Herr Dr. Kazkaz (65) - Sie waren vom 6. bis zum 17. August für das HAMMER FORUM in Gaza, um dort Menschen zu helfen und zu operieren. Sie waren schon oft dort, aber es war noch nie so dramatisch, wie während dieses Aufenthaltes. Können Sie vielleicht kurz beschreiben, wie Sie überhaupt nach Gaza eingereist sind. Was war Ihre Reiseroute?
Vom Frankfurter Flughafen aus ging es nach Amman in Jordanien. Dort musste ich eine Nacht bleiben, da die Grenze nach Israel nicht geöffnet war. Am nächsten Tag um 7 Uhr haben wir uns auf den Weg zur jordanisch-israelischen Grenze gemacht. In Israel sind wir bei Erez in den Gaza-Streifen eingereist. Meine Bedenken, ob ich überhaupt einreisen dürfte, waren unbegründet. Ich stand in einer Schlange und wartete, als ein Mann auf mich zukam und fragte, ob ich Journalist sei. Als ich antwortete, dass ich Arzt bin, nahm er mich beiseite und wies mich einem Schalter für medizinisches Personal zu. Eine viertel Stunde später war mein Pass kontrolliert und ich konnte einreisen. Ich war überrascht, wie schnell es ging. Denn in der Vergangenheit hatte ich schon öfters Probleme mit langwierigen Kontrollen bei der Einreise.
Es ist bisher der schlimmste und der längste Krieg, der sich in Gaza abspielt. Wie haben Sie die Situation erlebt?
Sobald man über die Grenze kommt, fallen die zerstörten Gebäude und Häuser ins Auge. Im Prinzip ist alles am Boden, auch Moscheen, Wohn- und Krankenhäuser. Ich wurde an der Grenze von einem Freund abgeholt, der mich direkt zum Al-Shifa Hospital nach Gaza-Stadt gefahren hat. Schon auf dem Weg dorthin habe ich unglaublich viel Leid gesehen.
Sie haben während der Zeit, die Sie da waren, im Al-Shifa-Hospital gearbeitet und operiert. Was genau konnten Sie tun?
Ich habe an zwei Orten gearbeitet. Zum einen im Al-Shifa-Hospital in Gaza-Stadt, zum anderen im European Hospital in Chan Yunis. Im Al-Shifa Krankenhaus angekommen, habe ich den leitenden Verantwortlichen für die Krankenhäuser im Gaza-Streifen kennengelernt. Er weiß am besten, an welchen Orten Helfer gebraucht werden. Er bat mich nach kurzem Aufenthalt in das European Hospital nach Chan Yunis zu fahren, da dort drei Patienten mit einer Wirbelsäulenfraktur eingeliefert worden waren. Sie mussten dringend operiert werden. Ich bin direkt losgefahren und habe von 17:00 Uhr bis 2:00 Uhr morgens operiert. Dort bin ich dann auch für die nächsten Tage geblieben und habe weitergemacht.
Sie haben vermutlich mitbekommen, wie es den Menschen vor Ort geht. Können Sie das bitte beschreiben.
Als ich im Gaza-Streifen ankam, dauerte der jüngste Krieg bereits vier Wochen an. Ich habe viele Verletzungen gesehen. Ein Kleinkind wurde von oben bis unten von Granatsplittern verletzt und hat sein rechtes Auge verloren. Eine 11jährige, die von Häusertrümmern getroffen wurde, ist nun querschnittsgelähmt. Die Tragödie im Gazastreifen ist weitaus schlimmer, als in den Medien dargestellt. Über 30.000 Häuser wurden bombardiert. Der Gaza-Streifen ist wie ein Gefängnis, auf das Bomben geworfen werden. Es ist sehr traurig, was vor Ort passiert.
Sie haben während der Zeit im Gaza-Streifen 20 Operationen durchgeführt. 17 Menschen haben überlebt. Gibt es da eine Geschichte, die Sie besonders bewegt hat?
Die schlimmste Geschichte, die ich vor Ort erlebt habe, war die eines kleinen Mädchens, dass eine Wirbelsäulenfraktur hat und nun querschnittsgelähmt ist. Ich habe 36 Jahre Erfahrung in der Neurochirurgie, aber so schlimme Verletzungen hatte ich vorher noch nie gesehen. Wäre ich ein paar Tage früher da gewesen, hätte ich dem Mädchen vielleicht noch helfen können. In Deutschland wird nicht so lange mit der chirurgischen Versorgung von Schwerverletzten gewartet. Es tat mir so leid, dass ich dem Mädchen nicht helfen konnte.
Das heißt das Mädchen wird sein Leben lang gelähmt bleiben?
Ja, so ist es leider.
Wie ist die Versorgungslage vor Ort? Was fehlt am meisten?
Am schlimmsten ist, dass es keinen Strom gibt. Das ist natürlich auch im OP-Saal höchstproblematisch. In den Krankenhäusern laufen zwar Notstromgeneratoren - doch auch dort fällt der Strom immer wieder aus. Außerhalb der Krankenhäuser gibt es so gut wie gar keinen Strom mehr. Auch die Wassersituation ist prekär. Daher muss täglich Wasser verteilt werden. Nahrungsmittel sind derzeit noch erhältlich, aber sie werden von Tag zu Tag teurer. In den Krankenhäusern jedoch fehlt es an Medikamenten, Verbänden und medizinischem Hilfsmaterial.
Sind Sie wieder gut in Deutschland angekommen oder war das schwierig nachdem, was Sie erlebt haben?
Es war sehr traurig, was ich gesehen habe. Vor allem die Kinder leiden. Viele sind durch den Krieg querschnittsgelähmt oder haben durch Explosionen Splitter unter der Haut und schlimme Verbrennungen an Armen, Beinen und im Gesicht. Diese Bilder nehme ich mit nach Deutschland. Es ist dieses Mal schlimmer, als bei meinen letzten Einsätzen.
+++ Spendenaufruf +++
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