von Rhonda Hirst (World Vision)
Jalel war anders als die anderen Kinder in diesem Klassenzimmer. Er war kleiner als die meisten, saß zurückgezogen, etwas abseits, und rollte mit vorsichtigen Fingern die Folie seines Sandwiches herab. Langsam, konzentriert, biss er hinein und kaute, während er seinen Klassenkameraden dabei zusah, wie sie kicherten und schwatzten. Er schluckte, rollte die Folie noch einmal ein Stück herab, biss ein zweites Mal ab. Dann packte er das Sandwich wieder ein.
Wenn du in einen Raum voller Kinder kommst, die die Schrecken des Krieges gesehen haben, dann stehst du jungen Menschen gegenüber, die viel zu schnell gealtert sind. Sie versuchen so gut es geht zurecht zu kommen mit dem, was sie erlebt haben. Sie tragen Verantwortung, die eigentlich Erwachsene tragen müssten. Viele von ihnen sind in einem Zustand extremer emotionaler Aufgewühltheit – voller Trauer, Wut, Traurigkeit, Taubheit.
Jalels Lehrerin Layla erzählte, dass Jalel jeden Tag den Großteil seines Sandwiches aufbewahrte, seit er vor ein paar Wochen in der Schule angefangen hatte. Er aß einige Bissen selbst, den Rest nahm er mit nach Hause. Als Einzelkind packte er das Sandwich nicht für seine Geschwister ein, sondern für seinen Vater und seine Mutter.
Für viele Kinder in den Förderklassen von World Vision ist dies das einzige sichere Essen, auf das sie zählen können. Die meisten schlingen es blitzschnell hinunter. Wer kann es ihnen verdenken – sie haben Hunger und warten sehnlichst auf diese tägliche Ration. Aber mit nur fünf Jahren sorgte sich Jalel nicht um seinen, sondern um den Hunger seiner Eltern.
Fünf Jahre
Die größte Sorge eines Fünfjährigen sollte sein, wer seine besten Freunde in Vorschule oder Kindergarten sind – nicht, ob seine Familie heute Abend genug zu essen hat oder wohin es sie verschlägt, wenn der Hausbesitzer sie rausschmeißt, weil sie das Zimmer nicht mehr bezahlen können.
Ein Fünfjähriger sollte wissen, dass man jederzeit zum Arzt gehen kann, wenn man krank ist, und dass man darauf hinarbeiten kann, die eigene Lage zu verbessern. Er sollte sich nicht sorgen müssen um den eigenen Vater, der wegen seiner Diabetes immer wieder Anfälle hat. Anfälle, die medizinisch leicht zu kontrollieren wären. Hätte die Familie Geld für eine Behandlung.
Jalels Eltern sind dankbar für die Aufmerksamkeit, die Lehrerin Layla ihrem Sohn schenkt. “Sie hat von unserer Situation erfahren, klopfte an unsere Tür und sage, dass Jalel zur Schule gehen kann”, berichtet seine Mutter. In Jordanien, wo sie jetzt leben, stellen allein die Fahrkosten zur Schule für geflüchtete Familien oft eine unüberwindbare Hürde dar, denn die meisten haben kein Einkommen.
Der Förderunterricht von World Vision legt den Schwerpunkt nicht nur darauf, dass die Kinder wichtige Unterrichtsinhalte nachholen, die sie aufgrund ihrer Fluchtsituation verpasst haben. Es geht auch darum, zu gewährleisten, dass die Kinder sicher zur Schule und wieder nach Hause kommen, und dass sie etwas zu essen erhalten, wenn sie da sind. Für Familien, die geflohen sind und dabei alles, außer das was sie am eigenen Leib trugen, zurück zu lassen, ohne Geld für die nächste Miete, ist die Schule das einzig Stabile, auf das sie sich verlassen können.
Eine langfristige Lösung ist das nicht. Vier lange Jahre wütet der Konflikt nun schon in Syrien. Er hat Menschen wie Jalels Familie in eine Lage gebracht, die sie sich nie hätten vorstellen können. Die kämpferischen Auseinandersetzungen haben mehr als zwei Millionen Kinder – zwei Millionen! – aus Syrien vertrieben, herausgerissen aus ihrem sicher geglaubten Leben. Jeder leidet. Die Förderklassen geben wenigstens ein paar Kindern ein Stück Bildung und ein kleines Stück Hoffnung auf die Zukunft zurück.
Aber sie verdienen so viel mehr. Wer ist verantwortlich dafür, dass sie es kriegen?
Die Herausforderung bei lang anhaltenden Krisen wie der Syrienkrise ist, dass das Interesse in dem Maß abnimmt wie die Bedürfnisse zunehmen. Vielleicht sehen wir das Leid der Syrer nicht mehr tagtäglich in unseren Abendnachrichten. Doch für fast vier Millionen Flüchtlinge, die nahezu alles verloren haben, ist es eine unausweichliche Wirklichkeit.
Bildung kann helfen, Kindern, die vielfältige Narben tragen, wieder ein Stück Zukunft zu schenken. Sie kann dazu beitragen, dass die geflüchteten Kinder aus Syrien nicht zu einer verlorenen Generation werden.
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