... Dr. Markus Moke, Leiter Projekte & Qualitätssicherung bei Aktion Deutschland Hilft. Im Interview spricht er darüber, wie sich die Dauer des Krieges in der Ukraine auf die humanitäre Hilfe auswirkt, welche Bedeutung psychosoziale Angebote haben und wie die Hilfe in Zukunft aussehen kann.
Aktion Deutschland Hilft: Was bedeutet die lange Dauer des Krieges in der Ukraine für die humanitäre Hilfe, die dort geleistet wird?
Dr. Markus Moke: Je länger der Krieg andauert, umso mehr verschärft sich die Lage in allen Lebensbereichen: Durch die zunehmende Zerstörung ziviler Infrastruktur müssen Menschen ohne Strom, Wasser und Heizung, ohne Arbeit, ohne Wohnung überleben – all das führt zu einem sehr hohen humanitären Bedarf. Auch Binnenflüchtlinge aus den Frontgebieten müssen angemessen versorgt werden, das erhöht den Druck zusätzlich.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat seit Kriegsbeginn mehr als 1.500 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen gezählt, Hunderte davon wurden dabei beschädigt – das hat Folgen für die Gesundheitsversorgung der Menschen.
Landminen sind eine wachsende Gefahr für Bevölkerung und Helfer:innen. Und Landwirte können auf stark von Minen verseuchten Äckern nicht aussäen und ernten. Die Angriffe auf die Schwarzmeerhäfen und Getreidelager belasten die Landwirte – und damit die Versorgungslage – zusätzlich.
Alarmierend ist der stark steigende Bedarf an psychologischer Hilfe für die vielen Frauen, Männer und Kinder, die durch den Krieg traumatisiert sind. Der Bedarf ist so groß, dass er nicht einmal ansatzweise gedeckt werden kann. Das wissen wir von unseren Bündnisorganisationen, die Traumatherapien, Einzel- und Gruppensitzungen sowie Telefonhotlines anbieten. Der lange Krieg, die Isolation, die Angst, das macht etwas mit den Menschen: Schlafstörungen, Essstörungen, Angst rauszugehen, Depressionen. Unsere Bündnisorganisationen verlagern deshalb den Schwerpunkt zunehmend weg von kurzfristiger Beratung hin zu längerfristiger Traumahilfe.
Auch die Helfer:innen vor Ort brauchen zunehmend psychologische Hilfe. Denn sie helfen oft unter akuter Lebensgefahr und sind auch persönlich vom Krieg betroffen, haben Angehörige oder ihre Wohnung verloren und fühlen sich erschöpft vom Alltag im Krieg.
Wie lässt sich sicherstellen, dass die Menschen in der Ukraine weiterhin Hilfe bekommen?
Das ist eine ganz große Herausforderung. Wir sehen einen immensen Bedarf an Finanzierung für die Ukraine-Nothilfe. Zugleich aber klafft eine große Finanzierungslücke: 2023 hatte das UN-Nothilfebüro OCHA einen humanitären Bedarf von 3,9 Milliarden US-Dollar festgestellt – gedeckt wurden davon aber nur rund 60 Prozent.
Wir als Bündnis für humanitäre Nothilfe, dem mehr als 20 Organisationen angehören, müssen versuchen, noch mehr lokale Hilfsorganisationen in unsere Arbeit einzubinden, damit wir die betroffenen Menschen erreichen und dem Bedarf an humanitärer Hilfe bestmöglich gerecht werden. Diese Stärkung lokaler Partnerorganisationen ist sehr wichtig. Und: Unsere Bündnisorganisationen setzen bei ihrer Arbeit vor Ort Prioritäten und fokussieren sich auf ihre Kernkompetenzen, denn es kann nicht jeder überall helfen.
Darüber hinaus appellieren wir immer wieder eindringlich an die Öffentlichkeit: Vergesst die Ukraine nicht!
Wie sieht die humanitäre Hilfe des Bündnisses 2024 aus?
Die akute Nothilfe geht auch 2024 unvermindert weiter. Die Menschen müssen nach wie vor versorgt werden: in den Bereichen Nahrung, Wasser, Gesundheit, Hygiene, Notunterkünfte. Hinzu kommt, dass die Bündnisorganisationen wichtige soziale Einrichtungen, Schulen, Gesundheitseinrichtungen und private Wohnhäuser instandsetzen, wo das Kriegsgeschehen es erlaubt. Das sind Vorstufen des Wiederaufbaus. Der eigentliche Wiederaufbau wird eines Tages eine Herkulesaufgabe werden.
Schwierig bleibt die Hilfe unter Kriegsbedingungen allein schon dadurch, dass sich Frontlinien verschieben und der humanitäre Zugang zu Zigtausenden Menschen immer wieder erschwert oder ganz unterbrochen ist.
+++ Spendenaufruf +++
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis der Hilfsorganisationen,
bittet dringend um Spenden für die betroffenen Menschen aus der Ukraine.
Stichwort: Nothilfe Ukraine
IBAN DE62 3702 0500 0000 1020 30, BIC: BFSWDE33XXX
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