Im Jemen sind 22 Millionen Menschen auf Humanitäre Hilfe und Schutz angewiesen. Sie leiden unter akutem Hunger und Gewalt. Zusätzlich bedrohen Krankheiten wie Cholera das Leben hunderttausender Menschen.
Nikolaus Kirchler ist Nothilfekoordinator von ADRA für den Jemen. Im Interview spricht er über die Arbeit, berichtet von Schwierigkeiten und Gefahren – und erklärt, wie die Bündnisorganisation trotzdem Nothilfe leistet.
Aktion Deutschland Hilft: Herr Kirchler, Sie sind Nothilfekoordinator bei ADRA Deutschland e.V. für den Jemen. Wie sieht Ihre Arbeit vor Ort aus?
Nikolaus Kirchler: Aufgrund der Sicherheitslage und wieder aufflammenden Gefechten ist es momentan sehr schwierig, im Jemen zu arbeiten. Als weltweites Netzwerk arbeiten wir mit der lokalen Vertretung ADRA Jemen zusammen. Das heißt, sie arbeiten dort möglichst selbständig und wir unterstützen mit allem was uns zur Verfügung steht. Mit über 1.400 Mitarbeitern ist ADRA die zweitgrößte Hilfsorganisation im Jemen und nahezu im ganzen Land tätig.
Welche Schwierigkeiten gibt es im Jemen und welche Hindernisse begegnen ADRA bei der Arbeit?
Eine besondere Schwierigkeit, die sich für uns im Jemen stellt, ist, dass zahlreiche Konfliktparteien und Gruppierungen an den Auseinandersetzungen beteiligt sind. Das erschwert es im konkreten Fall, Hilfslieferungen mit Cholera-Medikamenten durchzuführen. Wir müssen vorab mit vielen Parteien verhandeln und Umwege in Kauf nehmen, um die Lieferwege zu sichern. Die Strecken sind teils sehr lang und die Straßen schlecht, oft sind es nur Sandpisten. Für die notwendige Sicherheit zu sorgen, ist also nicht nur eine logistische Herausforderung, sondern auch zeitaufwendig.
ADRA hat zwei mobile medizinische Einheiten im Jemen. Warum?
Mobile Einheiten ergeben am meisten Sinn, weil wir die Menschen direkt erreichen können. Der Nachteil bei zentralisierter medizinischer Versorgung ist, dass die Menschen lange zu den Krankenhäusern anreisen müssen. Das ist problematisch: Sie haben kein Geld für teure Transportmittel, müssen krank reisen, die Straßen sind unsicher und es gibt viele zeitaufwendige Check-Points. Leider bekommen wir derzeit aufgrund der sich verschärfenden Sicherheitslage keine Genehmigung mehr mobil zu sein.
Der Druck auf die wenigen noch voll einsatzfähigen Krankenhäuser ist enorm. Manchmal schaffen wir es nicht, alle angereisten Patienten am gleichen Tag zu behandeln. Um das lange Warten in der Hitze erträglicher zu machen, stellen wir gerade ein großes klimatisiertes Zelt vor dem Krankenhaus auf.
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Hilfsorganisationen wird immer wieder der Zugang zu den Menschen im Jemen erschwert. Inwiefern beeinflusst das auch Ihre Arbeit?
Wir müssen alternative Möglichkeiten finden, um unsere Hilfslieferungen zu den Kranken zu bringen. Zum Beispiel befinden sich die Krankenhäuser und Gesundheitsstationen, die ADRA Deutschland unterstützt im Norden des Landes. Dort liegt auch der Hafen von Hodeidah. Den können wir nicht zuverlässig anlaufen, da er immer wieder belagert und gesperrt wird. Zusammen mit action medeor und humedica mussten wir die letzten Hilfslieferungen zum südlich gelegenen Hafen von Aden umleiten. Der Transport über Land ist zwar logistisch aufwändig, dafür kommen die Medikamente aber überhaupt an.
Welche Bedingungen braucht ADRA, um den Menschen im Jemen Hilfe zu leisten?
Insbesondere bei kriegerischen Auseinandersetzungen brauchen wir den sogenannten Humanitarian Space. Also sichere Bereiche, in denen sich unsere Mitarbeiter aufhalten und Zugang zu den Hilfebedürftigen erhalten. Wir arbeiten im Jemen mit der Gewissheit, jederzeit Opfer eines Luftangriffs werden zu können. Das muss man aushalten. Zudem brauchen wir Mitarbeiter, die lokal sehr gut vernetzt und damit gut über die Sicherheitslage informiert sind. Nur so können wir unsere Notfallpläne aktuell halten und im Fall von Militäreinsätzen schnell reagieren. Eine Botschaft ist besonders wichtig: Die Spenden aus Deutschland machen für die Menschen vor Ort einen gigantischen Unterschied. Das kann man nicht hoch genug werten.
Im Jemen sind über 22 Millionen Menschen dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Was muss noch geschehen, um ihnen zu helfen?
Wir haben bereits viele Menschenleben gerettet. Dennoch sind wir als Hilfsorganisation nicht wirklich Teil der Lösung. Gemäß den humanitären Prinzipien sind wir neutral. Die eigentliche Lösung, nämlich die Beendigung der gewaltsamen Auseinandersetzungen, kann nur auf nationaler und internationaler politischer Ebene erreicht werden.
Es muss also eine politische Lösung geben, gleichzeitig ist es für Hilfsorganisationen sehr schwierig, den Menschen im Jemen zu helfen. Was motiviert Sie, Herr Kirchler, immer wieder aufs Neue weiterzumachen?
Natürlich motiviert mich, dass wir mit unserer Arbeit Menschenleben retten. Wir müssen die Menschlichkeit bewahren in einem Land, das Gefahr läuft sie zu verlieren. Wenn wir das erreichen, ist ein anhaltender Frieden und Versöhnung für die Menschen und junge Generation, die mit Gewalterlebnissen aufgewachsen ist, wieder möglich. Diese Hoffnung auf Frieden für die junge Generation motiviert mich. Sie werden die Zukunft sein.
Nikolaus Kirchler ist Länderkoordinator von ADRA. Als Nothilfekoordinator ist er für die Konzeption, Umsetzung und Verwaltung der ADRA-Projekte im Jemen zuständig. Zuvor arbeitete er nach dem Erdbeben in Nepal als Regionalkoordinator Asien Süd.
+++ Spendenaufruf +++
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis der Hilfsorganisationen,
nimmt Spenden für die Betroffenen im Jemen entgegen unter:
Stichwort: Hunger Jemen
IBAN DE62 3702 0500 0000 1020 30, BIC: BFSWDE33XXX
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