Thunayya ist eine von ungefähr 20.000 syrischen Flüchtlingen, die im Azraq Camp in Jordanien Zuflucht gefunden haben. Vor einem Jahr erreichte der seit mittlerweile über vier Jahren andauernde Konflikt in Syrien ihre Heimatstadt Al Qunaytra und zwang die 48-Jährige zur Flucht.
Seit mehreren Monaten engagiert sie sich zusammen mit weiteren 1.800 Flüchtlingen als Freiwillige für CARE. Als Putzfrau im Gemeindezentrum verdient sie umgerechnet etwa sieben Euro am Tag. Es ist das erste Mal, dass sie arbeitet und dem Druck ausgesetzt ist, ihre Familie ernähren zu müssen. Der 85 Jahre alte Vater und die verwitwete Schwester mitsamt ihrer fünf Kinder sind auf Thunayya angewiesen. „Es sind die einzigen Familienmitglieder, die ich in Azraq habe. Meine drei Brüder sind in den Libanon geflohen“, erklärt Thunayya. „Sie haben keinerlei Einkommen.“
Der Andrang für das CARE-Freiwilligenprogramm ist groß
„Als wir hier ankamen, besuchten uns Mitarbeiter von CARE. Sie haben uns von dem Angebot erzählt, sich als Freiwilliger zu engagieren“, erinnert sich Thunayya. „Ich habe mich nach diesem Gespräch sofort registriert, musste allerdings acht Monate warten, bis ich eine Stelle in der Kinderbetreuung von CARE bekam.“ Da die Arbeitsplätze meist auf drei Monate begrenzt sind, hat Thunayya sich nochmals beworben und den Job als Putzfrau bekommen. Das Freiwilligenprogramm bietet sowohl Arbeitsplätze für ausgebildete Flüchtlinge als auch für solche ohne besondere Vorkenntnisse an. Menschen, die besonders gefährdet sind oder aber besondere Fähigkeiten vorweisen können, haben Vorrang. Angebote wie das Freiwilligenprogramm von CARE sind momentan die einzige Möglichkeit für die Bewohner des Azraq Camps, Geld zu verdienen. Bisher haben sich mehr als 4000 Menschen für das Programm beworben.
Auf die Frage, für was sie ihr selbst verdientes Geld ausgebe, erwidert Thunayya: „Mein Vater liebt Früchte und Gemüse und das kann ich mit den Essensgutscheinen nicht kaufen.“ Sie setzt seine Bedürfnisse über ihre eigenen. „Manchmal braucht er Medikamente, die ich nur mit Bargeld bezahlen kann. Einmal war er so krank, dass ich ihn zu einem Arzt nach Mafraq bringen musste –all das bezahle ich mit dem Geld, das ich bei CARE verdiene.“ Das Welternährungsprogramm teilt Essensgutscheine, so genannte E-Cards, an die Camp-Bewohner aus, mit denen sie bargeldlos Grundnahrungsmittel wie Öl, Reis, und Konserven kaufen können. Doch oft sind die Bedürfnisse der Familien größer, sodass sie auf das Geld der Freiwilligenarbeit angewiesen sind.
Zwangsheirat mit gerade einmal 14 Jahren
Thunayya sorgt für ihren Vater, obwohl ihre Beziehung nicht immer einfach war. Kinderehen sind in Syrien weit verbreitet und auch Thunayya sah sich diesem Schicksal ausgeliefert: „Als ich 14 Jahre alt war, verheiratete mich mein Vater gegen meinen Willen an einen älteren Mann. Ich fühlte mich zu jung für die Ehe und wollte weiter zur Schule gehen. Auf meine Einwände erwiderte mein Vater: „Diese Entscheidung liegt nicht bei dir.“ Mein Ehemann und ich haben uns ständig gestritten und wurden nach acht Monaten wieder geschieden. Ich habe ihm sämtliche Geschenke und die Mitgift zurückgegeben und danach nie wieder geheiratet. Ich habe kein Interesse daran.“
Thunayya erinnert sich gerne an die Zeit zurück, in der sie noch zur Schule gehen konnte. „Ich hatte gerade die sechste Klasse beendet, als ich die Schule verlassen musste. Ich wünschte, es wäre anders gelaufen. Die Schule hat mir sehr viel bedeutet, ich war die Beste in meiner Klasse.“ Auch jetzt schreibt und malt sie gerne. „Meine Handschrift ist sehr schön“, verkündet sie stolz. Wenn sie die Gelegenheit hat, das Camp zu verlassen, deckt sie sich mit Kugelschreibern, Blei-, Buntstiften und Notizbüchern ein. „Wann immer ich die Zeit finde, setze ich mich hin und schreibe. Manchmal bringe ich kleine Geschichten oder Märchen zu Papier, die ich in meiner Kindheit gehört habe. Ab und an bin ich auch selbst Autor und denke mir eine Geschichte aus.“
Anfang des Jahres wurde ein Gebiet ausgewiesen, auf dem ein Markt entstehen soll. Dieser soll den Camp-Bewohnern mehr Möglichkeiten bieten, Lebensmittel und Dienstleistungen anzubieten und zu kaufen. Thunayya ist eine der vielen syrischen Flüchtlinge, die der Eröffnung sehnsüchtig entgegenfiebern. „Wenn der Markt öffnet, würde sich die Situation der Menschen deutlich verbessern“, schätzt Thunayya. „Die Lebensmittel im Supermarkt des Camps sind sehr teuer und die Auswahl nur begrenzt. Ich fände es außerdem schön, wenn es mehr Kurse gäbe, Strickkurse für Frauen zum Beispiel.“ Aber eigentlich wünscht sich Thunayya nur eines: „Ich sehne mich danach, mich glücklich und geborgen zu fühlen. Haben das nicht alle Menschen gemeinsam?“
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