Gammaya Gurungs Mann starb in den Trümmern des Hauses. Es war ein Haus aus Lehm und Steinen, ein traditionelles Haus, wie es sie hier oben in Laprak zu Hunderten gibt. Es hätte viele Jahre gehalten. Doch gegen das Erdbeben vom April 2015 konnte es Gammaya Gurungs Mann nicht schützen. Und danach passierte, was auch sie nicht zu erklären vermag: Seine Eltern verstießen die Schwiegertochter, sie habe Unglück über ihre Familie gebracht.
Ganz stoisch erzählt die junge Frau, 23 Jahre alt, ihre Geschichte, als berühre sie es kaum, was ihr widerfahren ist. Auf ihrem Schoß sitzt Sohn Minh, sieben Monate – auch er verstoßen. „Die Eltern meines Mannes haben kein Recht, so zu handeln“, sagt Gurung. Sie und ihr Sohn sitzen in einem „Female Friendly Space“, den CARE im westnepalesischen Ort Laprak aufgebaut hat. Er besteht aus hintereinander stehenden, miteinander verbundenen Zelten. Im ersten Zelt können die Frauen Tee und Essen kochen. Im zweiten stehen Betten, Polster und Decken, in dem sie ihre Babys stillen, schlafen, Kraft schöpfen und miteinander ins Gespräch kommen können. Das dritte ist das „Bürozelt“. Alle sind mit Isomatten ausgelegt, sanftes Licht dringt herein.
CARE-Freiwillige gingen nach dem Erdbeben im Ort herum, fanden Gammaya und brachten sie zum „Female Friendly Space“. Dort fand sie Ansprache, Zuspruch, Geborgenheit. Und Frauen, denen Ähnliches passiert ist. Frauen, die Hab und Gut, Männer und Kinder verloren haben. Frauen, denen der Tod ihrer Ehemänner auch ihre Lebensgrundlage genommen hat, die nicht wissen, womit sie ihr Haus wieder aufbauen sollen. Diese Frauen und die CARE Helferinnen nennt Gurung „meine Schwestern“.
Bestimmte Gruppen leiden besonders nach Naturkatastrophen
Sie sagten ihr, sie solle nach vorne schauen. Sich um ihren Sohn kümmern, alles andere werde sich finden. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Witwe und Mutter sehr bald einen Mann finden wird, der sie und ihren Sohn aufnimmt. „Ich habe überhaupt noch nicht über meine weitere Zukunft nachgedacht“, sagt Gammaya, bevor sie sich wieder mit ihrem Sohn ins Zelt zurückzieht. Derzeit lebt sie bei ihren Eltern.
Eine Naturkatastrophe trifft alle Menschen gleichermaßen, möchte man meinen, aber das ist falsch. Immer mehr Hilfsorganisationen haben erkannt, dass es unter den vielen Hilfsbedürftigen bestimmte Gruppen gibt, die ganz besonders unter ihr leiden – und denen gemeinhin zu wenig Beachtung geschenkt wird. So kümmert sich HelpAge um die Bedürfnisse alter Menschen; Handicap International konzentriert sich auf Menschen mit Behinderung, von denen viele schon lange vor der Katastrophe benachteiligt waren. Die „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ achten darauf, dass Kinder, deren Eltern vollauf damit beschäftigt sind, ihre Lebensgrundlage wieder aufzubauen, „Child Friendly Spaces“ haben, in denen sie das Geschehene spielerisch aufarbeiten und vor allem weiter Kinder sein dürfen. Und hier in Laprak ist es das Bündnismitglied CARE, das auf die Bedürfnisse von Frauen eingeht.
Häufiges Thema: sexualisierte Gewalt
Vor dem Zelt, neben einem Gemüsebeet mit Spinat-, Mangold-, Mais- und Senfpflanzen, die die Frauen anbauen, steht Radha Deukata, die den „Female Friendly Space“ leitet und von den Nöten der Frauen berichtet: von Frauen im Wochenbett und von Stillenden, die hier einen Rückzugsraum finden. Von „Reproductive Health“, die in Nepal größtenteils Sache der Frauen ist. Von „Dignity Kits“, die an sie verteilt werden, darin Seife, Damenbinden, Kamm, Unterwäsche, Schal und Handtuch. Und sie berichtet von sexualisierter Gewalt. Diese habe zwar schon vor dem Erdbeben existiert, aber seit der „Female Friendly Space“ existiert, haben die Frauen einen Ort und Menschen, an die sie sich wenden können.
Deukata schlägt ein Heft auf, in dem die Aktivitäten penibel notiert sind: 420 Frauen wurden hier seit Juni 2015 beraten und unterstützt. Sie erzählt von einer Schwangeren, die vor den Schlägen ihres Mannes hierher floh und zehn Tage blieb. Sie gebar ein gesundes Kind. Dann kam der Mann. Entschuldigte sich. Versprach Besserung. Sagte, es falle ihm schwer, den Haushalt alleine zu führen. „Er bekam von uns eine eingehende Beratung“, sagt Deukata lakonisch. Seine Frau ging schließlich wieder mit ihm. Zugeschlagen habe er nicht mehr – auch weil ihm klar sei, dass das nicht mehr ohne Folgen bleiben würde.
Vielfältiges Angebot
In „Female Friendly Spaces“ sollen Frauen wieder zu sich kommen können. Hier finden sie nicht nur einen trockenen Platz zum Schlafen, Nahrung, Hygieneartikel und psychosoziale Unterstützung. Sie treffen auch Leidensgenossinnen, finden einen Rückzugsraum, ein Stück Privatheit inmitten des Chaos. In einigen „Female Friendly Spaces“ gibt es auch Alphabetisierungskurse, finanzielle Starthilfen für ein eigenes Business, Angebote für Sport, Theater, berufliche Weiterbildung und Ernährungstipps.
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