von Aktion Deutschland Hilft
In vielen Teilen der Welt verursacht der Klimawandel zunehmend soziale und ökonomische Probleme; Menschen werden ihr Zuhause verlassen müssen. Doch eine Flucht in weit entfernte Länder wird auch in Zukunft den wenigsten möglich sein.
Darüber spricht Gerald Knaus – Soziologe, Migrationsforscher und Autor – im Interview. Er ist Mitgründer und Vorsitzender des Think Tanks European Stability Initiative (ESI).
Knaus war Teil der Fachkommission Fluchtursachen: Eine Gruppe unabhängiger Expert:innen widmete sich unter anderem der Frage, wie man die Ursachen von Flucht und irregulärer Migration wirksam mindern kann. Der Bericht wurde im Juni 2021 veröffentlicht.
Aktion Deutschland Hilft: Im Bericht der Fachkommission Fluchtursachen wird der Klimawandel als immer häufiger werdende Fluchtursache genannt. Wie hängen Klima und Flucht zusammen?
Gerald Knaus: Wir wissen, dass der Klimawandel in bestimmten Regionen der Welt zu großen ökonomischen und sozialen Problemen führen wird und bereits führt, vom Sahel bis Kalifornien. An bestimmten Orten werden Menschen nicht mehr leben können.
Doch die meisten werden trotzdem im eigenen Land bleiben, manche vielleicht in einem Nachbarland Schutz suchen. Die wenigsten Menschen fliehen in entfernte Länder. Ein Grund dafür ist die restriktive Grenzpolitik der meisten Staaten der Welt.
Was zeichnet diese Grenzpolitik aus?
Staaten, auch Demokratien, die die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben haben, lassen heute kaum noch fliehende Menschen ihre Grenzen überqueren. So werden Schutzsuchende in Booten vor Australien seit 2013 systematisch zurückgestoßen. Wir sehen ähnliches an den Grenzen zwischen den USA und Mexiko und zwischen Israel und Ägypten.
Und auch in Europa wird das non-refoulement, das "Keine-Pushbacks-Gebot" der Konvention täglich gebrochen. Australien, die USA, Israel, die Europäer haben alle die Konvention ratifiziert.
Diese Entwicklung ist eine Gefahr für den internationalen Flüchtlingsschutz, auch weil es gleichzeitig immer weniger legale Wege gibt. Wenn geschlossene Grenzen das Modell der Zukunft sind, werden wir in einer Welt mit mehr Leid, mehr Binnenvertriebenen und weniger Flüchtlingen leben. Eine Welt, in der Schutzsuchende kein Land mehr erreichen, in dem sie Schutz finden könnten.
Wird die Genfer Flüchtlingskonvention, deren Verabschiedung sich 2021 zum 70. Mal jährt, diesen Entwicklungen noch gerecht – etwa mit Blick auf den Schutz von Menschen, die von der Klimakrise betroffen sind?
In den letzten Jahrzehnten wurden die rechtlichen Möglichkeiten für Menschen, Schutz zu finden, zwar ausgebaut. Ein Beispiel dafür ist der subsidiäre Schutz. Dadurch können Menschen, die in ihrer Heimat durch Konflikte bedroht sind, auch dann Schutz erhalten, wenn ihnen dieser laut Konvention nicht zusteht.
Menschen, die ihren Lebensraum beispielsweise aufgrund steigender Meeresspiegel verlieren, würden wohl ebenfalls subsidiären Schutz erhalten können. Sie sind ja in Lebensgefahr. Das ist das eine.
Und das andere?
Dass Flüchtlingsschutz bis heute in vielen Ländern nur Theorie ist. In Ost-, Süd- und Südostasien leben vier Milliarden Menschen, doch Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention gibt es dort praktisch nicht. In Ländern wie Japan, China, Südkorea, Indien und Indonesien erhält fast niemand die Chance, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Auch Resettlement, also die Aufnahme von Geflüchteten aus einem nichtsicheren Erstaufnahmeland in ein sicheres Drittland, gibt es dort fast nicht.
Das bedeutet: Selbst wenn es Menschen dort gelingt, Grenzen zu überqueren, fehlt es an Asylsystemen. Deutschland ist das Land mit der größten Asylbehörde der Welt – dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Mit einer Asylaußenpolitik könnte es eine Schlüsselrolle dabei spielen, diese Expertise weiterzugeben und für den Asyl-Gedanken zu werben.
Im Bericht der Fachkommission Fluchtursachen heißt es: Fluchtursachen sind nicht nur in den Herkunftsländern zu finden. Was ist damit gemeint?
Ein Beispiel ist der Klimawandel. Obwohl Industrieländer wie China, die USA und in Europa weltweit am meisten CO2 ausstoßen, werden die Auswirkungen der globalen Erwärmung arme Länder am meisten treffen. Und sie werden darauf nicht vorbereitet sein. Armut und Konflikte um Ressourcen werden zunehmen, angetrieben von schwierigen klimatischen Bedingungen und Naturkatastrophen.
Die Industrieländer müssen für ihr Handeln Verantwortung übernehmen. Allerdings werden selbst dann die wenigsten Menschen in der Lage sein, in ein anderes Land zu fliehen. Dadurch werden ihre Probleme für andere wenig sichtbar sein. Doch das heißt nicht, dass es sie nicht gibt.
Was bereitet Ihnen mit Blick auf die Zukunft des internationalen Flüchtlingsschutzes die größten Sorgen?
Dass die Flüchtlingskonvention und ihr Grundsatz der Nichtzurückweisung heute scheitern – unter den Augen der Weltöffentlichkeit und an den Grenzen der reichsten Länder der Welt. Und zwar, indem diese demonstrieren: Wir stoppen auch Schutzsuchende erfolgreich mit Gewalt.
Dazu kommt der Mythos der Massenmigration, eine Politik der Angst, die Rechtspopulisten unabhängig von den tatsächlichen Zahlen machen – auch weil ihnen zu wenige erfolgreich entgegentreten. So kam Donald Trump an die Macht, und er wird nicht der Letzte sein, der das so versucht.
Diese Angst könnte zum politischen Sprengstoff werden, nicht nur zu einer Gefahr für Rechtsstaatlichkeit an Grenzen, sondern auch für Menschenrechte, den Respekt der Menschenwürde und in Europa für die Errungenschaften der Integration vieler Jahrzehnte.
Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht vor Krieg, Hunger, Gewalt und Verfolgung. Die Bündnisorganisationen von Aktion Deutschland Hilft stehen den Familien zur Seite und helfen auf allen Stationen der Flucht. Helfen Sie Geflüchteten jetzt – mit Ihrer Spende!
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