World Vision leistet Nothilfe und entwickelt Strategien für die Zukunft
Bereits am frühen Morgen haben sich Dutzende von Müttern mit ihren Kleinkindern an der Gesundheitsstation von Kapua eingefunden. Sie liegt 50 Kilometer außerhalb von Lodwar, der Provinzhauptstadt der abgelegenen Turkana-Region im Nordwesten Kenias. Anderthalb Stunden Fahrt mit dem Geländewagen, über staubige Pisten und durch ausgetrocknete Flussbetten hindurch sind nötig, um von Lodwar aus die Station zu erreichen.
Leah Imoru Lobar, ausgebildete Krankenschwester und Mitarbeiterin des Kinderhilfswerks World Vision, kommt einmal die Woche hierher. Gemeinsam mit einer Kollegin vom Gesundheitsministerium überprüft sie das Gewicht der Kinder, nimmt notwendige Impfungen vor, spricht mit den Müttern und untersucht auch sie. „Wenn ein Kind unterernährt ist, nehmen wir es automatisch in unser Ernährungsprogramm auf“, erklärt Leah. „Wenn der Zustand des Kindes sehr ernst ist, geben wir auch therapeutische Nahrung wie Plumpy ’Nut.“ Plumpy ’Nut ist eine energiereiche Erdnussbutter-Paste mit Zucker, Vitaminen und Mineralien angereichert – speziell für eine schnelle Gewichtszunahme entwickelt.
Eigentlich handelt es sich bei der Arbeit der 29-jährigen Krankenschwester um ein langfristig angelegtes Projekt zur nachhaltigen Verbesserung der Ernährungssituation der Kinder in der Region, besonders aber zur Verbesserung der Mutter-Kind-Gesundheit. „Wir arbeiten in enger Kooperation mit dem Gesundheitsministerium, wir versuchen, die Strukturen zu unterstützen und Wissen weiterzugeben“, so Leah Imoru Lobar. Deswegen arbeitet sie immer im Team mit Lucy Asimit Lomechu, die für das Ministerium tätig ist.
Grundimpfungen sind kostenfrei
Zentraler Bestandteil des Programms ist das sogenannte Mother-Children-Booklet, das die beiden stolz präsentieren. Hier werden alle Daten der Mütter und ihrer Kinder aufgenommen. Einmal in der Woche können die Mütter mit ihren Kindern zu der jeweiligen Gesundheitsstation in ihrer Nähe kommen. „Alle notwendigen Grundimpfungen wie zum Beispiel gegen Masern, Röteln oder Kinderlähmung sind kostenfrei, aber viele Menschen hier wissen es gar nicht“, sagt Lucy. Das Handbuch ist speziell für die Bedürfnisse der sogenannten Turkana-People, der Menschen dieser Region, entwickelt worden. Sie sind Viehhirten und Nomaden und ziehen mit ihren großen Ziegenherden durch die Halbwüste, immer auf der Suche nach Wasser und genug Futter für die Tiere.
Alle 40 bis 50 Kilometer hat die Regierung nun kleine Gesundheitsstationen eingerichtet. Überall können die Mütter ihr Gesundheitsbuch vorlegen, das jeweilige Personal ist sofort informiert. „Besonders Unterernährung von Kindern lässt sich so schnell und wirksam bekämpfen“, erklärt Leah von World Vision. An das umfassende Programm sind viele Maßnahmen angegliedert, die dabei helfen sollen, die Gesundheit von Müttern und Kindern langfristig zu verbessern. Hierzu gehören auch die sogenannten Mother-to-Mother-Committees, die World Vision in den Siedlungen der Turkana-People gegründet hat. Sie haben die Aufgabe, wichtige Informationen über Körperhygiene oder auch die Stillzeit für Babys weiterzugeben. „Hier in der Gegend ist es zum Beispiel Sitte, mit dem Stillen der Neugeborenen erst zu beginnen, wenn ein Name gefunden ist. Das kann aber manchmal mehrere Tage dauern“, erklärt Leah. Doch nicht nur unmittelbar nach der Geburt schnellstens mit dem Stillen zu beginnen, sondern auch nach sechs Monaten auf Kindernahrung umzusteigen, verbessert die Ausgangssituation der Kleinsten in ihrem jungen Leben.
Alice Kodet, 30 Jahre alt und eigentlich Mutter von acht Kindern, gehört dem Mütterkomitee im Dorf Nachamae nahe der Gesundheitsstation an. Während des wöchentlichen Treffens der zehn Frauen berichtet sie: „Kurz vor der Dürre bekam ich Zwillinge. Einer der beiden Jungs war von Anfang an schwächlich …“. Dann versagt ihr die Stimme. Der Junge wurde nur wenige Monate alt, der Bruder überlebte, da er unmittelbar in das Nothilfeprogramm von World Vision aufgenommen wurde.
Bauarbeiter statt Nomade
Alice Kodet lebt in einem Gral mit drei Hütten im Dorf. Am Rand neben der Dornenhecke befindet sich das Grab des Kindes, ein Sandhaufen mit runden Feldsteinen bedeckt. Doch für Trauer bleibt wenig Zeit, gilt es doch die anderen Kinder satt zu bekommen und am Leben zu halten. Am Abend kocht Alice einen traditionellen Eintopf mit weißen Bohnen und scharfen Gewürzen auf dem Feuer vor ihrer Hütte. Ihr Mann hat nach der Dürre, während der die meisten Tiere verendeten, das traditionelle Leben aufgegeben und sich als Bauarbeiter in der Stadt verdingt. Er kommt nur noch am Wochenende nach Hause.
Das Leben der Nomaden verändert sich, wie James Longole, der Programm-Manager von World Vision in Lodwar, erklärt: „Neben der Gesundheitsstation hat die Regierung oft auch eine Grundschule gebaut. Drumherum bilden sich nun kleine Siedlungen“, so Longole. In der Folge zieht nicht mehr die gesamte Familie umher, sondern nur noch die männlichen Jugendlichen im Teenager-Alter betreuen die Herden. Mütter, Kleinkinder und Alte bleiben wegen Schule und Gesundheitsversorgung zurück.
Diese Entwicklung ermöglichte es World Vision während der Hungerkatastrophe, schneller und effektiv eingreifen zu können. „Während der Hungerkrise schnellte die Zahl der unterernährten Kinder hier in der zentralen Turkana-Region plötzlich auf fast 25 Prozent hoch“, sagt Longole. Doch bereits im Dezember hatte World Vision die Anzahl mangelernährter Kinder wieder auf 16 Prozent zurückführen können und seitdem ist die Zahl weiter stark rückläufig. Dieser schnelle Erfolg war nur möglich, weil die Mütter regelmäßig zu den Gesundheitsstationen kommen, wo die Kinder sofort in spezielle zusätzliche Ernährungsprogramme aufgenommen wurden.
Doch dies ist für den Leiter des World-Vision-Büros in Lodwar kein Grund zur Entwarnung: „Die nächste Dürre kommt bestimmt, vielleicht schon in den kommenden drei bis vier Monaten und dann müssen wir wieder Nothilfe leisten.“ Von Klimawandel spricht hier niemand gerne, aber Tatsache ist, dass der Regen immer häufiger ausbleibt und es Mensch und Tier nicht gelingt, sich von der vormaligen Krise zu erholen. „Die Lebensweise der Menschen ist ans Klima angepasst, eine Trockenzeit ist kein Problem“, so Longole. „Aber zu viele Trockenzeiten in zu kurzer Zeit schon. Deswegen müssen die Menschen ihre Lebensweise verändern, sich anpassen an die veränderten Bedingungen.“ Auch hier hilft World Vision mit umfassenden Programmen, die gleich mehrere Lebensbereiche abdecken.
Nun lernen die Menschen der Turkana-Region, dort wo es geht, Gemüsegärten anzulegen. Damit wird nicht nur der Speiseplan umfang- und vitaminreicher, sondern Überschüsse können auch auf nahe gelegenen Märkten verkauft werden. Traditionell flechten die Frauen ohnehin Körbe und Bastmatten. Auch hier hilft World Vision bei der besseren Vermarktung. James Longole bringt es auf eine einfache Formel: „We try to make them fit for the future“ (Wir versuchen, sie fit für die Zukunft zu machen). Die traditionelle Lebensweise der Menschen in der Turkana-Region hat sich bereits verändert. Die Regierung von Kenia schätzt, dass in 20 Jahren 40 Prozent von ihnen sesshaft sein werden. Doch dieser Entwicklung sollte man nicht einfach nur zuschauen, meint James Longole, da aus seiner Sicht dann die Verelendung in den Städten droht. Er meint, es sollte ein Mix von allem sein: bessere Bildung, mehr Gesundheit und gute Vermarktung der eigenen Produkte. „Denn keiner ist an das Leben hier so gut angepasst wie diese Menschen“, weiß er. „Alles über Bord zu werfen, ist nicht die Lösung.“
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