Der Pakistan-Experte Dr. Jürgen Clemens berichtet in diesem Interview über Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge, um Menschen rechtzeitig vor Katastrophen zu warnen und die Auswirkungen der Katastrophen zu mindern.
Aktion Deutschland Hilft: „Am 8. Oktober 2005 wurde Pakistan von einem verheerenden Erdbeben heimgesucht, fast 90.000 Menschen kamen in der Kaschmir-Region ums Leben. Die Malteser haben sich damals nach der Nothilfephase auch um winterfeste Unterkünfte gekümmert. Jetzt stehen wir wieder vor einem ähnlichen Problem. Handelt es sich denn nun mehr oder weniger um die gleichen Betroffenen?“
Dr. Jürgen Clemens: „Zum Teil ja: Das Epizentrum des Bebens lag im Norden in der Kaschmir-Region, verursachte aber auch starke Schäden in Kohistan, das nun wieder massiv von der Flut heimgesucht wurde. Auch in Kaschmir haben in diesem Sommer starke Regenfälle Zerstörung sowie Todesopfer ausgelöst. Ansonsten lag das Zentrum der Monsunflut zu Beginn weiter im Nordwesten, etwa im Swat-Tal, und hat sich dann entlang des Indus bis ins Tiefland im Süden Pakistans ausgebreitet. Das sind Regionen, die vom Erdbeben 2005 nur am Rande oder gar nicht betroffen waren.
ADH: „Was ist denn aus den Betroffenen von damals geworden? Haben sie Hilfe erhalten?“
JC: „Man kann sagen: Die wesentlichen Schäden wurden beseitigt und vor allem Wohnhäuser wurden wieder aufgebaut. Hierbei, sowie allgemein beim Wiederaufbau galt die Maxime „to build back better“, das heißt, der Lebensstandard und auch die Erdbebensicherheit sollten verbessert werden. Es wurden aber gewiss nicht alle betroffenen Familien umfassend versorgt. Da wie bei vielen großen Naturkatastrophen vor allem der entstandene Schaden an Eigentum wieder hergestellt wurde, sind diejenigen ohne Grundbesitz in der Regel schlechter gestellt. Gerade für sie sind Einkommen schaffende Maßnahmen von besonderer Bedeutung.
ADH: „Nun fällt in letzter Zeit bei Hilfsorganisationen immer häufiger das Stichwort Katastrophenvorsorge. In diesem Jahr konnten wir verfolgen, dass in einem Land wie Chile, das relativ gut aufgestellt ist, auch ein starkes Erdbeben nicht so große Schäden hinterlässt wie in armen Ländern. Wie handhaben die Malteser das Thema Katastrophenvorsorge?“
JC: Katastrophenvorsorge wird von den Maltesern generell ausgebaut, da es langfristig kosteneffizienter ist als „Nachsorge“. In Pakistan war dies schon ein sehr wichtiges Thema für die Erdbebenhilfe. So haben wir Gesundheitszentren in erdbebenresistenter Bauweise wieder errichtet und dann 2008 im direkten Kerngebiet des Erdbebens mit Mitteln des Auswärtigen Amtes ein Projekt realisiert, mit dem die Menschen vor weiteren, starken Erdbeben gewarnt werden Dies ist ein innovatives System, welches in diesem Projekt erstmalig mit öffentlichen Alarmsirenen kombiniert wurde, ähnlich denen wie wir sie in Deutschland kennen.“
ADH: „Wie werden diese Maßnahmen dann weiter verfolgt, erhalten die Menschen kontinuierliche Trainings?“
JC: „Die Aufgabe ist mittlerweile auf die kaschmirische Katastrophenschutzbehörde übergegangen. Wir werden Im Frühjahr aber ein neues Katastrophenschutzprojekt in Kaschmir starten, das wir wegen der aktuellen Flut aufschieben mussten. Dann werden wir in Muzaffarabad, der Hauptstadt von Azad Jammu und Kashmir, mit der Bevölkerung neben der Erdbebenwarnung auch Vorsorgemaßnahmen bei Überschwemmungen entlang der beiden großen Flüssen im Stadtgebiet treffen. Im Laufe des neuen Projektes werden wir auch Auffrischungskurse für die Freiwilligen aus dem früheren Projekt anbieten.
Außerdem denken wir daran, im pakistanischen Flutgebiet einen Projektansatz aufzugreifen, der sich schon in nordindischen Überschwemmungsgebieten mit ähnlichen geographischen Bedingungen bewährt hat,. Dort wurden für die Siedler entlang des Flusses Handpumpen auf hohe Betonpodeste montiert, so dass die Brunnen bei den alljährlichen Überschwemmungen nicht mit verschmutztem Flusswasser volllaufen und unbrauchbar werden sowie während der Flut mit Booten angefahren und genutzt werden können. Dort wird die Bevölkerung auch über ein relativ einfach durchführbares Frühwarnsystem per Mobiltelefon alarmiert. Bei einer drohenden Überschwemmung werden zuvor gespeicherte Alarmmeldungen automatisch per Handy-Sprachmeldung an zuständige Gemeindemitglieder verschickt. Diese alarmieren dann ihre Nachbarn etwa mit Handsirenen, so dass sich die Menschen rechtzeitig aus dem Gefahrenbereich in Sicherheit begeben können oder mit von den Maltesern bereit gestellten Booten evakuiert werden können.
ADH: „Wenn Katastrophenprävention ein Thema für alle ist, gibt es sicher Zusammenarbeit – wie sieht die aus?“
JC: „Zum einen arbeiten wir mit den jungen staatlichen Katastrophenmanagementbehörden (SDMA) und Gesundheitsbehörden sowie mit ERRA (Earthquake Reconstruction and Rehabilitation Authority) zusammen und koordinieren die Projekte unter anderem über die Strukturen der Vereinten Nationen in Pakistan. In Pakistan haben wir zudem mit der deutschen GTZ einen engen Austausch, so dass wir deren Programm zum Aufbau von Katastrophenschutzstrukturen auf der Provinzebene mit Pilotprojekten vor Ort ergänzen können.
ADH: „Das hört sich so an, als ob im Sinne der Betroffenen eine Hilfsorganisation von der anderen profitieren kann …“
JC: „Das ist richtig. Zudem werden nun auch internationale Förderprogramme zur Katastrophenprävention erweitert und die Katastrophenvorsorge wird vermehrt ein integraler Bestandteil von allgemeinen Förderprogrammen der Entwicklungszusammenarbeit. Dies lässt sich nur in Abstimmung mit anderen Organisationen realisieren.“
ADH: „Ist das auch ein deutsches System? Also ein deutscher Hersteller?“
JC: „Ja, das ist eine Entwicklung eines deutschen Unternehmens, welches vorhandene Techniken, unter anderem aus dem Bergbau weiter entwickelt hat. Dieses System – secty lifePatron® TB – ist patentiert und seine Wirksamkeit wurde unter anderem durch das Geoforschungszentrum in Potsdam bestätigt. Wir haben dieses System im Projektgebiet mit Ausbildungsmaßnahmen in Katastrophenvorsorge für die Menschen dort kombiniert. Diese Technik ist nur dann sinnvoll, wenn die Menschen sie kennen und auf die Gefahren sinnvoll zu regieren wissen. Gerade in abgelegenen Regionen, wo Rettungsdienst und Feuerwehr noch gar nicht existieren, müssen sich die Betroffen bei jeder Katastrophe in der Nachbarschaft selbst helfen können. Genau dies haben wir vor Ort unterstützt.“
ADH: „Wie sieht dann diese Hilfe konkret aus?“
JC: "In jedem Dorfverband haben wir Freiwillige in Erster Hilfe sowie in Techniken zum „Suchen und Retten“ ausgebildet und ihnen die notwendige Grundausstattung übergeben; so wie man das in Deutschland auch von den Maltesern und anderen Hilfsorganisationen kennt. Diese Einsatzgruppen überbrücken die Zeit, bis Rettungsdienste und Katastrophenschutzeinheiten oder die Armee aus der nächstgelegenen Stadt eintreffen und leisten wichtige Hilfe für die Betroffenen. Nach der Ausbildung durch die Malteser und mehreren Übungen wurden diese Einsatzgruppen in die zwischenzeitlich aufgebauten Katastrophenschutzstrukturen integriert; das heißt sie sind jetzt unter dem Kommando der kaschmirischen Katastrophenschutzbehörde. Diese wurde allerdings erst nach dem Erdbeben 2005 mit internationaler Unterstützung gegründet und aufgebaut.“
ADH: „Heißt das also, dass Hilfsorganisationen, oder im besten Fall auch die Bevölkerung selber – es schaffen können, Menschen davor zu bewahren wiederholt Opfer von Naturkatastrophen zu werden?“
JC: „Im Prinzip ja! Für den umfassenden Schutz bei großen Naturkatastrophen, wie etwa der noch anhaltenden Monsunflut in diesem Sommer braucht man aber auch einfach mehr Geld und langfristig angelegte Programme, z.B. für Deiche, Schutzbauten, Rückzugsräume oder Evakuierungsmittel wie Boote. Wir Malteser haben in Pakistan den Schwerpunkt bislang auf die direkte Ansprache der betroffenen Bevölkerung gelegt; das heißt wir unterstützen sie bei der Vorsorge vor und Bewältigung von Katastrophen, indem die Menschen lernen, wie sie sich selbst helfen und ihre Verhaltensweisen anpassen können, um Schäden gering zu halten.
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