von ADRA
Gewalt, Dürre und Hunger zwingen rund zwei Millionen Menschen in Nigeria zur Flucht innerhalb ihres Heimatlandes. Nothilfekoordinator René Fechner von ADRA erklärt im Interview, wie sie mit der Hilfe unserer Bündnisorganisation einen Neubeginn schaffen können.
ADRA: Herr Fechner, als ADRA-Nothilfekoordinator kennen Sie die Lage vor Ort. Welches Leben führen die Binnenvertriebenen in Nigeria?
René Fechner: Im Nordosten Nigerias befinden sich über zwei Millionen Binnenvertriebene. Größere Städte wie Maiduguri sind überlaufen, die Mieten sind extrem gestiegen. Menschen, die aufs Land fliehen, bauen dort ihre eigenen Hütten. Sie haben sehr wenig Geld, kaum Nahrung sowie einen schlechten Zugang zu sanitären Anlagen, Hygieneartikeln, Wasser und medizinischer Versorgung.
In ihrer Verzweiflung wissen sich viele Menschen nicht zu helfen. Teils verzichten Erwachsene auf Mahlzeiten, um sie ihren Kindern zu geben. Andere verkaufen ihren gesamten Viehbestand, um kurzfristig an Geld zu kommen, und verlieren damit ihre Lebensgrundlage. Viele sind so hungrig, dass sie sogar Saatgut essen. Frauen unter 18 Jahren werden verheiratet, damit die Familien über den Brautpreis an Geld kommen und sie ein Familienmitglied weniger haben, das ernährt werden muss.
Gibt es für die Menschen trotzdem so etwas wie Alltag?
Das Leben geht weiter. Sobald die Menschen länger an einem Ort bleiben, versuchen sie, ihr Leben wieder in geregelte Bahnen zu lenken und so etwas wie einen Alltag zu schaffen. Beispielsweise werden innerhalb von Flüchtlingscamps Märkte aufgebaut. Der Krieg ist nicht überall spürbar. Die Menschen versuchen, sich zu arrangieren und einen Weg zu finden, mit dem Konflikt umzugehen.
Wo und wie setzt sich ADRA für die Binnenvertriebenen ein?
Der Konflikt findet im Nordosten des Landes statt. ADRA unterstützt hauptsächlich die Vertriebenen im ländlichen Bereich. Wir versorgen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch einheimische Menschen mit Bargeld. In der Dorfgemeinschaft wird analysiert, wie groß die Bedürfnisse der Menschen sind.
Der Fokus liegt auf Familien, die andere Menschen aufgenommen haben, und auf alleinstehenden Frauen mit Kindern, auf Waisenkindern und älteren Menschen. Wichtig ist, Konflikte zu vermeiden. Unabdingbar sind deshalb Gespräche mit Menschen, die nicht als bedürftig eingestuft werden.
Wieso hilft ADRA den Menschen vor Ort mit Bargeld?
Im Nordosten Nigerias gibt trotz des Konflikts viele funktionierende Märkte, auf denen die Menschen Güter kaufen können. Mit dem Bargeld können sich die Menschen so versorgen, wie es ihren Bedürfnissen entspricht. Sie kaufen sich von dem Geld hauptsächlich Nahrung und Hygieneartikel.
Es muss gewährleistet sein, dass sich die Menschen von dem Geld ernähren können. Der Betrag wird anhand lokaler Standards und der Anzahl der Familienmitglieder berechnet. Das Geld wird monatlich ausgezahlt.
Weltweit sind rund 70,8 Millionen Menschen auf der Flucht. Davon sind 25,9 Millionen Flüchtlinge, 3,5 Millionen Asylbewerber und 41,3 Millionen auf der Flucht im eigenen Land.
Das bedeutet: Jeder 108. Mensch auf der Welt hat kein Zuhause. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge sind jünger als 18 Jahre. Uganda meldet 2.800 geflüchtete Kinder, die jünger als sechs Jahre alt und von ihren Eltern getrennt sind.
Etwa 80 Prozent der Flüchtlinge haben in einem direkten Nachbarland Schutz gefunden. Oft in einem Entwicklungsland: Bangladesch, Uganda oder der Libanon sind eher arm. Sie haben im vergangenen Jahr (2018) besonders viele Flüchtlinge aufgenommen.
Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert Flüchtlinge als Menschen, die
- sich außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz haben
- wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine begründete Furcht vor Verfolgung haben
- den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen können oder aus Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren können.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff Flüchtling auch für Binnenvertriebene, Umwelt- und Klimaflüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge verwendet. Im völkerrechtlichen Sinn gelten sie nicht als Flüchtlinge.
Binnenvertriebene sind Flüchtlinge, die innerhalb ihres Heimatlandes Zuflucht suchen. Wirtschaftsflüchtlinge lassen ihr Heimatland aufgrund existenzbedrohender Rahmenbedingungen, Armut und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit hinter sich. Klima- und Umweltflüchtlinge fliehen vor Umweltveränderungen oder Naturkatastrophen. Klimaflüchtlinge sind direkt von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen.
Die Bündnisorganisationen von Aktion Deutschland Hilft helfen Menschen auf allen Stationen ihrer Flucht: in den Herkunftsländern, den Transitländern und in Deutschland.
In Herkunftsländern wie Syrien oder dem Südsudan versorgen Mitarbeiter unserer Hilfsorganisationen die Menschen zum Beispiel mit Lebensmittel- und Hygienepaketen oder Kleidung und Krankenhäuser mit Medikamenten. In Transitländern wie den Balkanländern erhalten die Menschen Nahrungsmittel und Unterstützung beim Bau von Unterkünften sowie Decken, Matratzen und Kleidung. Kommen Flüchtlinge in Deutschland an, unterstützen Mitarbeiter unserer Bündnisorganisationen sie beispielsweise im Umgang mit Behörden, vermitteln Deutschkurse oder betreuen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Erfahren Sie mehr über unsere weltweite Hilfe für Flüchtlinge.
Welche Gefahren birgt die Vergabe von Bargeld für die Empfänger und Ihre Mitarbeiter?
Es besteht das Risiko, nach der Bargeldausgabe überfallen und ausgeraubt zu werden. Deshalb ist es wichtig, die Dorfgemeinschaft, den Dorfältesten und die ADRA-Mitarbeiter vor Ort zu beteiligen. Sie tragen stets ein Satellitentelefon bei sich. So können sie regelmäßig Bescheid geben, wo sie sich befinden und ob es ihnen gut geht. Bei Trainings lernen sie, wie sie sich im Falle einer Entführung verhalten müssen.
Wie wird sich ADRA in Zukunft für die Binnenvertriebenen einsetzen?
Das Wichtigste ist, dass die Menschen neue Strategien entwickeln, um sich ein neues Leben aufzubauen. Viele haben früher in der Landwirtschaft gearbeitet, durch die Flucht aber alles verloren.
Unser Hilfsorganisation führt die Menschen zurück in die Landwirtschaft. Sie werden dabei unterstützt, ein kleines Stück Land zu bekommen. Ein weiterer Schritt ist die Ausgabe von Dünger, Saatgut und Wasserpumpen für die Trockenzeit. So kann das neu erhaltene Land bestellt und durch den Ertrag Einkommen generiert werden.
Als ADRA-Nothilfekoordinator hat René Fechner die Hilfsprojekte für Flüchtlinge in Nigeria bereits zwei Mal besucht. Außerdem baute er für die Hilfsorganisation ein Flüchtlingscamp in Griechenland auf und betreute das Camp Idomeni auf dem Balkan. 2017 war er außerdem mit dem Hilfseinsatz Rohingya in Myanmar und Bangladesch betraut.
+++ Spendenaufruf +++
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis der Hilfsorganisationen,
bittet um Spenden für von Hunger betroffene Menschen in Afrika:
Stichwort: Hunger in Afrika
IBAN DE62 3702 0500 0000 1020 30
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