von Aktion Deutschland Hilft
Der Starkregen und das Hochwasser im Juli waren mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch eine Folge des Klimawandels. Bisher haben wir dessen Auswirkungen in Deutschland kaum gespürt – nun hat die Katastrophe viele Menschen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mit voller Wucht getroffen.
Im Interview erklärt der Umweltexperte Professor Dr. Rainer Grießhammer, welche politischen Folgen das Hochwasser hat und was jede:r einzelne zum Klimaschutz beitragen kann.
Aktion Deutschland Hilft: Das Hochwasser im Juli war mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch eine Folge des Klimawandels. Was ist ihr Eindruck rund zwei Monate danach: Hat sich das politische und gesellschaftliche Verhältnis zum Klimaschutz verändert?
Prof. Dr. Rainer Grießhammer: Ja – aber es hatte sich schon in den vergangenen Jahren verändert. Es gab mehr Extremwetterereignisse wie Dürren, Waldbrände, Stürme, Überflutungen. Das Hochwasser war die absolute Zuspitzung – das hat wahrscheinlich viele Zweifler überzeugt, dass das eine Auswirkung des Klimawandels ist und wir etwas tun müssen.
Oft es leider so, dass solche Katastrophen nur eine kurzfristige Reaktion auslösen und dann schnell in Vergessenheit geraten. So war das zum Beispiel nach dem Oderhochwasser 2010. Das ist diesmal anders.
Was ist jetzt anders als damals?
Bei der Oderflut war nicht so klar, wie und ob das Hochwasser mit dem Klimawandel zusammenhing. Es erschien wie ein Einzelereignis. Die Flutkatastrophe 2021 passt dagegen in die Reihe von Extremereignissen und passt zu den Warnungen des Weltklimarats IPCC vor einer weiteren Zunahme von Extremereignissen.
Was können wir als Gesellschaft zum Klimaschutz beitragen?
Das erfordert eine Doppelstrategie. Man muss Verhältnisse und Verhalten ändern. Die Politik muss die Rahmenbedingungen anpassen und Klimaschutzmaßnahmen verstärken; die Bürger müssen diese Maßnahmen unterstützen – auch durch ihr eigenes Verhalten. Deshalb ist es wichtig, dass man die Bürger entsprechend einbezieht. Das wird immer wichtiger.
Den Anteil erneuerbarer Energien zu erhöhen – das haben die Bürger zwar weit überwiegend unterstützt. Auch deshalb, weil niemand dafür sein Verhalten ändern musste. Der Strom kommt ja weiter aus der Steckdose.
Geht es um Bereiche wie um das klimaneutrale Renovieren von Häusern, weniger Autofahren oder Tempolimits, wird es mehr Zurückhaltung oder Gegenwehr geben. Schließlich greifen diese Veränderungen viel stärker in den Alltag ein. Genau da braucht es Unterstützung von der Politik.
Leider befinden wir uns dabei in einer unkomfortablen Situation. Einerseits ist klar, dass wir dem Klimawandel etwas entgegensetzen und Gegenmaßnahmen ergreifen müssen. Andererseits ist damit zu rechnen, dass die Erderwärmung trotzdem weitergeht. Rückgängig machen können wir sie nicht mehr.
Stattdessen ist sie so fortgeschritten, dass wir trotz Klimaschutzmaßnahmen zumindest in den nächsten Jahren mit einer weiteren Verschärfung von Extremereignissen rechnen müssen. Die Erderwärmung kann man nicht wie mit einem Schalter an- und ausschalten.
Die Erderwärmung führt in vielen Regionen schon seit Jahren zu Wasserknappheit, Dürren oder Überflutungen. Zum Beispiel in Subsahara-Afrika oder Bangladesch. Welchen Einfluss haben wir mit unserem Verhalten auf globale Gerechtigkeit?
In der internationalen Klimapolitik hat man lange Zeit vom Zwei-Grad-Ziel gesprochen. Das ist eigentlich ein Missverständnis, denn es ist ja kein Ziel, sondern ein Limit. Das wurde notgedrungen so hoch angesetzt, weil die Erderwärmung ja schon im Gange ist. Aber zwei Grad oder auch das 1,5-Grad-Limit der Paris-Konferenz bedeuten für viele Länder schon lange eine massive Veränderung.
In diesem Zusammenhang höre ich oft: "Deutschland hat ja nur wenig Anteil an den globalen CO2-Emissionen", "Es lohnt sich nicht, etwas zu machen" oder "Wir können ja insgesamt nichts ändern". Dabei schauen eigentlich viele andere auf uns und sagen: Wenn dieses reiche und innovative Land die Energiewende nicht schafft – wer dann? Deutschland könnte vielen Staaten ein Vorbild sein.
Im aktuellen Wahlkampf wird auch über Kohleausstieg und Klimawandel gesprochen. Aber ganz oben auf der Agenda der Regierungsparteien stehen diese Themen oft nicht...
Klimaschutz war und ist durchaus ein Thema, aber die Notwendigkeit wird immer noch dramatisch unterschätzt. Zudem wurde durch die Corona-Pandemie das Klima-Thema vorübergehend in den Hintergrund gedrängt. Auch die Initiative Fridays For Future hat sich hier ja bewusst zurückgehalten.
Die neue Regierung muss deutlich mehr machen – egal, aus welchen Parteien sie sich zusammensetzen wird. Auf die scharfe Kritik des Bundesverfassungsgerichts hat die derzeitige Bundesregierung nicht wirklich reagiert.* Sie hat lediglich formal die Ziele verschärft, aber keine Maßnahmen beschlossen, um die Ziele einzuhalten
Und was kann jede:r Einzelne zum Klimaschutz beitragen?
Regional und kommunal kann jede:r Einzelne viel mehr machen, als nur alle vier Jahre seine Stimme bei der Bundestagswahl abzugeben.
Es gibt sehr viele kommunale Initiativen und Bürgerbegehren, zum Beispiel für Radverkehr, für Photovoltaik oder Tempo-30-Zonen. Auch im eigenen Verhalten kann jeder Mensch vieles ändern: etwa weniger Fleisch essen oder mehr Radfahren.
Eine Person in Deutschland verursacht im Schnitt 7,9 Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) pro Jahr (Stand: 2019). Für jede:n Einzelne:n gibt es viele Möglichkeiten, CO2 einzusparen, etwa durch weniger Verbrauch von Warmwasser, Heizenergie und Strom.
Manches lässt sich mit einem kleinen Schritt dauerhaft einrichten:
- bei der Heizung die gewünschte Raumtemperatur ein Grad tiefer einstellen (z.B. 20 Grad Celsius statt 21 Grad Celsius) und dauerhaft 5 Prozent der teuren Heizenergie sparen
- die Kühlschranktemperatur von 5 Grad Celsius (oft Voreinstellung des Geräteherstellers) auf 7 Grad Celsius einstellen und dauerhaft 15 Prozent des Stroms sparen.
Auch einmalige und größere Entscheidungen wie die Wahl des Wohn- und Arbeitsorts oder die Wahl der Wohnungsgröße und ihres energetischen Standards können zum Klimaschutz beitragen.
Aufgabe der Politik ist es, die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen und mehr Informationen bereitzustellen. Denn laut Prof. Dr. Grießhammer erfolgen Verhaltensänderungen oft deshalb nicht, weil die Bedingungen ungünstig sind (Beispiel: schlechte Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr auf dem Land). Oder, weil Mythen ("Ökokonsum ist grundsätzlich teuer") die Verbraucher:innen darin hemmen, ihr Verhalten zu ändern.
Im jüngsten Buch von Grießhammer (#klimaretten – Jetzt Politik und Leben ändern, Lambertus-Verlag, Freiburg 2020) sind viele weitere konkrete Handlungsmöglichkeiten für Einzelne und Gruppen aufgeführt.
Mehr Tipps unter: www.klimaretten.org/blog/
Quelle: Freiburger Bürgerstiftung / Prof. Dr. Grießhammer
Wichtig ist, sich nicht zu viel auf einmal vorzunehmen. Sonst ergeht es den Vorhaben für mehr Klimaschutz ähnlich wie vielen Neujahrsvorsätzen und sie scheitern nach wenigen Tagen.
Der Vorteil von den meisten Verhaltensänderungen ist: Sie sind auch für die eigene Gesundheit gut und sparen Geld. Außerdem kann das Einzelverhalten dazu beitragen, dass Klimaschutz stärker durchgesetzt wird.
Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Wenn mehr Menschen in der Stadt mit dem Fahrrad fahren, wächst auch der Druck auf die Politik, mehr Fahrradwege zu bauen. Das verstärkt sich gegenseitig.
Professor Dr. Rainer Grießhammer beschäftigt sich seit Jahren mit dem Klimawandel. Er ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zukunftserbe sowie Honorarprofessor für Nachhaltige Produkte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Grießhammer hat zahlreiche wissenschaftlicher Arbeiten und Bücher publiziert. Sein jüngstes Werk "#klimaretten – Jetzt Politik und Leben ändern" erschien 2019.
*Anm. der Red.: Im April 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung von 2019 in Teilen für verfassungswidrig.
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