von Mirjam Hagebölling, Rhein-Zeitung
Als Mitte Juli die verheerende Flutkatastrophe über das Ahrtal hineinbrach, war die internationale Hilfsorganisation ADRA aus dem südhessischen Weiterstadt bei Darmstadt nur wenige Tage später vor Ort. Während es anfangs um Soforthilfe ging, haben sich inzwischen feste Projekte zum Wiederaufbau etabliert, darunter vier sogenannte Leuchtturmprojekte.
Feste Projekte zum Wiederaufbau etabliert
Eines davon ist die Unterstützung des Hauses der offenen Tür in Sinzig (HoT), das seit der Flutkatastrophe unter anderem kostenloses Mittagessen an Betroffene und die Schüler der Barbarossaschule ausgibt, deren Mensa durch die Flut stark zerstört wurde.
"Uns war es wichtig, unmittelbar nach der verheerenden Flut bei den Menschen vor Ort zu sein. Deshalb rief ADRA zwei Tage nach der Katastrophe den Einsatzfall Hochwasser aus", resümiert Natalie Luetjens von ADRA. In den ersten Tagen und Wochen nach der Flut habe man unbürokratische Soforthilfe geleistet durch die Auszahlung von Bargeld an Betroffene über die AWO Rheinland.
"Insgesamt konnten wir so mehr als 1.700 Haushalte unterstützen und haben dafür rund 2,8 Millionen ausgeschüttet", so Luetjens. Ebenfalls unbürokratisch konnte auch den betroffenen Landwirt:innen geholfen werden, und gemeinsam mit LandsAid und der Schorlemer Stiftung des Deutschen Bauernverbandes wurde pro Betrieb eine Soforthilfe in Höhe von rund 15.000 Euro ausgezahlt.
Schwerpunkt in der Kinder- und Jugendhilfe
Während der ersten Wochen fuhr ein mobiles Team mehrmals wöchentlich ins Flutgebiet, um vor Ort Fragen zu klären und das Netzwerk zu erweitern. Dadurch kristallisierte sich als Schwerpunkt des Hilfseinsatzes heraus, die soziale Infrastruktur mit dem Schwerpunkt der Kinder- und Jugendhilfe zu unterstützen. "Geförderte Einrichtungen waren und sind vor allem Elterninitiativen, an Schulen angedockte Fördervereine und Kindergärten. ADRA kann als eingetragener Verein soziale Einrichtungen derselben Struktur einfacher fördern als individuelle Haushalte oder Unternehmen", sagt Referentin Liliana Wadelnour.
So hat ADRA innerhalb von sechs Monaten rund 80 Einrichtungen finanzielle Unterstützung zusagen können. "Unser Anspruch war, jede Einrichtung zu besuchen, im Zeitraum der Antragsstellung und im Nachgang. Der Wieder- und Neuaufbau von Kinder- und Jugendeinrichtungen, von Seniorenheimen, von Feuerwehrstrukturen, von Bildungs- und Freizeiteinrichtungen ermöglicht die Bewältigung der Notlage und unterstützt bei der Wiedergewinnung des Alltags", ergänzt Natalie Luetjens.
Als Soforthilfemaßnahme bekam jede Einrichtung von ADRA bis zu 30.000 Euro aus Spendengeldern ausbezahlt. Aus diesen 80 Einrichtungen wurden schließlich vier herausgefiltert, die längerfristig bis 2024 als Leuchtturmprojekte beim Wiederaufbau mit bis zu 630.000 Euro unterstützt werden.
So auch das Haus der offenen Tür (HoT) in Sinzig, das bereits seit mehr als 40 Jahren im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit aktiv ist. Seit der verheerenden Flutkatastrophe war das Haus in der Barbarossastraße eine wichtige Anlaufstelle für Betroffene und versorgte sie mit warmem Essen und Getränken, Lebensmitteln und Kleidung und etablierte einen Waschsalon. Das kostenlose Ferienprogramm für betroffene Kinder und Jugendliche kurz nach der Flut fand große Resonanz.
"Eine Win-win-Situation für alle"
"Das kostenlose Mittagessen für Betroffene ist eine Win-win-Situation für alle, denn es kommt direkt von zwei örtlichen Gastronomiebetrieben. Damit unterstützen wir die Betriebe, die durch die Corona-Pandemie stark gebeutelt sind, und sparen gleichzeitig Verpackungsmüll ein", betont Leiterin Petra Klein. Und dank der Unterstützung durch ADRA konnte das Essensangebot fortgeführt werden.
Bei einem Besuch von ADRA-Mitarbeiterinnen Carina Rolly, Natalie Luetjens und Liliana Wadelnour waren die Aufbauarbeiten für das winterfeste Multifunktionszelt am HoT in vollem Gange, das auch von der Hilfsorganisation mitfinanziert wird. Nach der offiziellen Eröffnung am vergangenen Samstag werden dort nun die Essensausgabe stattfinden sowie Bewegungsangebote für Kinder und Jugendliche.
Außerdem stellt ADRA Mittel zur Verfügung, mit denen zwei Sozialarbeiterstellen geschaffen werden. Diese sollen Beteiligungsprojekte ins Leben rufen, in denen explizit Kinder und Jugendliche zu Wort kommen. "Als Jugendeinrichtung verstehen wir uns als Lobbyisten für junge Menschen. Im bisherigen Wiederaufbauprozess wurden Kinder und Jugendliche nie nach ihrer Meinung gefragt, wie sie den Wiederaufbau gestalten würden. Das wollen wir nun ändern durch die neuen Sozialarbeiter, die in die einzelnen Orte gehen und beispielsweise Zukunftswerkstätten anbieten", betont Klein.
Den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern
Ziel der Arbeit von ADRA ist es, den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft durch die Leuchtturmprojekte zu fördern. "Dadurch kann es gelingen, die Erlebnisse aufzuarbeiten. Wir fördern gezielt Einrichtungen, die den Alltag zum Teil wiederherstellen konnten. Die Wichtigkeit solcher Anlaufstellen darf nicht unterschätzt werden, vor allem im Prozess der posttraumatischen Aufarbeitung. Während der kalten, dunklen Wintermonate wirkt ein wöchentlicher Treff mit bekannten Gesichtern und einer Gesprächsmöglichkeit oft aufbauend", meint Carina Rolly.
Zu den weiteren Organisationen und Einrichtungen, die gefördert werden, gehört der Verein die "AHRche", die in Bad Neuenahr eine Begegnungsstätte mit Werkzeugverleih, Materialausgabe, einem Sportzelt und vielem mehr initiiert hat. Außerdem unterstützt ADRA den Wiederaufbau des Lebenshilfehauses mit 630.000 Euro. Das vierte Leuchtturmprojekt ist die Sanierung eines Kindergartens im nordrhein-westfälischen Swisstal, das ebenfalls stark vom Hochwasser geschädigt wurde.
"Für eine bessere Katastrophenhilfe sind alle Hände nötig"
Sicherlich werde dies nicht die letzte, vielleicht auch nicht die schwerste Umweltkatastrophe in Deutschland sein, resümiert Rolly. "Wichtig ist umso mehr, dass wir uns auf unsere Stärken konzentrieren, auf unsere Nächsten achten und gemeinsam ohne Konkurrenzgedanken, mit Mitgefühl, Verständnis und jedem möglichen Engagement in der Katastrophe aktiv sind. Für eine bessere Katastrophenhilfe sind alle Hände nötig, aus dem Profitbereich, der Politik und der Zivilgesellschaft."
Dieser Artikel ist am 3. Februar 2022 in der Rhein-Zeitung erschienen.
Wir danken der Rhein-Zeitung und der Autorin Mirjam Hagebölling, die uns den Text zur Verfügung gestellt haben, für die Unterstützung.
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