Die Freunde der Erziehungskunst widmen sich Kindern im Flüchtlingslager
In der letzten Nacht ist der zwölfjährige Bishar Mohamed Ibrahim im Flüchtlingslager Kakuma im Nordwesten Kenias angekommen. Nun hockt er im sogenannten Reception Center, dem ersten Anlaufpunkt für die Neuen, auf dem Boden eines Unterstandes und malt mit Tusche große bunte Fantasiebilder. Neben ihm sein kleiner neunjähriger Bruder im löchrigen Hemd. Seine 13 Jahre alte Schwester Noorta Abdulani Hassan gesellt sich wenig später dazu. Bishar ist ein ernster Junge, doch sein Englisch ist passabel, und stolz erklärt er, dass er schon in der vierten Klasse ist.
Gelernt hat er es in Dadaab, dem größten Flüchtlingslager der Welt. Hierhin flohen die Mutter und die Kinder zuerst, nachdem neun Männer in das elterliche Haus eingedrungen waren und den Vater erschossen haben. Sie drohten, auch die Mutter zu töten, verschwanden dann aber wieder. Warum die Männer den Vater töteten, weiß Bishar nicht. „Dann sind wir drei Tage und Nächte gewandert, um nach Dadaab zu kommen“, erklärt er fast flüsternd. Die Familie schloss sich einem endlosen Treck an. Die meisten anderen flohen nicht nur vor der Gewalt, sondern vor dem Hungertod. Ihre Existenzgrundlage, die Kühe und Ziegen waren während der furchtbaren Dürre schon lange verendet.
Um Kinder wie Bishar, die jeden Tag neu in Kakuma eintreffen, kümmert sich eine besonders engagierte und von den „Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ in Deutschland ausgebildete Gruppe von Pädagogen. Bis vor Kurzem hat Valerian Mbandi noch an der Waldorf-Schule in Nairobi gearbeitet und Französisch unterrichtet, jetzt leitet er das Team der Traumapädagogen, die bei allen hier nur „Freunde“ genannt werden.
Aktivitäten erklären, Vertrauen aufbauen
Jeden Morgen veranstalten die Freunde einen kleinen Umzug, singend und tanzend, durch das triste Lager. Sie locken die Kinder aus den Baracken, nehmen sie bei der Hand. Gleichzeitig sprechen die lokalen Mitarbeiter, die verschiedensten Nationalitäten angehören und auch in Kakuma leben, die Eltern an, erklären die Aktivitäten, bauen Vertrauen auf. Zu ihnen gehört Tadelech Mengesha Wodajo, 28, Grundschullehrerin aus Äthiopien. Sie lebt bereits seit mehr als fünf Jahren in Kakuma. „Diese Arbeit macht sehr viel Spaß und gibt auch meinem Leben einen Sinn“, sagt sie strahlend.
Traumatische Erfahrungen wie Bishar mussten die meisten Kinder machen, auf ihrem Weg nach Kakuma, was in Kiswahili nichts anderes als „Nirgendwo“ bedeutet. Diese seelischen Verletzungen mit einem kreativen Angebot zu überwinden, ist das Ziel der Freunde. Dabei verbinden sie die waldorfpädagogischen Methoden Rudolf Steiners mit gängigen Methoden der Psychotraumatologie. Tadelech und ihre 22-jährige Kollegin Nagamu Kamal Miriam aus dem Sudan sind überzeugt: „Ob Malen, Basteln, Singen oder Zeichnen – es hilft den Kindern, ihre Erfahrungen zu verarbeiten, und wirkt heilend.“ Auch sie selber lernen jeden Tag dazu, denn der Nachmittag gehört der Fortbildung in den waldorfpädagogischen Methoden.
Das Flüchtlingslager Kakuma in der abgelegenen Turkana-Region im Nordwesten Kenias ist ein Spiegelbild aller Probleme des östlichen Afrikas. Es existiert seit 20 Jahren und beherbergt Menschen aus Burundi, Kongo, Uganda, Sudan, Somalia, Äthiopien und Eritrea. Die meisten verließen wegen Krieg oder politisch motivierter Gewalt ihre Heimat. Seit Anfang des Jahres kommen besonders Menschen aus dem Sudan und Südsudan, wegen der dort anhaltenden Kriegshandlungen hierher. Es werden auch immer mehr somalische Flüchtlinge aus Dadaab überführt, um die Situation dort zu entlasten. Dadaab im Osten Kenias, musste während der schlimmsten Zeiten der Dürre täglich bis zu 1500 Menschen neu aufnehmen.
Kakuma ist eine riesige Bretterbudenstatt mit sandigen Wegen, die sich bei Regen in oft unpassierbare Schlammpfade verwandeln. Strom oder fließendes Wasser gibt es nicht und das Leben im Lager folgt seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten. Offiziell zählt das Lager nach Angaben der Vereinten Nationen rund 100.000 Menschen. Doch tatsächlich sind es mindestens doppelt so viel, da viele auf Eigeninitiative ihre Familienmitglieder nachholen, die sich nicht registrieren lassen. Zurzeit nimmt das Reception Center von Kakuma täglich bis zu 800 Menschen neu auf, darunter bis zu 200 Kinder. Maximal zehn Tage müssen sie in den Baracken bleiben, die mit Plastikplanen in winzige Räume aufgeteilt sind, die jeder Familie zugewiesen werden. „Das ist eine große Herausforderung“, sagt Pädagoge Valerian Mbandi. „Denn jeden Tag kommen und gehen Kinder.“ Daher müssen die nach Alter und Größe aufgeteilten Gruppen immer neu zusammengestellt werden.
Da sitzen sie nun nebeneinander, Kinder aus dem Kongo, Sudan und Somalia, die sich nie begegnet sind und auch in keiner Sprache miteinander reden können. Auch die Vorbildung ist sehr unterschiedlich. Die wenigsten können lesen und schreiben, kaum einer hat jemals eine Schule von innen gesehen. „Vielen müssen wir überhaupt erst einmal zeigen, wie man einen Stift hält und führt“, erklärt Tadelech Mengesha Wodajo. Und so sind die täglichen Aktivitäten der Freunde auch Vorbereitung auf das Leben nach Kakuma. Dem Ort im Nirgendwo, wo viele Aufnahme finden, sich aber eigentlich wegwünschen.
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