von Aktion Deutschland Hilft
Ein eskalierter Machtstreit und fragiler Frieden – die Lage im Sudan und im Südsudan ist schwierig. Seit 2011 sind die Länder getrennt. Gemeinsam haben beide nach wie vor, dass Flucht und immer wieder auch Gewalt den Alltag der Menschen bestimmen.
Krieg und Flucht in Sudan und Südsudan
Henning Kronenberger ist Programmmanager und Koordinator für den Südsudan bei Help – Hilfe zur Selbsthilfe. Im Interview spricht er über die komplexe Lage im jüngsten Land der Welt und warum es für ihn trotz allem Hoffnung gibt.
Aktion Deutschland Hilft: Im Sudan fliehen die Menschen gerade vor einem der heftigsten Bürgerkriege auf der Erde. Gleichzeitig ist der Sudan eigentlich selbst ein Zufluchtsland. Was bedeutet das für die humanitäre Lage?
Henning Kronenberger: Im Sudan, im Südsudan und in den Nachbarländern gibt es sehr viel Fluchtbewegung. Im Sudan sind zurzeit geschätzt 9 Millionen Menschen auf der Flucht, 2 Millionen davon sind ins Ausland geflohen, in den Tschad, nach Ägypten und zum Teil auch in den Südsudan. 25 Millionen Menschen sind nach Schätzungen der UN auf humanitäre Hilfe angewiesen. Unter den Menschen, die in den Südsudan fliehen, sind auch Rückkehrer, die vor dem eigenen Bürgerkrieg zwischen 2013 und 2018 Zuflucht im Sudan gesucht haben. Schätzungsweise 600.000 Menschen waren das, von denen jetzt mehr als 500.000 zurückkommen mussten.
In ein Land, das selbst noch nicht zur Ruhe gekommen ist …
Ja. Der Bürgerkrieg ist zwar seit 2018 offiziell mit einem Friedensabkommen beendet, aber die Nachwirkungen sind immer noch stark zu spüren. 2 Millionen Menschen im Südsudan sind intern Vertriebene, 2 Millionen Südsudanesen leben außerhalb des Landes. Wiederum haben Menschen aus Uganda, Zentralafrika und aus dem Kongo Zuflucht im Südsudan gesucht – gleichzeitig gibt es Fluchtbewegungen in diese Länder. Es ist leider ein wildes und kaum zu regulierendes Drehtür-Szenario.
Worum ging es beim Bürgerkrieg im Südsudan?
Die Ursache lag vor allem in den Spannungen zwischen zwei politischen Kontrahenten, die gleichzeitig die zwei größten ethnischen Gruppen repräsentieren, die Dinka und die Nuer. Auch politische und ökonomische Interessen kleinerer Eliten spielten eine Rolle. Die Spannungen sind weiter greifbar und führen nach wie vor oft zu Konflikten zwischen Kommunen.
Anders als jetzt im Sudan?
Es gibt mit Sicherheit Parallelen – und es gibt Unterschiede. Letztendlich stehen sich in beiden Ländern zwei Machthaber gegenüber, die ihre Interessen gegeneinander in Stellung bringen oder gebracht haben und die ihre jeweiligen Gruppen offensichtlich zum Äußersten treiben können.
Nehmen die Menschen Sudan und Südsudan als zwei strikt getrennte Länder wahr?
Unbedingt, ja! Das ist eine ganz bewusste Trennung, die da vollzogen wurde. Im Südsudan hat man sehr schnell die arabische Sprache als offizielle Landessprache abgeschafft. Es gibt zwar noch arabische Dialekte, die gesprochen werden, aber offizielle Landessprache ist inzwischen Englisch. Auch bei der Religion gibt es sozusagen eine Art Trennlinie – im Südsudan gibt es vergleichsweise wenige Menschen muslimischen Glaubens. Die meisten sind christlich oder gehören einer lokalen Religion an, während der Sudan ja ein muslimisches Land ist.
Bemerkt man den Frieden im Südsudan oder ist er viel zu fragil?
Die Menschen vor Ort berichten schon, dass die Lage in den vergangenen Jahren ein bisschen stabiler geworden ist und das zeigt sich auch durchaus in einigen Infrastrukturprojekten. Help arbeitet zum Beispiel im Lake State. Der war bis vor drei Jahren per Auto praktisch nicht erreichbar, nur mit speziellen Offroad-Fahrzeugen. Es gibt kleine Fortschritte und das ist auch dadurch begünstigt, dass es in den vergangenen Jahren zumindest keine flächendeckenden offenen Kampfhandlungen mehr gab.
Warum hört die Gewalt nicht ganz auf?
Das sind sehr vielfältige Faktoren, die da reinspielen. Es gibt nach wie vor ethnische Spannungen sowie den klassischen Konflikt zwischen sesshafter Landwirtschaft und nomadischer Viehzucht darüber, wie die landwirtschaftlichen Ressourcen genutzt werden. Aber auch die Interessen der herrschenden Eliten, die um Macht und Ressourcen kämpfen, spielen immer eine Rolle.
Dann die starken Auswirkungen des Klimawandels mit abwechselnden Dürren und Überschwemmungen. Und natürlich ist die extreme Armut ein großer Punkt. Die galoppierende Inflation trifft den Südsudan besonders hart. Alles, was importiert wird, ist praktisch nicht mehr finanzierbar. Und selbst die Preise für Lebensmittel aus dem Inland steigen exponentiell. Das sind alles Faktoren, die die Menschen in die Verzweiflung treiben – und letztlich auch Gewalt begünstigen.
Man muss auch sagen: Schon bei seiner Unabhängikeit vom Sudan war die Infrastruktur im Südsudan schwach entwickelt. Und dann ist wegen des Bürgerkriegs sehr viel Geld in Kriegsgeräte geflossen statt in den Aufbau des Landes.
Was sind die größten Probleme?
Der fehlende Frieden. Den gibt es aber nicht, weil Reichtum und Ressourcen innerhalb des Landes extrem ungleich verteilt sind. Daraus wiederum resultieren Probleme wie die unzureichende Nahrungsmittelproduktion, der Hunger, die Armut. Und die fehlende Bildung: Die Analphabetenrate im Südsudan liegt bei über 70 Prozent und gehört damit zu den höchsten der Welt. Es ist ein klassischer Teufelskreis.
Im April 2023 eskaliert ein seit mehreren Jahren schwelender Machtkampf zwischen zwei Generälen im Sudan. Vor allem in der Hauptstadt Khartum gibt es schwere Gefechte. Die Vereinten Nationen gehen von Hunderten Toten und Tausenden Verletzten aus. Und der Konflikt zieht eine humanitäre Katastrophe mit sich. Viele Menschen harren in ihren Häusern aus, ihnen fehlen Lebensmittel, sauberes Trinkwasser und Medikamente.
Schon vor dem aktuellen Konflikt war die politische Lage im Sudan instabil. 2019 wurde der langjährige Machthaber Omar al-Baschir durch einen Militärputsch abgesetzt. Zuvor hatte es monatelange Proteste gegeben.
2021 kam es zu einem weiteren Putsch. Seitdem herrschen der Militärgeneral Abdel Fattah al-Burhan und sein Vize Mohammed Hamdan Daglo, auch als Hemeti bekannt. Dieser führt die Rapid Support Forces (RSF) an, eine paramilitärische Gruppierung. Eine zivile Regierung sollte eingerichtet und freie Wahlen abgehalten werden, doch stattdessen eskalierte der Machtkampf zwischen RSF und Militär.
- April 2010: Wahlen im Südsudan. Viele ethnische Gruppen fechten diese an.
- Mai 2011: Kämpfe um Öl erstrecken sich über weite Teile des Landes.
- Juli 2011: Der Südsudan wird für unabhängig erklärt. Salva Kiir wird Präsident und Rieck Machar sein Vizepräsident.
- Dezember 2013: Kiir bezichtigt Machar, einen Putsch zu planen. Politische Spannungen verschiedener Volksgruppen kochen hoch. Kämpfe brechen aus.
- September 2018: Kiir und Machar unterzeichnen ein Friedensabkommen, das den Bürgerkrieg beendet und den Weg für eine neue Regierungsbildung ebnet.
- Februar 2020: Regierung nach Prinzip der Machtteilung wird gebildet.
- Bis heute: Die humanitäre Lage der Bevölkerung ist schlecht, die Infrastruktur desolat und es mangelt an Gesundheits-, Wasser- und Sanitärversorgung.
Dazu kommen die geographische Lage und die klimatischen Beeinträchtigungen. Der Südsudan ist extrem vom Klimawandel getroffen, viele landwirtschaftliche Flächen werden durch Überschwemmungen regelmäßig zerstört. Das ist besonders dramatisch, weil rund 80 Prozent der Menschen auf dem Land leben und von der Landwirtschaft abhängig sind.
Wie ist die humanitäre Lage im Südsudan?
Es gibt Unterschiede, vor allem zwischen Stadt und Land. Im weltweiten Vergleich würde man trotzdem sagen, dass die Menschen im ganzen Land wirklich unter härtesten Bedingungen zu leben haben. Es gibt 11 Millionen Einwohner, davon sind schätzungsweise 9 Millionen abhängig von externer Hilfe. Von Nahrungsmittelhilfe bis hin zu medizinischer Hilfe – in allen möglichen Bereichen kann das Land letztendlich nicht die Versorgung seiner Bewohner sicherstellen. 7 Millionen Menschen sind von Unterernährung oder Nahrungsmittelunsicherheit akut betroffen. 1,6 Millionen Kinder und fast eine Million schwangere Frauen und stillende Mütter sind schwer unterernährt. Die Zahlen bleiben leider seit Jahren auf einem hohen Niveau.
Was brauchen die Menschen?
Im Moment tatsächlich Soforthilfe. Das fängt bei Nahrungsmittelverteilungen in vielen Regionen an. Auch medizinische Hilfe wird dringend gebraucht. Und die Trinkwassersituation ist insgesamt katastrophal. Die hygienische Situation, vor allem im ländlichen Raum, ist völlig unzureichend und begünstigt natürlich wiederum lokale Krankheitsausbrüche und Epidemien. Es fehlt im ländlichen Raum auf jeden Fall an den Basics, um erst mal überhaupt der Nahrungsmittelunsicherheit Herr zu werden.
Was macht Help im Südsudan?
Wir bauen in verschiedenen Kommunen Wassersysteme und Sanitäranlagen und gleichzeitig fördern wir auch die lokale landwirtschaftliche Produktion. Es gib in vielen Gegenden noch Monokulturen, die natürlich anfällig für Ernteausfälle sind. Es geht darum, vor Ort eine gewisse Unabhängigkeit zu schaffen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Wir sind in mehrere Regionen im Südsudan aktiv, zum Teil auch über unseren lokalen Partner CMD, der Maßnahmen in Jonglei umsetzt – einem Staat, der schwer zugänglich ist und in dem die Sicherheitslage deutlich angespannter ist.
Gibt es Hoffnung?
Ja, es gibt einiges, das auf jeden Fall Hoffnung macht. Zum Beispiel, dass das Friedensabkommen von 2018 einigermaßen gehalten hat – zumindest was größere Kämpfe anging. Es gibt immer noch gewaltsame Konflikte, aber diese großen, landesweiten Konflikte, die sind seit 2018 unter Kontrolle.
Auch im Bereich Infrastruktur und Straßenbau gibt es kleine Fortschritte. Es gibt einige neue Straßen und die sorgen dafür, dass einigen Regionen überhaupt mal der Zugang zum Rest des Landes ermöglicht wurde.
Mit dem Nilbecken sind auch fruchtbares Land und Wasserressourcen da. Sehr viel hängt von den politischen Eliten ab und ob und wie die Ressourcen des Landes sinnvoll in die Entwicklung des Südsudans investiert werden. Die Lage ist schwierig, aber das Potenzial ist da.
Und im Sudan?
Die größten Probleme dort sind derzeit natürlich der Krieg und seine Ursachen, die offensichtlich nur schwierig beizulegen sind. Dieser völlig eskalierte Machtkampf hat nicht absehbare Folgen. Im Moment zeichnet sich leider kein Frieden ab. Die Kämpfe sind furchtbar, auch Krankenhäuser werden angegriffen. Da wird vor nichts Halt gemacht. Die Fluchtbewegungen sind natürlich entsprechend und die humanitäre Lage ist bedrohlich. 18 Millionen Menschen sind von einer akuten Nahrungsmittelunsicherheit bedroht, 5 Millionen von einer akuten Hungersnot. Und 70 Prozent der Gesundheitseinrichtungen im Sudan sind nicht mehr funktionsfähig.
Allein von den nackten Zahlen her ist die Lage im Sudan eine der schlimmsten Situationen auf der Erde und findet im Schatten der vielen anderen Konflikte kaum Beachtung. Dabei wäre noch viel mehr Hilfe nötig.
Bündnisorganisationen wie Help - Hilfe zur Selbsthilfe sind weltweit für Menschen im Einsatz – so wie im Südsudan.
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