Interview mit Carsten Storck, ASB-Projektleiter der Flüchtlingshilfe im Nordirak
Herr Stork, der Arbeiter-Samariter-Bund engagiert sich seit August 2014 in den beiden Flüchtlingslagern Berseve 1 und 2 in Dohuk in der Autonomen Region Kurdistan. Sie leiten vor Ort die Projekte. Wie geht es den Menschen in den Camps?
Sie alle eint die Perspektivlosigkeit. Niemand weiß, wann man wieder in die Heimat zurückkehren kann – und ob dies überhaupt jemals wieder möglich sein wird. Viele Dörfer existieren nicht mehr, in anderen Regionen herrschen weiterhin Terror und Krieg. Auch Landminen sind in den verlassenen Ortschaften ein großes Problem. Doch ein dauerhaftes Leben in den Flüchtlingslagern kann sich natürlich kaum jemand vorstellen. Die Chance, innerhalb oder um die Camps herum Arbeit zu finden und sich ein geregeltes Leben aufzubauen, ist gering. Diese Perspektivlosigkeit lässt viele Menschen über die Flucht nach Europa nachdenken.
Auch Begleiterscheinungen wie zum Beispiel die chaotischen Zustände auf den griechischen Inseln schrecken die Menschen nicht ab?
Sie wissen natürlich davon, aber das alles würde sie sicherlich nicht von ihrer Flucht abhalten. Allerdings benötigt man viel Geld, um eine derartige Flucht überhaupt bewältigen zu können. Geld, das hier kaum jemand hat. So wurden auch wir schon gefragt, ob es die Möglichkeit gibt, mit uns nach Deutschland zu kommen.
Wie begegnen Sie dieser Perspektivlosigkeit?
Für uns Helfer vom ASB ist das schwierig. Die Arbeit mit den Flüchtlingen unterscheidet sich erheblich von der Arbeit mit den Betroffenen großer Naturkatastrophen. Denn nach Erdbeben oder Wirbelstürmen sieht man meist schon nach ein paar Wochen oder Monaten die Erfolge der Hilfsmaßnahmen. Die Menschen können sich dort eine neue Zukunft aufbauen, haben eine klare Perspektive. Hier hingegen ist die Situation sehr belastend.
Was erzählen Ihnen die Menschen?
Ich spreche zum Beispiel häufig mit meinem Fahrer über die Situation. Er hat wenig Hoffnung, dass jemals Frieden und Ruhe einkehren wird. Früher habe man unter Saddam Hussein gelitten, dann seien die Amerikaner gekommen und hätten Besserung versprochen. Doch was folgte, waren Al Qaida, die IS-Truppen und andere radikale Organisationen. Es ist schwer für die Menschen, optimistisch zu bleiben. Man muss wieder und wieder von vorne beginnen.
Dennoch wollen Sie den Menschen Perspektiven geben…
Ja, das ist natürlich unser Ziel. Und glücklicherweise sehen auch viele Spender in Deutschland den langfristigen Nutzen von Hilfsprojekten im Ausland. Denn je mehr wir dort für die Menschen erreichen können, desto weniger werden nach Europa kommen. Keiner verlässt gerne die Heimat. Wenn hier Perspektiven geschaffen werden, gibt es kaum einen Grund mehr, das Land zu verlassen.
In welcher Form unterstützt der ASB die Bewohner der beiden Flüchtlingslager, in denen insgesamt etwa 21.000 Menschen leben?
Als im August 2014 die Lage wegen der blutigen Konflikte im Nordirak eskalierte, stand zunächst die notfallmedizinische Versorgung der Menschen im Vordergrund. Gemeinsam mit action medeor haben wir Medikamente und medizinisches Equipment in die Camps gebracht. Im nächsten Schritt ging es um die Gesundheitsversorgung und darum, Hygieneartikel zu verteilen.
Eine große Herausforderung sind ja sicherlich die klimatischen Bedingungen…
Ja, das stimmt. Im Sommer klettern die Temperaturen schon mal auf über 50 Grad und man findet kaum einen kühlen, schattigen Platz. Im Winter herrschen hingegen Minustemperaturen und eisige Kälte vor. Entsprechend stand und steht auch die Winterhilfe im Fokus unserer Arbeit. Wir verteilen Kerosin für die mobilen Öfen, mit denen die Menschen ihre kleinen Zelte beheizen können – außerdem auch Decken und geeignete Kleidung. Insgesamt unterstützen wir auf diese Weise über 3400 Familien.
Zuletzt hat der ASB zwei Gemeindezentren in den Camps errichtet. Wie hat man sich die Arbeit dort vorzustellen?
Die Zentren dienen in erster Linie als Anlaufpunkt für den sozialen Zusammenhalt der Campbewohner. Diese können sich dort austauschen und kennenlernen. Denn in den Flüchtlingslagern wohnen Jesiden, Kurden und Turkmenen mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen auf engstem Raum zusammen. Ein gemeinsamer Begegnungsort schafft Vertrauen und Verständnis untereinander. Viele Flüchtlinge haben traumatische Erlebnisse zu verarbeiten.
Finden diese Menschen in den Zentren denn passende Ansprechpartner?
Ja. Die psychosoziale Betreuung ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Gemeindezentren. Hierfür wurden Einheimische geschult, da diese die Kultur kennen und somit die Probleme der Menschen verstehen. Es handelt sich um eine Erstberatung. Schwere Fälle werden an professionelle Betreuer weitervermittelt. Doch längst nicht alle Menschen kommen wegen Traumata oder Depressionen zu uns; es sind auch alltägliche Streitigkeiten zwischen den Campbewohnern oder Probleme in den Familien darunter.
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