Leonid, 71, sitzt auf einem Bett in einem kleinen Haus mit zwei Zimmern, das ihm und seiner Frau Nadezhda, 73, zur Verfügung gestellt wurde. Das Haus steht in dem Dorf Boroskoye im Osten der Ukraine, welches unter Kontrolle der Regierungstruppen steht. Nadezhda ist verzweifelt und bricht zusammen, als sie den Mitarbeitern von HelpAge erzählt, was ihnen widerfahren ist.
Nadezhda berichtet, dass sie es gerade noch geschafft habe, ihren Heimatsort Perwomajsk zu verlassen. „Unser Haus war durch Bomben komplett zerstört. Wir wussten nicht, wo wir hingehen sollten“, erzählt sie. Es sei schwierig gewesen, ihren Mann mit sich zu nehmen, weil er große Probleme beim Laufen hat. Zunächst sei sie daher alleine und ohne jegliche Habseligkeiten nach Severodonetsk gegangen, um eine Bleibe für sich und ihren Mann zu suchen. Ihr Mann konnte schließlich nachkommen. Einige Leute hatten ihm geholfen, einen Platz in einem Bus zu ergattern und zu fliehen.
Eine neue Bleibe
Direkt nach ihrer Flucht waren Leonid und Nadezhda zunächst bei Verwandten untergekommen, aber Lidia, die Vorsitzende des lokalen Sozialdienstes, empfahl ihnen schließlich das Dorf Boroskoye. Sie leben erst seit einer Woche in dem kleinen Haus. „Wir hatten vorher ein anderes Haus, aber das lag auf einem Hügel und es war sehr mühsam für uns, dorthin zu gelangen. Also habe ich gefragt, ob wir umziehen können und uns wurde dieses Haus zugewiesen. Lidia hat es für uns gefunden. Wir sind ihr unendlich dankbar für ihre Hilfe.“
„Dieses Haus gehört Menschen, die nach Russland geflohen sind“, berichten beide. „Sie haben die Schlüssel des Hauses mit den Worten abgegeben, dass dort Menschen untergebracht werden können, die umsiedeln müssen. Wir müssen für unsere eigene Versorgung aufkommen, aber nicht für die Miete. Die Besitzer hatten fünf Kühe und eine Melkanlage, aber sie haben alles verkauft bevor sie geflohen sind.“
Auch wenn Nadezhda körperlich die stärkere der beiden ist, fällt es ihr sehr schwer, über ihre jetzige Situation zu reden. „Ich bin traurig, weil ich alt bin und alles, was ich jetzt besitze, mir von anderen Menschen zur Verfügung gestellt wurde. Keiner dieser Gegenstände hier gehört mir“, sagt sie während sie sich in dem Raum voll mit Fotos, Dekorationen und Möbeln umschaut, die alle dem Besitzer des Hauses gehören. „Wir können nirgendwo anders hin. Es ist sehr kalt hier, wahrscheinlich weil hier lange Zeit keiner mehr gewohnt hat.“
Schwere Zeiten für ukrainische Familien
Leonid und Nadezhda sind ein typisches Beispiel für ältere Paare, die in die Ukrainekrise verwickelt wurden und plötzlich feststellen müssen, dass sie alleine dastehen und sich ihre Kinder auf unterschiedlichen Seiten der Konfliktgrenzen befinden. Die Tochter der beiden lebt mit ihrer Familie in einer Region, die unter der Kontrolle von Nichtregierungstruppen steht, während ihr Sohn mit seiner Familie in der Nähe von Kiew wohnt. „Wir wissen, dass meine Tochter am Leben ist und in einem Dorf außerhalb von Luhansk wohnt, aber nicht genau wo“, erzählt Nadezhda. „Meine Urenkelin ist sechs und ihre Haare sind bereits ergraut. Wenn mein neunjähriger Enkelsohn laute Geräusche hört, schmeißt er sich sofort zu Boden. Wir haben ihn jetzt bei uns aufgenommen; er liebt seinen Großvater so sehr.“
Obwohl Leonid körperlich fragiler wirkt, scheint er doch belastbarer. Er berichtet, dass er als Kranfahrer in einem Kohlebergwerk in Perwomajsk gearbeitet habe. Scherzhaft erzählt er uns, dass er früher aus der Schule geflogen sei. „Ich hatte einfach immer meinen Spaß und war nicht sehr gehorsam“, sagt er lachend. Seine Frau hat in einer Geburtsklinik gearbeitet. Mittlerweile sind beide im Ruhestand. Leonid erzählt, dass es für sie immer ganz gut gelaufen sei. Da unterbricht ihn Nadezdha und erinnert ihn daran, dass sie diejenige war, die immer alle Probleme gelöst und gekocht, geputzt und eingekauft habe. Da muss Leonid lachen und stimmt ihr nickend zu.
Die Zukunft ist ungewiss
Die beiden sind als Binnenflüchtlinge registriert, haben aber bisher noch keinerlei Unterstützung bekommen. „Wir leben von unseren zwei Pensionen, die wir zudem noch mit unserem Sohn teilen, da er arbeitslos ist. Unserer Tochter können wir nichts schicken, weil wir keinen Zugang zu unserem Konto haben.“
„Ich habe ein paar Nahrungsmittel über das Gutschein-System erhalten – ein wenig Mehl, Öl und Getreide. Ein Mann hat mir geholfen die Lebensmittel nach Hause zu tragen. Auch andere Menschen aus dem Dorf haben uns schon geholfen, indem sie uns Lebensmittel nach Hause gebracht haben, weil ich zu schwach bin, um in der Schlange bei Verteilungen zu stehen“, so Nadezhda.
Als wir sie über ihren Gesundheitszustand fragen, berichtet sie, dass sie auf einem Auge das Augenlicht verloren habe, unter hohem Blutdruck leide und sich oft besorgt und bedrückt fühle. „Mein Mann kann nicht mehr schlafen.“
HelpAge unterstützt mehrere Projekte mit Binnenflüchtlingen in der Ukraine, wobei die Zielgruppe ca. 4.500 alte Menschen sind. So bieten sie u.a. Gesundheitsdienste und Pflegedienstleistungen sowie psychosoziale Betreuung an und stellen orthopädische Hilfsmittel zur Verfügung, wie beispielsweise Hörgeräte, Brillen, Rollstühle und Rollator.
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