
Der Autor und UN-Berater Jean Ziegler setzt sich für das Recht auf Nahrung ein. Im Gastkommentar für Aktion Deutschland Hilft fordert er mehr Einsatz für Menschen in Not – und stellt eine Lösung vor.
von Jean Ziegler
Zu den bizarrsten Versammlungen, denen ich in meiner achtjährigen Amtszeit als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung beigewohnt habe, gehören die so genannten Geberkonferenzen. Auf Englisch heißen sie "Pledging-Conferences". "To pledge" bedeutet "versprechen".
Am großen rechteckigen Konferenztisch im ersten Stock des UN-Wolkenkratzers am New Yorker East River oder des Genfer Völkerbund-Palastes sitzen auf der einen Seite in den üblichen dunkelblauen maßgeschneiderten Anzügen die Diplomaten der Industrie-Staaten.
Auf der anderen Seite sitzen die Programmverantwortlichen der UN-Spezialorganisationen. Die Abgeordneten der Vereinten Nationen beschreiben die anstehende humanitäre Katastrophe und ihre Sofort-Hilfsprogramme. Dann errechnen sie die Beiträge, die zu ihrer Umsetzung unbedingt nötig sind. Die Diplomaten hören zu, stellen Fragen und "versprechen" im Namen ihrer Regierungen, Geld für dieses oder jenes Hilfsprogramm zu überweisen.
Eine furchtbare Hungersnot wütet
Eine der jüngsten gespenstischen Geberkonferenzen fand im März in Genf statt. Es ging um vier Länder – Südsudan, Nordkenia, Somalia, Jemen – in denen eine furchtbare Hungersnot wütet.
Millionen Frauen, Männer und Kinder stehen allein auf dem afrikanischen Kontinent am Abgrund des Hungertodes. Tierkadaver verseuchen die Flüsse und das Grundwasser. Das vergiftete Wasser löste eine mörderische Cholera-Epidemie in Somalia und dem Südsudan aus.
Für die humanitäre Soforthilfe verlangte das UN-Welternährungsprogramm für die kommenden sechs Monate vier Milliarden Dollar: für Medikamente, Kraft-Biskuits und Wasserkanister. Die Industriestaaten stellten gerade mal 247 Millionen bereit.
"Es verenden Menschen wie du und ich"
Seitdem wird gestorben. In den Sümpfen des oberen Niltals im Südsudan, im durch Bomben zerstörten Jemen, in der Wüste Somalias und in den völlig ausgetrockneten Savannen des nördlichen Kenias.
Dort verenden Menschen wie du und ich. Was uns von den Opfern trennt ist nur der Zufall der Geburt. Warum die Hilfeverweigerung der Industriemächte? Ein französischer Diplomat brachte es in Genf auf den Punkt: "Wir haben sechs Millionen Arbeitslose im Land, eine Budgetkrise und leere Kassen".
Kein Geld übrig für Menschenleben
Die Bankenrettung mit Milliarden von Euros an Steuergeldern hat den Staatshaushalt mancher europäischer Staaten ruiniert. Für die Tragödie sind noch andere Akteure verantwortlich. Dafür sterben jetzt Menschen in Afrika.
Im Jemen führt Saudi-Arabien einen Krieg gegen die schiitische Bevölkerung. Paris liefert Saudi-Arabien für 18 Milliarden Euro hochmodernes Kriegsgerät. Im Südsudan bekämpfen sich der Präsident und sein Vize.
Die Vereinten Nationen entsendeten Blauhelme, um das Gemetzel zu stoppen. Aber China erhob sein Veto im Sicherheitsrat und verhinderte, dass die UN-Truppen ein Mandat zum bewaffneten Eingreifen („peace-making“) erhielten. Warum? Weil elf Prozent des von China importierten Erdöls aus dem Südsudan kommen.
Was können wir tun?
Was können wir Bürgerinnen und Bürger tun? Wir können Druck auf unsere Regierungen ausüben, damit sie die Beiträge für die hungernden Menschen weltweit sofort massiv erhöhen. Und wer dazu imstande ist, kann selbst Geld spenden. Jeder Euro bedeutet Leben für ein Kind für einen Tag.
Jean Ziegler ist Soziologe und Autor des jüngst erschienenen Buches "Der schmale Grat der Hoffnung" (Verlag C. Bertelsmann, München 2017). Von 2000-2008 war er UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Heute ist er Vizepräsident des beratenden Ausschusses des UNO-Menschenrechtsrates.
Den Gastkommentar hat er im Frühjahr 2017 für Aktion Deutschland Hilft geschrieben.
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