von Aktion Deutschland Hilft
Salem Jaffer Baobaid ist humanitärer Helfer. Der Projektkoordinator arbeitet in der westlichen Küstenstadt Hodeida im Jemen. In einem Erfahrungsbericht erzählt er von der Situation in der kriegsgebeutelten Stadt.
Krieg im Jemen: Ein Helfer berichtet
"Die humanitäre Lage in Hodeida wird von Tag zu Tag schlimmer. Ich erkenne die Stadt nicht mehr wieder, sie hat sich in eine Geisterstadt verwandelt. Die meisten Geschäfte haben geschlossen, die verbliebenen Bewohner sind verängstigt und verzweifeln. Ich lebe hier allein und kann mich glücklich schätzen, dass ich meine Kinder mit ihrer Großmutter nach Sanaa bringen konnte – weiter weg von der Gefahr."
Gewalt und Armut in der Hafenstadt Hodeida
Die anhaltende Gewalt in den letzten fünf Jahren hat im ganzen Land hässliche Spuren hinterlassen. Doch nirgends leiden die Menschen so sehr unter den Kämpfen und der Zerstörung wie in Hodeida. Im vergangenen Jahr wurde die Hafenstadt zum gewalttätigsten Ort im Jemen erklärt. Seit der Schließung des Hafens 2015 hat sich die wirtschaftliche Situation Jahr um Jahr rapide verschlechtert.
Vor dem Ausbruch des Konflikts flossen mehr als 80 Prozent der jemenitischen Importe über Hodeida. Ich erinnere mich, wie Hunderte von Arbeitern und Seeleuten am Hafen beschäftigt waren, bevor dieser nur noch darauf beschränkt wurde, Hilfslieferungen zu empfangen. Viele Familien verloren ihre einzige Einkommensquelle und wurden von internationaler Hilfe abhängig.
Hunger im Jemen: Wie eine ganze Nation ernähren?
Seit dem Ausbruch von COVID-19 im Land, wird auch diese immer schwieriger umzusetzen. Die von den Behörden eingeführten Vorsichtsmaßnahmen verzögern die Transporte von Hilfslieferungen ins Landesinnere, obwohl die Menschen diese jetzt so dringend brauchen wie nie zuvor.
Der Krieg im Jemen kann als Folge eines gescheiterten Übergangsprozesses nach dem sogenannten Arabischen Frühling im Jahr 2011 beschrieben werden. Die Wurzeln des aktuellen Konflikts reichen jedoch weiter zurück.
Der Jemen gilt schon lange als das ärmste Land der Arabischen Halbinsel. Schon 2004 kam es zu größeren politischen Unruhen, als sich Menschen im Nordwesten des Jemens gegen die Zentralregierung in der Hauptstadt Sanaa stellten. Langzeit-Präsident Ali Abdallah Salih regierte bereits seit 1978 den Nordjemen – und seit der Vereinigung 1990 mit dem Süden das gesamte Land.
Seine Herrschaft wird als zunehmend autoritär und spalterisch beschrieben. Vor allem eine schiitische Strömung sah sich durch Salihs Politik marginalisiert: die Zaydiyya. Als Protest formierte sich die Huthi-Bewegung – die bis heute eine entscheidende Rolle im Jemen-Krieg spielt.
Im Südjemen formierte sich ebenso Widerstand. Unter anderem forderten die Gruppierungen ihre frühere Unabhängigkeit von der Zeit zurück, bevor das Land vereinigt wurde. Der Krieg begann also als innerjemenitischer Konflikt. Damit verbunden waren mehrere verschiedene Bürgerkriege und Kämpfe – auch zwischen Huthis, südjemenitischen Gruppierungen und anderen Milizen.
Im Jahr 2011 spitzte sich die Situation dann zu: Wie in vielen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas gingen auch im Jemen zahlreiche Menschen auf die Straße. Sie demonstrierten für einen politischen Richtungswechsel und bessere Lebensbedingungen. Diese Bewegung ist als Arabischer Frühling bekannt.
Die Proteste führten 2012 zum Rücktritt des Präsidenten Salih. Eine Übergangsregierung kündigte Neuwahlen und eine neue Verfassung an, doch die Pläne wurden nie umgesetzt. Stattdessen eroberten die Huthis Ende 2014 die Hauptstadt Sanaa. Übergangspräsident Abd Rabbo Mansur Hadi sah ich zum Rücktritt gezwungen.
Hadi bat daraufhin Saudi-Arabien um Unterstützung. Im März 2015 griff das Königreich mit einer Militärallianz in den Konflikt ein.
Seit 2015 kämpfen die Huthi-Rebellen und eine Militärallianz um Saudi-Arabien um die Vorherrschaft im Jemen. So hat sich aus dem Bürgerkrieg ein gewaltvoller Konflikt mit internationalen Parteien entwickelt.
Die Huthis werden vom Iran unterstützt. Deswegen ist häufig die Rede von einem Stellvertreterkrieg. Aber: Der Krieg im Jemen ist zunehmend komplex.
Denn auch der innerjemenitische Konflikt schwelt weiter. Auf lokalen Ebenen kämpfen noch immer verfeindete Gruppierungen aus dem Norden und Süden gegeneinander, die alle unterschiedliche Interessen, Ziele und Hintergründe haben.
Auch die Religion spielt eine Rolle: Die Huthi-Rebellen sowie der Iran gehören der muslimischen Glaubensgruppe der Schiiten an. Die an der Militärallianz beteiligten Länder hingegen sind sunnitisch. In vielen Ländern der Erde gibt es Konflikte zwischen diesen beiden Gruppen.
1990 | Der Nordjemen und der Südjemen vereinigen sich zur Republik Jemen. Doch von Anfang an gibt es Reibungen. Immer wieder kommt es zu politischen Unruhen. |
2011 | Der Arabische Frühling erreicht den Jemen. Es kommt zu Demonstrationen in der Bevölkerung. |
2012 | Die Regierung tritt zurück; Neuwahlen und eine neue Verfassung sollen folgen. |
2014 | Die Huthi-Rebellen erobern die Hauptstadt Sanaa und übernehmen die Macht. |
2015 | Der Machtkampf zwischen den Huthis und der Militärallianz beginnt. Der Bürgerkrieg entwickelt sich zu einem internationalen, bis heute andauernden Konflikt. |
Die Republik Jemen gibt es erst seit 1990. Damals vereinigten sich die Jemenitische Arabische Republik im Norden und die Demokratische Volksrepublik Jemen im Süden (auch Nordjemen und Südjemen genannt).
Der Nordjemen galt als konservativ und wurde lange Zeit vom Nachbarland Saudi-Arabien beeinflusst. Anders als der Südjemen war der Nordjemen aber fast durchgehend ein unabhängiges Land. Der Südjemen gehörte bis 1967 zum britischen Kolonialreich. Nach der Unabhängigkeit verbündete sich das Land mit der Sowjetunion.
Über Jahrzehnte hatten sich die Länder stark unterschiedlich entwickelt. Die unterschiedlichen muslimischen Glaubensrichtungen prägen das Leben der Bevölkerung bis heute. Im Norden leben mehrheitlich Schiiten, im Süden mehr Sunniten.
Die kürzlich beschlossene Halbierung der Nahrungsmittelhilfe durch das Welternährungsprogramm hat eine gewaltige Auswirkung auf die humanitäre Situation. Das Welternährungsprogramm war für die monatliche Versorgung von mehr als 12 Millionen Jemeniten verantwortlich ist. Jetzt sind wir es, die jeden zweiten Monat Lebensmittelpakete verteilen. Doch eine Hilfsorganisation ist nicht dafür ausgelegt oder ausgerüstet, eine ganze Nation zu ernähren.
"Die Lage ist beispiellos schrecklich"
Die gegenwärtige Lage ist beispiellos schrecklich. Ich muss den Menschen, die auf Lebensmittelpakete angewiesen sind, sagen, dass es keine mehr gibt. Ich blicke in ihre von Schmerz und Angst erfüllten Gesichter und muss ihnen so gut ich kann erklären, dass nicht genug für alle da ist. Es zerreißt mir das Herz.
Die Kinder leiden am meisten unter dem Hunger. Der Nährstoffmangel beeinträchtigt ihr Wachstum und ihre Entwicklung. Wenn ich in unsere Behandlungszentren für Unterernährung gehe, bin ich entsetzt, Kinder zu sehen, die so dünn und schwach sind, dass sie kaum atmen können.
Hilfsorganisationen im Jemen am Rande ihrer Kräfte
Viele Hilfsorganisationen haben ihre Arbeit im Jemen aus Sicherheitsgründen einstellen müssen, aber wir sind immer noch vor Ort und retten Leben.
Wir haben in unseren Verteilungszentren neue Maßnahmen wie das Tragen von Masken und Schutzkleidung eingeführt, um die Sicherheit unserer Mitarbeiter und der Menschen, die wir unterstützen, zu gewährleisten. Wir haben auch die Anzahl der Verteilungszentren erhöht, um bei den Ausgaben mehr soziale Distanz zu gewährleisten. Wir tun alles, was wir können, aber der Bedarf ist enorm, und wir können einfach nicht das ganze Land unterstützen.
Der Jemen ist um Jahrhunderte zurückgefallen
Zu allem Überfluss sind die Treibstoffpreise jüngst drastisch gestiegen – um schätzungsweise 20 Prozent und um 35 Prozent seit der Verschärfung der COVID-Krise. Da es hier in Hodeida kein funktionierendes Stromnetz gibt, sind fast alle auf mit Treibstoff betriebene Generatoren angewiesen.
Auch Krankenhäuser sind von der Versorgung mit Brennstoff abhängig, die sie derzeit von der UNO erhalten. Wie ich mitbekommen habe, hat die UNO jedoch signalisiert, dass sie nicht in der Lage sein wird, das bisherige Versorgungsniveau aufrechtzuerhalten. Es würde zu einer Katastrophe führen, wenn die Arbeit der Krankenhäuser zum Erliegen kämme.
Private Haushalte haben hier schon lange keine regelmäßige Stromversorgung mehr. Für ein paar Stunden am Tag ist Strom vorhanden. Dann bricht er plötzlich wieder ein. Lebensmittel kühlen oder die Nachrichten schauen, das ist fast unmöglich. Ich habe das Gefühl, dass wir um Jahrhunderte zurückgefallen sind. Das Virus grassier im Land, doch die Menschen haben vor etwas anderem viel mehr Angst: Dass die Welt eines Tages den Jemen aufgibt und sie alle dem Hungertod überlässt."
Die Menschen im Jemen brauchen Hilfe. Danke, dass Sie die Nothilfe unseres Bündnisses mit einer Spende unterstützen.
+++ Spendenaufruf +++
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis der Hilfsorganisationen,
nimmt Spenden für die Betroffenen im Jemen entgegen unter:
Stichwort: Hunger Jemen
IBAN DE62 3702 0500 0000 1020 30, BIC: BFSWDE33XXX
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