Viele Familien weltweit feiern Muttertag. Die syrische Journalistin und Aktivistin Ameenah Sawwan verbindet den besonderen Tag mit dramatischen Erlebnissen. In diesem Artikel schreibt sie über den Muttertag in Zeiten von Krieg und Revolution in ihrer Heimat.
von Ameenah Sawwan
Muttertag in Syrien – ein Bericht
Die arabische Welt feiert den Muttertag am 21. März. In Syrien, Ägypten, den Golfstaaten, Jordanien, Palästina, Libyen und Sudan werden Mütter mit Liebe und Geschenken überschüttet. Das Datum fällt mit dem Beginn des Frühlings zusammen.
In den vergangenen Jahren fiel der Muttertag in Syrien mit einem anderen Ereignis zusammen: mit dem Jahrestag des syrischen Aufstandes, der im März 2011 begann. Seitdem hat sich alles verändert. Auch die Rolle der syrischen Mütter.
Für mich und die Menschen in meiner Stadt hat der Muttertag noch eine andere Bedeutung. Die erste Demonstration in Moadamiyeh war am Muttertag 2011.
Angst und Gewalt statt Festmahl und Feiern
Ich erinnere mich noch an jedes einzelne Detail dieses Tages. Wir hatten einen Kuchen für meine Mutter gebacken. Alle meine Brüder und Schwägerinnen waren bei uns zu Hause.
Das Rathaus ist nur 150 Meter von unserem Haus entfernt. Als wir mit meiner Mutter feierten, hörten wir draußen Lärm. Aus dem Fenster sahen wir eine Menschenmenge, die sich vor dem Rathaus sammelte. Sie protestieren für politische Freiheit, genau wie die Menschen im ganzen Land.
Das war etwas völlig Ungewöhnliches. Schon nach kurzer Zeit begannen die Truppen des Regimes, die Demonstranten zu schlagen, Dutzende von Menschen festzunehmen und sie wegzuzerren.
Demonstration & Verhaftungen: Uns gefror das Blut in den Adern
Wir sahen auch, wie sie meinen 16-jährigen Cousin auf der Straße packten. Er war nicht einmal beteiligt, sondern lief zufällig auf dem Weg zu unserem Haus dort vorbei. Wir beobachteten hilflos, wie sie ihn verhafteten. Wir konnten ihn nicht verteidigen. Uns gefror das Blut in den Adern vor Angst und Schock.
Wir kamen zurück ins Wohnzimmer zu dem Festmahl, das wir zur Feier des Muttertages vorbereitet hatten. Es stand noch immer auf dem Tisch. Meine Mutter war wütender als wir alle zusammen. Sie war außer sich von Sorgen und bat mich und meine Schwägerinnen, den Tisch abzuräumen. Niemand wollte etwas essen. Gefeiert haben wir nicht mehr.
Die Lage in Syrien verschlechterte sich…
Bis zum darauffolgenden Jahr hatte sich die Lage in Syrien stark verschlechtert. Die Zahl der Verhaftungen in Moadamiyeh nahm zu. Eine Gruppe von Freunden und ich beschlossen, zum Muttertag einen Besuch bei den Familien der Häftlinge zu organisieren.
Als wir uns darauf vorbereiteten, rief meine Mutter an. Sie bat mich, auf meinen Neffen und meine Nichte aufzupassen, während sie ins Krankenhaus ging: An diesem Muttertag brachte meine Schwägerin einen Jungen zur Welt, Mohamad Khair.
…und es scheint mit jedem Muttertag schlimmer zu werden
Schon vier Jahre später, am Muttertag 2016, hatte der kleine Mohamad Khair keine Familie mehr. Seine Mutter, sein Vater und sein Bruder wurden im August 2013 getötet, als eine Mörsergranate ihr Haus traf. Der Muttertag ist sieben Mal gekommen und wieder gegangen, und jedes Jahr scheint es in Syrien schlimmer zu werden.
Eine Freundin von mir erzählte neulich, dass sie den Muttertag diesmal nicht feiern wolle. Sie schickte ihre Töchter im Alter von fünf und acht Jahren zu einem Freund in einem Vorort von Damaskus. Sie ahnte bereits, dass die Stadt bald wieder von der Regierung belagert würde.
Sie behielt Recht. Kurz nachdem sie gegangen waren, schlossen sich die Kontrollpunkte des Regimes. Seitdem hat sie ihre Töchter nicht gesehen, obwohl sie nur einen oder zwei Kilometer von ihr entfernt sind.
Syrische Mütter sollten stolz sein
Vom Muttertag gibt es Dutzende trauriger Geschichten, an die ich mich erinnere. So viele Mütter haben ihre Kinder verloren und so viele Kinder ihre Mütter. Es ist schwer, Muttertag überhaupt noch zu feiern. Trotzdem sollten syrische Mütter stolz sein.
Vor allem an diesem Tag sollten wir unsere Wünsche für all die großartigen syrischen Mütter aussprechen: Friede für die Seelen der Mütter all der gefangenen und verletzten Menschen in meiner Heimat. Und Kraft für alle syrischen Mütter, die in den vergangenen Jahren ihre Kinder verloren haben.
Stärke von Müttern verdient Anerkennung
Einen guten Wunsch sollten wir den Müttern widmen, deren Stimmen nicht gehört werden: weil sie in Haftanstalten leiden müssen. Muttertag kann kein glücklicher Feiertag sein, solange sie in der Dunkelheit leben.
Es gibt zwar keinen Grund zu feiern, doch alle syrischen Mütter verdienen Anerkennung für die Unterstützung und Stärke, die sie in den vergangenen Jahren geleistet haben. Syrische Mütter sollten lächeln.
Die Autorin dieses Textes, Ameenah Sawwan, war 21 Jahre alt, als sie sich 2011 der syrischen Demokratiebewegung anschloss. Anfang 2014 verließ sie das Land und lebte vorübergehend in den USA, der Türkei und in Jordanien. Seit 2016 lebt sie in Berlin und arbeitet als Journalistin und Wissenschaftlerin. Der Artikel erschien zuerst auf ihrer Webseite.
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