von Johanna Mitscherlich, CARE
Letzte Woche hat die EU verkündet, dass der Deal mit der Türkei bisher „erfolgreich“ war. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge sei gesunken: Nur 5847 Migranten kamen in den vergangenen drei Wochen auf den griechischen Inseln an. In den drei Wochen vor dem Deal mit Ankara waren es 26.878 Menschen.
Aber: weniger Flüchtlinge gibt es dadurch natürlich nicht. Sie sind nur anderswo. Die Türkei, ein Land mit der gleichen Bevölkerungszahl wie Deutschland, soll mit ihren knapp 80 Millionen Einwohnern Europa, einem Kontinent mit mehr als 500 Millionen Einwohnern, die Flüchtlinge abnehmen. Dabei leben dort bereits 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge. In anderen Nachbarländern wie dem Libanon, Jordanien oder dem Irak harren etwa fünf Millionen Menschen teils seit mehr als fünf Jahren aus.
In sehr armen Ländern ist Flüchtlingshilfe unterfinanziert
Die Hilfe in diesen teils selbst sehr armen Ländern ist seit Jahren massiv unterfinanziert; Flüchtlinge können dort nur begrenzt arbeiten, leben in heruntergekommenen Unterkünften und Zelten und nur etwa 40 Prozent der Kinder können dort eine Schule besuchen. Ohne mehr Hilfe für die Länder, die seit Jahren den Großteil der Flüchtlinge bei sich aufnehmen, ohne legale und sichere Wege nach Europa und vor allem ohne friedliche, politische Lösungen für Bürgerkriegsländer wie Syrien, Afghanistan oder Somalia wird sich die Situation der Menschen nicht langfristig verbessern.
Kurzfristige Lösungen der Abschottung hingegen werden das menschliche Leid und die Not nur weiter verschärfen; Flüchtlinge nehmen bereits jetzt längere, gefährlichere Routen auf sich, zahlen mehr Geld an Schmuggler. Jahrelang wurde nicht auf die Situation in und um Syrien geschaut, Umsiedlungszahlen waren genauso verschwindend klein wie die Unterstützung für die Länder vor Ort. Jetzt, wo die „Flüchtlingskrise“ Europa erreicht hat und nun vor seine Außengrenzen zurückgeschoben werden soll, wird weggeschaut und der Erfolg am kurzfristigen Stopp dieser Menschen an der „Weiter-Flucht“ bemessen.
Die Verteilung von 160.000 Menschen verläuft schleppend
Während sich alle Augen auf die Umsetzung des Abkommens zwischen Griechenland und der Türkei richten, harren seit der Schließung der griechisch-mazedonischen Grenze Ende Februar mehr als 46.000 Menschen unter schwierigsten Bedingungen auf dem griechischen Festland aus. Die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder. Nach dem Umsiedlungs-Abkommen der EU sollen bis Mitte Mai 20.000 Flüchtlinge aus Griechenland auf andere EU-Staaten umgesiedelt werden.
Bisher waren es gerade einmal 860. Auch die Verteilung von mehr als 160.000 Menschen aus den Nachbarländern Syriens auf reiche Staaten verläuft bisher schleppend. Von einem klaren Zeichen an Flüchtlinge und Schmuggler, dass sie legale Wege nach Europa nutzen können und sollen, kann man also schwerlich sprechen.
"Wir dürfen nicht aufhören ihre Geschichten zu erzählen"
Ich werde in den nächsten Tagen in Athen und Thessaloniki mit Flüchtlingen aus Kriegsländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak sprechen, die seit Wochen in Griechenland festsitzen. Menschen, die in überfüllten Camps ohne ausreichende sanitäre Einrichtungen und wenig Schutz und Privatsphäre warten und nicht wissen, wann und wohin es weitergeht. Menschen, die zu einem Spielball der Politik geworden sind, eine verschiebbare Masse, für die die Probleme, vor denen sie geflohen sind, längst nicht gelöst wurden. Menschen, die darauf hoffen, dass das europäische Asylsystem sie nicht vergisst und die eigentlich dachten, dass sie das Schlimmste schon hinter sich hatten.
Ich werde griechische und andere Helfer treffen, die seit Monaten unermüdlich versuchen, Menschlichkeit und Solidarität hochzuhalten und den Flüchtlingen etwas Hoffnung und Zuwendung zu schenken. Ich werde bei den ersten Hilfsverteilungen von CARE und unserer Partnerorganisation Solidarity Now dabei sein, die Menschen zugutekommen, die alles verloren haben. Wir dürfen nicht aufhören, ihre Geschichten zu erzählen und müssen sicherstellen, dass ihr Leid nicht durch politische Deals übertönt und vergessen wird.
Denn sie sind es, die von dieser „Flüchtlingskrise“ vor allem betroffen sind. Es ist in erster Linie eine Krise, eine Katastrophe für die Flüchtlinge, nicht unsere Krise mit den Flüchtlingen. Und letztlich, daran scheint es kaum mehr einen Zweifel zu geben, ist diese „Flüchtlingskrise“ vor allem eine Krise der Menschlichkeit, eine Krise all der Werte, für die Europa eigentlich steht.
+++ Spendenaufruf +++
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