von Aktion Deutschland Hilft
Seit Herbst 2023 eskaliert die Gewalt im Nahen Osten. Besonders groß ist die humanitäre Not im Gazastreifen. Und besonders groß sind dort auch die Herausforderungen für Hilfsorganisationen.
Wie es Help – Hilfe zur Selbsthilfe gemeinsam mit anderen Bündnisorganisationen von Aktion Deutschland Hilft dennoch schafft, die Zivilbevölkerung zu unterstützen, berichtet Nothilfekoordinatorin Simone Walter im Interview.
Aktion Deutschland Hilft: Wie kam es dazu, dass Help für die Nothilfe in Gaza mit anderen Organisationen aus dem Bündnis kooperiert?
Simone Walter: Der Hilfsbedarf der Menschen in Gaza ist sehr groß, doch unsere Mittel als Hilfsorganisationen sind begrenzt. Also haben wir uns mit dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Kinderhilfswerk Stiftung Global-Care, LandsAid, action medeor und Malteser International zusammengetan. Gemeinsam wollten wir eine größere Wirkung erzielen.
Wenn man die Projekte in Gaza mit unserer Hilfe in anderen Regionen vergleicht, sind sie nicht sehr groß. Trotzdem sind wir froh, dass wir überhaupt Hilfe umsetzen können, wenn man den schwierigen Zugang und die limitierten Hilfsmöglichkeiten bedenkt.
Neben den Bündnispartnern arbeiten wir mit Partnerorganisationen, zum Beispiel in Ägypten, zusammen. Und diese Partner kooperieren wiederum mit lokalen Partnerorganisationen. Das ist alles sehr komplex, aber wir versuchen einfach, jeden Strohhalm zu greifen, um die Menschen zu unterstützen.
Und wie kamen die Kooperationen mit den lokalen Partnerorganisationen zustande?
Wir waren vorher nicht im Gazastreifen oder umliegenden Ländern aktiv, wollten der betroffenen Bevölkerung aber so schnell wie möglich helfen. Daher haben wir uns umgehend in unseren Netzwerken auf die Suche gemacht, um den bestmöglichen Partner für unsere Hilfe zu identifizieren. Dabei mussten wir auch prüfen, ob diese Organisationen vertrauenswürdig sind und zu unseren Werten und Arbeitsweisen passen. Das alles kostete leider viel Zeit – viel mehr, als man möchte, wenn so eine große Katastrophe geschieht.
Wie sieht die Hilfe, die Help leistet, konkret aus?
Im Westen von Rafah haben wir ein Projekt, bei dem täglich warme Mahlzeiten zubereitet und verteilt werden. Die Hilfe richtet sich an die Menschen, die innerhalb des Gazastreifens vertrieben wurden, aber auch an die Bevölkerung, die dort schon vorher lebte. Dort arbeiten wir mit den Bündnisorganisationen LandsAid und Global-Care zusammen.
Bei einem weiteren Projekt, das wir gerade mit dem ASB abgeschlossen haben, konnten wir lebensnotwendiges medizinisches Material – also Verbandsmaterial, Spritzen und Kanülen – an ein Krankenhaus liefern. Unser Partner vor Ort hatte die Bedarfe der dortigen Mitarbeiter aufgenommen, die Materialien in Ägypten beschafft und die Logistik übernommen. Im ersten Schritt hatte das gut geklappt, die Lieferung kam schnell über die Grenze.
Doch dann steckte sie leider mehrere Wochen hinter der Grenze fest. Mit großer Verzögerung (Mitte August 2024; Anm. der Red.) kamen die Hilfsgüter dann glücklicherweise beim Krankenhaus an. Uns wurde berichtet, dass das Material sofort verbraucht wurde. In der Lieferung befanden sich auch Nahrungsmittel. Unser Partner hatte uns berichtet, dass die Menschen, die im Krankenhaus arbeiten, ganz dringend Nahrung benötigten.
Was sind die Herausforderungen für Hilfsorganisationen im Gazastreifen?
Die Herausforderungen sind sehr vielfältig. Zum Beispiel, jemanden zu finden, der Zugang hat, Leute vor Ort hat und helfen kann. Und einige Menschen wurden schon mehrfach vertrieben. Wenn sie immer wieder an einem neuen Ort sind, macht das die Versorgung schwieriger.
Schwierig ist auch die Situation an den Grenzen, die passiert werden müssen: Man weiß nicht, wie lange die LKW mit den Hilfsgütern warten müssen. Der Zugang ist nicht nur sehr limitiert, sondern auch sehr unzuverlässig.
Dank Tracking-Systemen können wir unsere Lieferungen nachverfolgen. Außerdem ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Hilfsgüter robust genug für den Transport aus Ägypten sind. Medikamente, die gekühlt werden müssen, oder Nahrungsmittel, die verderben können, eignen sich nicht.
Eine weitere Herausforderung sind die Grenzkontrollen durch das israelische Militär. Es dürfen nur Waren geliefert werden, die ausschließlich auf eine Art und Weise benutzt werden können. Man spricht von single use goods. Sobald Waren zum Beispiel nicht eindeutig nur für die Versorgung von Verletzten benutzt werden können, wie in der Vergangenheit etwa Betäubungsmittel und Beatmungsgeräte, werden sie aussortiert.
Wie geht man mit einer Katastrophe um, deren Entwicklung so unvorhersehbar ist?
Man stellt sich darauf ein, dass sich die Pläne jeden Tag ändern können und man geht deshalb auch gewisse Risiken ein. Alle – die Partner vor Ort, die Partner im Bündnis und das Team von Help in Bonn – bemühen sich jeden Tag aufs Neue. Und wenn die Hilfe zwei Wochen später anders aussieht als vorher geplant, dann ist das eben so. Der Hilfsbedarf in Gaza ist so groß, da kann es wenig 'falsche Hilfe' geben. Es wird einfach alles gebraucht.
Denn in den meist temporären Unterbringungsmöglichkeiten, sogenannten Camps, gibt es keine Abwassersysteme, es gibt nicht genug Nahrung für alle, es ist sehr eng. Über 200.000 Kinder sind von akuter Unterernährung getroffen. In den Camps gibt es keine sicheren Orte für Frauen, für Kinder. Es gibt kaum Schulen, es gibt keinen Unterricht. Die medizinische Versorgung ist fast komplett zusammengebrochen, die Krankenhäuser operieren kaum noch. Hinzu kommt die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Polio, wogegen die UN zuletzt eine große Impfkampagne gestartet hat.
Das alles heißt für Hilfsorganisationen: Der Zugang ist erschwert, der Bedarf wird immer größer und hinzu kommt das Risiko, das humanitäre Helfende eingehen, inmitten der kriegerischen Auseinandersetzung selbst verletzt oder getötet zu werden.
Wie geht es mit den Hilfsprojekten in Gaza weiter?
Für das Projekt in Rafah, wo wir Mahlzeiten verteilen, versuchen wir gerade, eine weitere Finanzierungsmöglichkeit zu finden. Wir hoffen, dass wir diese Hilfe fortsetzen können.
Ein weiteres Projekt, das wir im Sommer gestartet haben, richtet sich an aus Gaza geflüchtete Frauen, die schwanger sind oder kleine Kinder haben, und nach Kairo geflüchtet sind. Dort sind wir in einem Traumazentrum aktiv und leisten psychologische Hilfe. Der Fokus liegt darauf, Mütter und Kinder bei der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse zu unterstützen und sie nach ihrer Flucht mit dem Nötigsten zu versorgen.
Was die Folgen des Krieges für die Bevölkerung im Gazastreifen betrifft, wird oft von einer "Rückwärtsentwicklung" gesprochen. Was bedeutet das?
Gaza wird als einer der wenigen Flecken der Welt bezeichnet, der sich nicht weiter-, sondern sogar zurückentwickelt. Das liegt daran, dass es immer wieder Kriege und Auseinandersetzungen gibt. Dabei wird die Infrastruktur, die in ruhigen Phasen zwischendurch aufgebaut wird, immer wieder zerstört.
Die Schulen sind nicht im Betrieb – die Kinder haben bereits ein Schuljahr verloren und werden ihr Leben lang davon geprägt sein. Neben dem Unterricht fehlt ihnen natürlich auch der Austausch mit Gleichaltrigen. Eine ganze Generation wird durch diesen Krieg traumatisiert. Das sind die Verletzungen, die nicht sichtbar sind.
Simone Walter arbeitet als Nothilfe Koordinatorin für die Bündnisorganisation Help – Hilfe zur Selbsthilfe. Sie ist unter anderem für die Hilfsprojekte für die Menschen im Gazastreifen zuständig.
Help ist eine Bündnisorganisation von Aktion Deutschland Hilft. Das Bündnis leistet Nothilfe gemäß dem humanitären Imperativ. Dieser besagt unter anderem: Jeder Mensch hat das Recht, humanitäre Hilfe zu erhalten. Ausschlaggebend ist alleine der Bedarf an Hilfe. Weitere Informationen.
+++ Spendenaufruf +++
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis der Hilfsorganisationen,
bittet dringend um Spenden für die betroffenen Menschen in Nahost.
Stichwort: Nothilfe Nahost
IBAN DE62 3702 0500 0000 1020 30, BIC: BFSWDE33XXX
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