von ADRA
Die humanitäre Lage im Jemen ist aufgrund der andauernden politischen Konflikte katastrophal. Geflüchtete und Binnenvertriebene haben kaum Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Lukas Driedger, Länderkoordinator Jemen und Somalia, berichtet im Interview, wie ADRA die Menschen im Jemen unterstützt.
Sie haben ein Jahr lang im Jemen gelebt. Beschreiben Sie Ihre Eindrücke.
Driedger: Jemen ist ein wunderschönes Land mit einem viel zu schlechten Ruf. Das Hochgebirge mit den jahrhundertealten Dörfern auf den Bergspitzen, die Gastfreundlichkeit der Menschen und ihre Lebensfreude haben mich stets beeindruckt. Wenn man nicht viel über den Jemen weiß, verbindet man mit dem Jemen leider oft negative Attribute wie Krieg und Armut. Das wird diesem vielfältigen Land nicht gerecht. Umso erschütternder ist die Eskalation der humanitären Notlage in den letzten zwei Jahren – das Leid der Zivilbevölkerung ist unbeschreiblich.
Wie ist die aktuelle Lage im Land?
Driedger: Die Friedensgespräche in Kuwait sind vorerst gescheitert. Am Boden bekämpfen sich die verschiedenen Kriegsparteien, aus der Luft fliegt die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition Angriffe auf die Hauptstadt Sanaa und andere Ziele im Nord-West Jemen. Dabei werden immer wieder zivile Einrichtungen, insbesondere auch Krankenhäuser, getroffen. In Hudaidah und Hajjah, den Regierungsbezirken in denen ADRA Deutschland medizinische Nothilfe leistet und unterernährte Kinder behandelt, ist die Lage sehr angespannt. Die Menschen und auch unsere Mitarbeiter sind immer wieder von neuen Luftangriffen bedroht. Mittlerweile befinden sich hunderttausende Menschen auf der Flucht.
Wie hängen die Zustände im Land mit der kritischen Ernährungssituation der Menschen zusammen?
Driedger: Es existiert immer noch eine Seeblockade, sodass nur wenige Güter ins Land kommen. Das ist vor allem beim Treibstoff kritisch, da er im Land sehr teuer und nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen ist. Treibstoff wird aber dringend benötigt, um z.B. Wasserpumpen an Tiefbrunnen anzutreiben. Auch Medikamente sind rar geworden und die Versorgung mit Nahrungsmitteln stellt ebenfalls ein großes Problem dar.
Mangelernährung unter Kindern ist im Jemen extrem verbreitet
Jemen ist in etwa bis zu 95 Prozent von ausländischen Lebensmittelimporten abhängig, da das Land selbst größtenteils nicht landwirtschaftlich nutzbar ist. Insofern betrifft es die Bevölkerung sehr hart, wenn nur geringe Gütermengen importiert werden können. Jemen befindet sich derzeit in einer Hungersnot und akuten Notlage. Die ohnehin hohen Mangelernährungs- und Unterernährungsraten sind in den vergangenen Monaten immens angestiegen. Kleinkinder sind besonders betroffen: Die prozentuale Rate der Mangelernährung bei Kindern im Jemen ist eine der höchsten weltweit. 2015 hatten bereits 12 Millionen Jemeniten keinen ausreichenden Zugang zu Nahrung, mittlerweile sind es über 14 Millionen.
In welcher Form leistet ADRA Hilfe für die Betroffenen?
Driedger: Bereits seit über zehn Jahren engagiert sich ADRA Deutschland im Jemen. Seit über einem halben Jahr ist ADRA in den Regierungsbezirken Hudaidah und Hajjah mit zwei ambulanten Krankenhäusern und mehreren mobilen medizinischen Einheiten aktiv. Zuvor unterhielt ADRA eine ambulante Klinik im Mazraq Camp III im Regierungsbezirk Hajjah, in der geflüchtete Menschen medizinisch versorgt wurden. Aufgrund von Luftangriffen musste das Flüchtlingscamp evakuiert werden und die ambulante Klinik von ADRA konnte aus Sicherheitsgründen nicht bestehen bleiben. ADRAs Ärzte und Pflegepersonal leisten medizinische Grundversorgung und behandeln auch traumatisierte Kinder und Erwachsene. Hebammen betreuen Schwangere und Mütter. In einem separaten Therapieprogramm werden unterernährte Kinder und Frauen mit Zusatz- und Aufbaunahrung behandelt. Als präventive Maßnahme werden Gesundheitsschulungen mit Informationen zu Mangelernährung, Erkrankungen oder auch zum Verhalten in Konfliktgebieten (Schutz vor Landminen) durchgeführt. Lokales Personal wird in Geburtshilfe und in der Behandlung von Unterernährung und Traumata ausgebildet.
Mit welchen gesundheitlichen Problemen haben die Menschen neben der Mangel- und Unterernährung noch zu kämpfen?
Driedger: Die Flüchtlinge sind Wetterextremen wie Hitze, starkem Wind und hoher Luftfeuchtigkeit teilweise schutzlos ausgeliefert, weil sie kein Dach über dem Kopf haben. Bedingt durch diese schlechten Lebensbedingungen sind die häufigsten Krankheiten Atemwegsinfektionen, Durchfallerkrankungen, Harnwegsinfektionen, Malaria und Hauterkrankungen. Unter den vorherrschenden Bedingungen sind diese Krankheiten oftmals lebensgefährlich. Schon eine Erkältung kann bei einem unterernährten Kind zum Tod führen. Insbesondere die steigende Zahl extrem unterernährter Kinder ist sehr besorgniserregend, zumal chronische Unterernährung neben der akuten Lebensgefahr zu schweren, irreversiblen Langzeitschädigungen führt.
Mit welchen Herausforderungen ist ADRA konfrontiert?
Driedger: Die Binnenflüchtlinge sind aus Angst vor Angriffen ständig in Bewegung und bleiben nicht lange an einem Ort, dies erschwert die langfristige Versorgung von unterernährten Kindern und erkrankten Menschen sehr. Die Menschen im Jemen und das Personal von ADRA müssen lernen, mit dieser permanenten lebensbedrohlichen Lage umzugehen. Zusätzlich erschwert der Treibstoffmangel die Arbeit von ADRA. Der Transport wichtiger Medikamentenlieferungen verzögert sich dadurch. Die vielen Checkpoints, die nötigen Transportgenehmigungen oder auch die Sicherstellung, dass alle Konfliktparteien über ADRAs humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung informiert sind, erschweren die Situation zusätzlich. In dieser prekären Lage leisten ADRA Mitarbeiter humanitäre Hilfe vor Ort in einer von der Welt „vergessenen“ Krise.
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