkt Gemüseanbau betreibt und mit ihren Viehherden schon wesentlich früher in Richtung Süden zieht. Dennoch bleiben die Menschen mindestens bis zur nächsten Ernte auf Hilfe angewiesen."
Vergangenen Donnerstag haben Sie und weitere verbliebene ausländische Mitarbeiter von ADRA Mali das Land aus Sicherheitsgründen verlassen. Wie liefen die Arbeiten von ADRA Mali nach dem Putsch und gehen die Projekte weiter, obwohl ein Teil der Belegschaft momentan nicht in Mali ist?
"Nun, der Großteil der Belegschaft ist noch im Land. Nur drei unserer gut 20 Mitarbeiter sind evakuiert worden, da sie aus dem Ausland kommen. Das Landesbüro und die beiden Projektbüros sind seit der Aufhebung der Ausnahmesperre wieder geöffnet und die Arbeit geht seither unbeirrt weiter. Allerdings haben wir die Sanktionen durchaus gespürt. Wir hatten in der vergangenen Woche für mehrere Tage keinen Strom im Büro, alle Aktivitäten liefen über einen Generator. So einen langen Stromausfall hatte ich in Mali noch nie, aber der Strom wird in Mali auch mit Treibstoff verbrennenden Generatoren erzeugt, und Treibstoff kommt nicht mehr ins Land. Auf Hochtouren laufen auch die Planungen für ein Großprojekt mit dem Welternährungsprogramm, wo wir 4.600 Tonnen Lebensmittel an 80.000 Begünstigte verteilen wollen. Unsere Kollegen in Mali nehmen diese Planungsarbeit vor, während wir sie aus dem Ausland dabei unterstützen."
Wie wird sich die Gründung der Übergangsregierung auf die Lage im Norden des Landes auswirken? Die Tuareg-Rebellen haben ja bereits einen großen Teil des Landes eingenommen und Azawad einseitig als unabhängig erklärt.
"Dies ist richtig. Die Übergangregierung steht vor einer enormen doppelten, wenn nicht gar dreifachen Herausforderung. Die Lage im Norden mit mindestens zwei Gruppen, die unterschiedliche Interessen verfolgen, kann sie sicherlich nicht ohne die Unterstützung von außen in den Griff bekommen. Die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und die Schaffung einer Übergangsregierung ist ein notwendiger erster Schritt dorthin."
Was denken Sie? Wie schnell wird sich die Lage in Mali nach Bildung der Übergangsregierung voraussichtlich wieder entschärfen?
"Es scheint, als wäre dies zu einem gewissem Grad schon der Fall, aber wir stehen hier noch vor einem sehr langen Prozess. Noch ist die Bildung der Übergangsregierung nicht abgeschlossen und auch sie ist nur ein Übergang. Es vermehren sich die Anzeichen, dass die Militärjunta (CNRDRE) und ihr Präsident Amadou Sanogo nicht vorhaben, schnell von der politischen Bühne in Mali abzutreten.
Ein Lichtblick für unsere Arbeit ist die Aufhebung der von der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft verhängten Sanktionen. Das stellt eine enorme Erleichterung für unsere Arbeit dar. Wie schnell es in Mali allerdings wieder aufwärts gehen wird, hängt nicht zuletzt auch von der notwendigen internationalen Unterstützung ab. Dabei werde ich übrigens auch immer wieder direkt als Deutscher angesprochen, denn die Bundesrepublik war 1960 das erste Land, das die Unabhängigkeit von Mali anerkannte. Schon wenige Monate später startete die Entwicklungszusammenarbeit. Viele Menschen in Mali hoffen, dass wir - auch ein halbes Jahrhundert später - Mali in dieser schweren Zeit unterstützen."
Haben Sie bereits ihre Rückkehr nach Mali geplant?
"Ja. Nachdem wir uns nun zwei Wochen ständig gefragt haben, ob wir evakuieren müssen, begleitet uns nun täglich die Frage, ob wir wieder zurückkehren können."
Das Interview führte Mirjam Greilich.
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