Interview mit einer jungen Frau bei Maiti
In den 14 Distrikten, die am schwersten vom Erdbeben betroffen waren, ist der Handel mit Frauen extrem angestiegen. Dem setzt die Organisation Maiti, unterstützt von AWO International, etwas entgegen: Maiti-Mitarbeiterinnen halten in Zusammenarbeit mit der Polizei an 14 Grenzübergängen zu Indien Ausschau nach jungen Frauen, die möglicherweise auf dem Weg in die Zwangsprostitution sind. Eine von ihnen erzählt ihre Geschichte; sie möchte anonym bleiben.
Woher kommen Sie?
Ich komme aus dem Distrikt Sindhupalchok. Mein Vater ist Kleinbauer. Ich habe zwei kleine Brüder und zwei kleine Schwestern. Nicht immer hatten wir genug zu essen. Ich habe mit 16 die Schule verlassen, weil wir uns die Schulgebühren nicht mehr leisten konnten. Seitdem habe ich Rinder gehütet und auf dem Feld gearbeitet. Die Früchte verkauften wir auf dem Markt, und mit dem Geld versuchten wir, wenigstens die Schulkosten für meine kleinen Geschwister zu bezahlen.
Was passierte beim Erdbeben?
Es war ein Samstag. Mein Vater war in Kathmandu. Wir Geschwister hatten gerade zu Mittag gegessen und uns ein wenig hingelegt, als plötzlich die Erde bebte. Wir schafften es gerade noch hinaus. Unser Haus aus Stein und Lehm brach vor unseren Augen zusammen. Wir konnten nichts herausschaffen. Nicht einmal Essen. Wir lebten, aber wir weinten. Wir waren unter Schock. Das ganze Dorf war zerstört. Wir wussten nicht, wo wir schlafen sollten. Irgendwann kam unser Vater nach Hause. Er schaffte die Trümmer zur Seite, grub die Nahrungsmittel aus, wir machten Feuer und kochten. Ein paar Nudeln kauften wir im Laden, aber sie waren sehr teuer nach dem Erdbeben. Auch Leute aus der Stadt kamen, um Nahrung und Decken zu verteilen. Das ging 20 Tage lang so.
Das Erdbeben war im April – wovon hätten sie bis zur nächsten Ernte gelebt?
Es ging uns schlecht. Wir alle hatten zu wenig zu essen. Für uns gab es nichts zu tun. Eines Tages saß ich mit acht Freundinnen beisammen. Wir besprachen, ob wir nicht ins Ausland gehen sollten, um dort Geld zu verdienen, damit wir überleben und unsere Geschwister zur Schule gehen können. So ähnlich wie meine Mutter: Seit ich 16 Jahre bin, arbeitet sie als Haushälterin in Kuwait, um uns mit Geld zu unterstützen.
Und Sie wollten es genauso machen?
Der Onkel eines Cousins sagte, er würde uns helfen, ins Ausland zu gelangen. Also beschlossen wir, das zu tun. Er kam aus unserem Dorf, wir kannten ihn. Er versprach uns gute Jobs als Hausmädchen in Dubai oder Kathmandu. Wir vertrauten ihm.
Wie stellten Sie sich Ihr neues Leben vor?
Wir waren sehr aufgeregt. Wir freuten uns, endlich die Länder und Städte zu sehen, die wir aus dem Fernsehen kannten. Wir dachten auch an neue Kleider.
Was sagte Ihr Vater?
Er wollte, dass ich bleibe. Aber ich bestand darauf, zu gehen. Im Dorf gab es für mich nichts zu tun. Ich musste Geld verdienen für die Familie.
Warum war Ihr Vater gegen die Reise?
Er hat nur gesagt, dass es nicht gut sei, wenn ich ins Ausland gehe, da schon meine Mutter dort sei. Auch damit war er schon nicht einverstanden.
Waren Sie zuvor schon einmal verreist?
In diesen Dingen kannten wir uns nicht aus. Wir hatten unser Dorf zuvor kaum verlassen. In Kathmandu hätten wir uns verlaufen. Wir hatten auch keinen Reisepass. Wir wussten gar nicht, was das überhaupt ist. Alles, was wir hatten, war ein „Citizenship Certificate“, mit dem wir Nepal nicht verlassen konnten. Das gaben wir dem Mann. Er sagte uns, er würde uns damit Pässe besorgen.
Damit hatten sie keinerlei Dokumente mehr bei sich?
Er sagte, wir würden erst nach Bangalore in Indien fahren. Dort würde er uns am Flughafen die Pässe geben, damit wir nach Dubai fliegen können. Wir vertrauten ihm.
Was passierte dann?
Zuerst fuhren wir nach Kathmandu. Nach einer Weile ging es weiter in Richtung der Grenze zu Indien. Der „Onkel“ war nicht mehr dabei. Er hatte uns gesagt: Wenn euch jemand fragt, wo-hin ihr wollt, sollt ihr lügen und sagen, ihr macht einen Ausflug, um einen Tempel zu besuchen.
Warum sollten Sie lügen?
(Keine Antwort)
Sie hatten keine Dokumente bei sich. Sie sollten über Ihr Reiseziel lügen. Wann haben Sie zum ersten Mal gespürt, dass hier etwas nicht stimmt?
Ganz wohl war uns von Anfang an nicht. Wir fragten uns, ob wir diesem Mann vertrauen können. Aber wir waren schon auf dem Weg.
Wer fragte Sie schließlich nach Ihrem Reiseziel?
Eine junge Frau an einer Busstation in der Nähe der Grenze fragte uns. Sie glaubte die Geschichte mit dem Tempel nicht, denn der lag längst hinter uns. Also forderte sie uns auf, auszusteigen und mit zur Polizei zu kommen. Später erfuhren wir, dass die Frau für eine Organisation arbeitet, die junge Frauen an der Grenze davon abhält, ohne Papiere über die Grenze gebracht zu werden.
Was passierte auf der Polizeistation?
Bei der Polizei vernahmen sie uns. Sie sagten uns, dass der Mann ein Betrüger sei. Dass wir sehr naiv seien. Dass wir keine Ahnung hätten, was passiert wäre, wenn wir ihm gefolgt wären.
Hatten Sie zuvor schon einmal von Menschenhandel gehört?
Noch nie. Nach zwei Stunden kamen wir dann ins Büro von Maiti Nepal (jener Organisation, die von AWO International unterstützt wird). Bei Maiti blieben wir elf Tage lang, dann kamen wir in die Zentrale nach Kathmandu. Dort wurden unsere Eltern informiert, dass wir in Sicherheit sind.
Wie hat Ihr Vater reagiert?
Er möchte, dass ich heimkomme, aber ich will nicht.
Warum nicht?
Dort gibt es keine Perspektive für mich. Ich müsste mein altes Leben wieder leben: Kühe hüten, Feldarbeit. Hier bei Maiti kann ich eine Ausbildung machen und dann vielleicht Arbeit finden.
Welche Arbeit?
Ich würde gerne einen Schönheitssalon eröffnen. Auch meine Mutter ist dafür, dass ich hier bleibe.
Was ist aus dem „Onkel“ geworden?
Wir haben Anzeige erstattet, aber er ist noch auf freiem Fuß. Im Dorf ist er nicht mehr aufgetaucht.
Haben Sie hier bei Maiti auch Frauen getroffen, die nicht schon an der Grenze zu Indien abgefangen wurden. Frauen, die schlimme Erfahrungen gemacht haben?
Ja, es gibt viele davon hier im Maiti-Heim. Wenn ich ihre Geschichten höre, geht es mir sehr schlecht. Gleichzeitig bin ich froh, dass mir so viel erspart geblieben ist.
Aufklärung am Busbahnhof
Je ärmer die Menschen, desto leichter sind sie für Menschenhandel anfällig. Dadurch hat auch der Handel insbesondere mit jungen Frauen an den Landesgrenzen Nepals seit dem Erdbeben zugenommen. Maiti Nepal bekämpft zusammen mit AWO International „Sex Trafficking“ auf vielen Wegen: Große Warntafeln an Grenzübergängen, Busbahnhöfen und anderen stark frequentierten Plätzen wurden errichtet, Sensibilisierungsaufkleber in öffentlichen Verkehrsmitteln platziert und Zehntausende leicht verständliche Informationsbroschüren an besonders gefährdete Haushalte verteilt. Die Infomaterialien kommen bereits in 31 Distrikten zum Einsatz. Mittlerweile hat das Kinderhilfswerk Unicef die Materialien nachgedruckt.
Auf der indischen Seite gibt es mit Hilfe einer Partnerorganisation Aufklärungskampagnen und Schulungen für die indische Grenzpolizei, die potenzielle Opfer von Menschenhandel möglichst frühzeitig ausfindig machen soll. Auch am zentralen Busbahnhof von Kathmandu steht ein Informationsstand. Es geht bei den Maßnahmen nicht darum, Arbeitsmigration insgesamt zu verhindern – der globalisierte Arbeitsmarkt, auf den auch Nepalesen drängen, lässt sich nicht einfach abschotten. Deshalb geht es in den Beratungen um Wege, um Arbeitsmigrantinnen und -migranten über Möglichkeiten zu „sicherer Migration“ aufzuklären.
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