von Aktion Deutschland Hilft
Jeder dritte Mensch im Libanon ist ein Flüchtling. Kein Land auf der Welt hat – im Verhältnis zur eigenen Bevölkerung – mehr Flüchtlinge aufgenommen.
1,5 Millionen Syrer haben seit Beginn des Bürgerkrieges Sicherheit in dem kleinen Nachbarland gesucht. Von den Vereinten Nationen registriert sind aber nur knapp 1 Million Menschen. Außerdem leben circa 500.000 palästinensische Flüchtlinge teils seit Jahrzehnten in dem Land.
Sehen Sie im Video-Interview (oben), was Nidal Atef Ali, Country Director von Islamic Relief, über die Situation der Menschen und die Arbeit der Hilfsorganisationen im Libanon berichtet – oder lesen Sie hier das ganze Interview.
Aktion Deutschland Hilft: Was bedeuten die zahlreichen Flüchtlinge für den Libanon?
Nidal Atef Ali: Erst Anfang der 90er Jahre hatte für die Menschen im Libanon nach 15 Jahren ein Bürgerkrieg geendet. Das Land war also gerade dabei, auf eigenen Beinen zu stehen, als der Krieg in Syrien begann. Zu 4,5 Millionen Menschen kamen rund 1,5 Millionen hinzu. Das hat Folgen für die Wirtschaft, den Zusammenhalt in der Bevölkerung und vieles mehr. Ohnehin schon knappe Ressourcen wie Wasser und Elektrizität müssen seither für noch mehr Menschen reichen.
An dieser Stelle greifen Hilfsorganisationen wie Islamic Relief ein: Mit unseren internationalen Partnern wollen wir für ein besseres Verhältnis zwischen den verschiedenen Gruppen sorgen.
Der Bürgerkrieg in Syrien dauert nun mehr als sieben Jahre an. Teilweise leben die Menschen ebenso lange als Flüchtlinge. Wie geht es ihnen im Libanon?
Die meisten syrischen Flüchtlinge im Libanon sind Landwirte, die ihr Land, ihr Haus und ihre Heimat zurücklassen mussten. Nun sitzen sie irgendwo in einem Zelt. Wenn es draußen kalt ist, ist es darin sehr kalt und wenn es heiß ist, sehr heiß.
Die Menschen dürfen nicht arbeiten und wenn doch, dann sind nicht genug Jobs für alle da. Es ist eine sehr schwierige Situation für sie. Sie empfinden sich als Last für die libanesische Bevölkerung. Sie sind traurig. Und gleichzeitig sehen sie kein Licht am Ende des Tunnels. Dieser Tunnel ist zu lang für sie.
Wie helfen Hilfsorganisationen wie Islamic Relief den Menschen im Libanon?
Wir helfen den Flüchtlingen zum Beispiel mit Nahrungsmitteln und Decken und Kleidern für den Winter. Sie brauchen viel Hilfe, während sie auf das warten, was als nächstes passiert.
Islamic Relief versucht, die Menschen mit verschiedenen Hilfsprojekten zu erreichen: Zum Beispiel werden 15 Schulen mit Schulmaterial und Möbeln unterstützt; 8.000 syrische Kinder werden dort unterrichtet. Wir organisieren auch den Transport der Kinder von ihrer Unterkunft zur Schule. So wollen wir die Mädchen und Jungen aus dem Teufelskreis aus Traurigkeit und Krieg und Trauer befreien.
Außerdem organisieren wir mobile Kliniken, verteilen Medikamente und finanzieren Menschen Operationen, wenn sie sich diese nicht leisten können.
Im Libanon treffen Menschen unterschiedlicher Länder, Sprachen und Religionen aufeinander. Was unternimmt Islamic Relief für ein friedliches Miteinander?
Es gibt beispielsweise Programme für libanesische, syrische und palästinensische Kinder, um den Zusammenhang zu stärken. In einem anderen Hilfsprojekt holen wir die jeweiligen Anführer der Gemeinschaften an einen Tisch. Dort werden Themen wie Sicherheit und Schutz für Kinder diskutiert – also Themen, die für alle Gruppen von Interesse sind. Unser Ziel ist, dass die Anführer die gemeinsamen Entscheidungen in die Gemeinschaften tragen.
Vor Ihrer Zeit als Country Director haben Sie sich lange ehrenamtlich engagiert. Gab es einen Moment, der besonders prägend war?
Was ich nie vergessen werde, ist der Einsatz in Srebrenica, Bosnien-Herzegowina*. Wir kamen dort an, um Hilfsgüter an Flüchtlinge zu verteilen. Ein vielleicht 17-jähriges Mädchen stand auf und sagte: Danke für euren Besuch und eure Zeit. Doch wir brauchen eure Decken und Matratzen nicht. Was wir wirklich wollen, sind unsere Väter, Ehemänner, Brüder und Söhne.
Später verstand ich das Ausmaß der Trauer dieser Menschen. Und genau die gleiche Trauer, das gleiche Leid, sehe ich nun bei den syrischen Witwen und Waisenkindern in den Flüchtlingscamps im Libanon.
Nidal Atef Ali (54 Jahre) arbeitet im Libanon als Country Director von Islamic Relief, einem Bündnismitglied von Aktion Deutschland Hilft. Zuvor engagierte er sich viele Jahre freiwillig für die Hilfsorganisation. Mit anderen Organisationen und seinen Mitarbeitern sorgt er im Libanon dafür, dass die Hilfe bei den bedürftigen Menschen ankommt.
* Der Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina (1992-1995) forderte mehr als 100.000 Tote und zwang mehr als 2 Millionen Menschen zur Flucht. In der Stadt Srebrenica starben 1995 tausende Jungen und Männer.
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