von Andreas Unger, Aktion Deutschland Hilft
Nicht nur Flüchtlinge brauchen unsere Hilfe – sondern auch die, die es nicht schaffen, dem Krieg zu entfliehen. Ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation CARE koordiniert die Hilfe für belagerte Gebiete in Syrien. Er muss anonym bleiben, um sich und die Menschen, denen er hilft, nicht in Gefahr zu bringen. Hier berichtet er von seiner Arbeit:
Menschen, die unter Belagerung leben, behelfen sich irgendwie. Sie machen aus Kuhmist Bio-Gas für ihre Generatoren. Sie haben angefangen, Autos mit Olivenöl zu betanken oder Diesel aus Plastik herzustellen, was allerdings nach einiger Zeit den Motor kaputt macht. Sie bauen Solar-Paneele aus Satellitenschüsseln. Sie bauen Windräder. Sie fangen schwache Telefonnetzsignale mit Parabolschüsseln auf, um telefonieren zu können. Sie bauen Pilze als Fleischersatz an. Alle Wege, die Probleme zu lösen, sind sehr behelfsmäßig. Weil immer wieder bombardiert wird, können die Menschen die Infrastruktur nicht richtig aufbauen.
Alles, was normalerweise fünf Minuten dauern würde, dauert jetzt drei Stunden: Früher hatte jedes Haus einen Wasseranschluss. Jetzt müssen die Leute das Wasser tragen. Es gibt Tunnel und Schleichwege. Die Menschen leben mit der Angst vor der Bombardierung. Häufig kommt es zu Vertreibungen innerhalb des belagerten Gebietes. Manche kehren schließlich wieder in ihre Stadt zurück, doch ihre Häuser sind zerstört, es gibt
keinen Strom, kein Wasser.
„Wir wollen die Menschen in belagerten Gebieten erreichen“
Besonders schlimm ist es im Winter, wenn die Menschen in unbeheizten Gebäuden sitzen, die völlig zerschossen sind und keine Fenster mehr haben. Ein Liter Heizöl kostet bis zu neun Euro, eine Packung Brot 1,40 Euro. Das durchschnittliche monatliche Gehalt von jemandem, der noch bezahlt wird, liegt bei 70 Euro. Die Menschen in Syrien können sich gar nichts mehr leisten, noch nicht einmal genug zu essen. 13,5 Millionen Menschen in Syrien sind von humanitärer Hilfe abhängig, das sind fast alle im Land. Acht Millionen
Menschen sind entweder innerhalb oder außerhalb des Landes vertrieben. 4,5 Millionen sind völlig von der Versorgung abgeschnitten, sie leben in belagerten Gebieten. Sie wollen wir erreichen.
Die meisten internationalen Organisationen haben keinen Zugang zu Syrien; insgesamt nur vier bis fünf sind in der Lage, humanitäre Nothilfe zu leisten. Der einzige Weg, die Leute zu erreichen, führt über lokale Partner, die in Syrien ansässig sind. Heute gibt es dort über 1000 lokale Hilfsorganisationen. Es gibt sie erst seit Beginn der Krise. Sie sind die Einzigen, die an die Gemeinden herankommen, die wirklich in Not sind. Wir unterstützen diese lokalen Hilfsorganisationen finanziell und bieten auch das nötige Training, um deren Hilfe weiter zu ermöglichen. Die meisten Helfer vor Ort arbeiten unterhalb des Radars: Sie sind nicht registriert, sie operieren im regierungsfreien Raum. Viele bewegen sich auch zwischen Gebieten, die von der Regierung beziehungsweise der Opposition kontrolliert werden – das allein schon ist illegal.
„Besonders gefährdet sind Ärzte“
Wir sind in ständigem Kontakt mit den Helfern, hauptsächlich digital. Nachrichten verschlüsseln wir oder schreiben verklausuliert. Wir benutzen bestimmte E-Mail-Adressen, bestimmte Nummern. Trotzdem kann es passieren, dass jemand erwischt wird. Dann besteht die Gefahr, dass sein ganzes Netzwerk enttarnt wird. Deshalb kennt jeder immer nur einen Ansprechpartner innerhalb seines Netzwerkes.
Wenn jemand festgenommen wird, ist das fatal. Manche sind unter Folter gestorben. Allein die schriftliche Dokumentation einer humanitären Operation kann einen ins Gefängnis bringen. In Syrien ist es sogar verboten, Dollars mit sich zu tragen. Jegliche Hilfe, die in ein belagertes Gebiet geht, wird als Beihilfe zum Terrorismus geahndet. Wer dabei erwischt wird, kommt vor ein Militärtribunal. Wir kennen Menschen, die verhaftet und verschwunden oder getötet worden sind. Von manchen hören wir irgendwann nichts mehr und wissen nicht, warum. Das ist schon oft passiert.
Wir hatten den Fall einer Frau, die vier Mal in Haft war und gefoltert wurde. Sie hat von Anfang an ihr Leben riskiert, um anderen zu helfen. Besonders gefährdet sind Ärzte. Es ist heute in Syrien gefährlicher, ein Arzt zu sein als jemand, der eine Waffe trägt. Denn es ist immer das Misstrauen da, dass er Gegner behandeln könnte. Deshalb werden als erstes die Krankenhäuser bombardiert.
Das Geld für unsere Arbeit stammt aus Spenden, die CARE eingenommen hat sowie von Aktion Deutschland Hilft. Eine Million Euro haben wir seit September 2015 im Budget. Im vergangenen Jahr haben wir damit 22.000 Menschen geholfen. Bis heute sind es insgesamt 40.000. Zum größten Teil leisten wir finanzielle Hilfe, damit unsere Partnerorganisationen dringend benötigte Güter kaufen können, etwa Winterkleidung, Nahrungsmittel, Matratzen. In diesem Jahr wollen wir
130.000 Menschen erreichen.
"Was mir hilft ist die Solidarität unter den Eingeschlossenen"
Wir kümmern uns auch um Frauen, deren Männer im Krieg sind. In Trainings lernen sie, mit Handarbeiten oder durch Landwirtschaft im kleinen Rahmen ein Einkommen für ihre Familie zu erwirtschaften. Das schafft manchmal Probleme, weil in den belagerten Gebieten oft extreme Gruppen unterwegs sind, die nicht wollen, dass sich Frauen im öffentlichen Raum bewegen. Aber dadurch, dass die Partner vor Ort fest verwurzelt sind, können sie ihre Projekte ganz gut verteidigen. Zum Beispiel bilden sie Allianzen mit den lokalen Autoritäten.
Was mir bei dieser Arbeit hilft, ist die unglaubliche Solidarität unter den Eingeschlossenen. Selbst wenn sie nichts mehr zu essen haben, teilen sie noch ihren letzten Bissen mit ihren Nachbarn. Die Menschen, mit denen wir arbeiten, sind bereit, ihr Leben zu opfern. Viele sind darunter, die die Möglichkeit hätten, nach Europa zu gehen. Sie sind gut ausgebildet, haben Angebote für Stipendien bekommen, aber sie wollen nicht weg,
sie wollen helfen, weil sie überzeugt sind, dass die Leute auf sie angewiesen sind.
Es gibt mir positive Energie, dass die Syrerinnen und Syrer in der Belagerung so durchhalten. Sie feiern auch kleine Erfolge, etwa wenn sie eine Wasserpumpe zum Laufen gebracht haben. Die Situation ist richtig schlimm, aber die Menschen sind nicht so verzweifelt, wie sie eigentlich sein müssten, und das hilft auch mir. Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass die Menschen in diesem Land überleben.
+++ Spendenaufruf +++
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