Nuri Köseli von Islamic Relief über seine Reise nach Jordanien
Nuri Köseli, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, reiste im Juni 2013 mit Tarek Abdelalem, dem Geschäftsführer von Islamic Relief Deutschland, nach Jordanien. Dort besuchten sie syrische Flüchtlinge und schauten sich die Hilfsleistungen von Islamic Relief vor Ort an. Außerdem nahmen sie an einer Islamic Relief-Konferenz zur Wiederaufbauhilfe in Syrien teil.
Wie verlief Eure Reiseroute?
Erst einmal sind wir von Deutschland nach Amman, der Hauptstadt Jordaniens, geflogen. Von dort sind wir dann nach Ramtha gefahren, um die Flüchtlinge zu besuchen. In Jordanien gibt es nach offiziellen Angaben etwa 500.000 syrische Flüchtlinge, es wird aber vermutet, dass es bereits weit mehr als 750.000 sind. Davon befinden sich glücklicherweise nur 150.000 in Flüchtlingslagern, die übrigen sind bei Verwandten oder Bekannten untergekommen oder teilen sich mit anderen Familien Wohnungen.
Wie hilft Islamic Relief vor Ort?
Islamic Relief Jordanien hilft diesen Menschen zum Beispiel durch Mietbeihilfe. Lina Hasan A. etwa ist eine der Sozialarbeiterinnen von Islamic Relief, die sich um die Unterbringung von Familien in Mietwohnungen kümmert, da die meisten Flüchtlinge keine Arbeit und kein Geld haben, um die Miete bezahlen zu können. Finanziert wird die Mietbeihilfe vollständig durch Privatspenden.
Die Flüchtlinge sind dankbar, dass sie ein Dach über dem Kopf haben. Zugleich müssen sie aber in recht beengten Verhältnissen leben. Oftmals sind vier Familien in einer Vier-Zimmer-Wohnung untergebracht und müssen sich Küche und Bad teilen.
Wie genau sieht die Hilfe aus und wie ist sie organisiert?
Die Organisation des Flüchtlings-Managements von Islamic Relief in Irbid hat mich wirklich beeindruckt. Unsere Helfer vor Ort leisten ganze Arbeit. So rufen vier ehrenamtliche Helfer täglich etwa 1.500 Flüchtlinge an, um mit ihnen Termine zum Empfang der Vouchers für die Lebensmittelhilfe zu vereinbaren. Dadurch bleibt den Flüchtlingen eine lange Wartezeit erspart und ihre Würde gewahrt. Dort gibt es auch Sozialarbeiter, die Gespräche mit den Flüchtlingen führen und ihre aktuellen medizinischen, psychischen oder sonstigen Bedürfnisse feststellen.
Die Lebensmittelhilfe wird zusammen mit dem UN World Food Programme umgesetzt, das dafür ein Budget bereitgestellt hat. Damit werden 29.456 Familien und somit 105.507 Menschen im Norden Jordaniens monatlich versorgt. Sie bekommen in vier verschiedenen Städten von Islamic Relief Lebensmittelkarten für zwei Wochen im Wert von 24 Dinar (etwa 30 Euro) pro Person, mit denen sie sich in den Supermärkten selbst versorgen können. Auch dies trägt dazu bei, die Würde der Flüchtlinge zu wahren. In Ramtha bekommen 14.811 Menschen (4.259 Familien) diese Hilfe, in Irbid 54.516 Menschen (15.541 Familien), in Mafraq 30.611 Menschen (8.218 Familien) und in Jerash 5.519 Menschen (1.438 Familien).
Wie hoch ist das Flüchtlingsaufkommen derzeit?
Zurzeit kommen täglich etwa 1.000 neue Flüchtlinge ins Land, da die Situation in Syrien nach wie vor sehr unsicher ist. Die täglich neu ankommenden Flüchtlinge zu registrieren stellt immer wieder eine Herausforderung für das Management der Flüchtlingshilfe dar, denn durch die Flüchtlinge ist die Einwohnerzahl Jordaniens um zehn Prozent gestiegen. Dennoch meistern sie diese Herausforderung professionell. Wir rechnen damit, dass auch nach dem Krieg viele der Flüchtlinge bleiben werden, da es lange dauern wird, bis die Infrastruktur in Syrien wieder vollends hergestellt sein wird. Es ist also eine langfristige Denk- und Handlungsweise notwendig.
Was war Eure nächste Station?
In der jordanischen Hauptstadt Amman besuchten wir das Akilah-Krankenhaus, in dem zwei Stockwerke, die von der Islamic Relief-Familie finanziert werden, speziell syrischen Flüchtlingen zugeteilt sind. Neben dem Leiter der Abteilung, Dr. Ahmad Salim (Name von der Redaktion geändert), stammen auch die übrigen Ärzte, die sich um die Versorgung der syrischen Flüchtlinge kümmern, aus Syrien. Täglich werden dort etwa 400 Menschen versorgt. Viele von ihnen sind schwerverletzt oder verwundet, sodass sie eine sofortige Behandlung benötigen.
Wir haben vor Ort mit den Verwundeten gesprochen. Sie waren häufig nicht nur körperlich, sondern auch seelisch tief verletzt aufgrund der traumatischen Erlebnisse, die sie in ihrem Heimatland machen mussten. Die meisten von ihnen waren ansprechbar, jedoch verstört.
Was hast Du im Krankenhaus erlebt, als Du mit den Menschen dort gesprochen hast?
Der Anblick der Verletzten war auch für uns sehr schwer. Da war zum Beispiel ein Junge von elf Jahren, Ismail, der bei einem Bombenangriff Splitter abbekommen hatte. Sein Zustand war inzwischen stabil, er war auf dem Weg der Besserung. Wir sagten zu dem Jungen und seinem Vater ein paar tröstende Worte, wollten ihnen auch gern sagen, dass alles gut wird. Doch die Worte trafen ins Leere - aus den Augen des Vaters sprach tiefe Verzweiflung. Er weiß, dass er für seinen Jungen nur beten kann. Mir kam in diesem Moment der Gedanke, dass etliche schuldlose Menschen von diesem Konflikt betroffen sind und vielleicht noch Generationen später darunter leiden werden. Für sie ist jede Hilfe, jedes Bittgebet besonders wichtig.
Und da war ein junger Mann, der den Kriegsdienst nach eigenen Angaben verweigerte. Daraufhin folterte man ihn und goss ihm Säure auf seinen Körper. Zwar ist auch er nun auf dem Weg der Besserung und hat seine lebensbedrohliche Lage überwunden. Jedoch ist er durch die Säure für sein Leben gebrandmarkt.
Was macht das Krankenhaus in Amman aus?
Es ist die Motivation und Stärke des Krankenhausteams und die Unterstützung des Krankenhausbetreibers, der ohne weiteres die zwei Etagen seines Krankenhauses für die Behandlung der Flüchtlinge zur Verfügung gestellt hat. Neben syrischen und jordanischen Ärzten sind hier auch ausländische Ärzte ehrenamtlich tätig. Das Krankenhaus ist also verhältnismäßig gut gestellt. Dennoch ist der Bedarf an weiteren medizinischen Geräten nach wie vor groß.
Worum ging es bei der Islamic Relief-Konferenz?
Wir alle hoffen, dass der gewaltvolle Konflikt in Syrien bald ein Ende hat. Doch auch wenn der Krieg vorbei ist, gibt es viel zu tun. Um nicht vor einer plötzlichen Ungewissheit zu stehen, müssen wir auf diese Situation vorbereitet sein.
Deshalb hat sich das Islamic Relief-Netzwerk bei dieser Konferenz getroffen, die vom Verantwortlichen der Syrien-Hilfe von Islamic Relief, Mohammed Al-Sousi, geleitet wurde. Es waren zahlreiche Partnerbüros sowie die Projektbüros von Jordanien, Ägypten und der Türkei vertreten. Ziel war es, gemeinsam zu beraten, was wir tun, wenn der Krieg beendet ist, und die nötigen Ressourcen dafür rechtzeitig zu bündeln. Wir haben einen Drei-Jahres-Handlungsplan erarbeitet, um die Zivilgesellschaft in Syrien zu fördern und beim Wiederaufbau des Landes mitzuhelfen. Es wurde auch ein vorläufiges Budget festgelegt.
Wie kann der Wiederaufbau von Islamic Relief unterstützt werden?
Nuri Köseli: Den Wiederaufbau möchten wir vor allem im Bereich Bildung unterstützen, indem wir Schulen aufbauen bzw. wiederaufbauen, Lehrer ausbilden oder Schulen mit Mahlzeiten versorgen. Weitere Bereiche sind Unterkunft, Gesundheit – etwa der Wiederaufbau von Krankenhäusern sowie die Versorgung mit Geräten, Medikamenten und Prothesen – die Gewährleistung des Lebensunterhalts durch Arbeitsbeschaffungs- oder Cash for Work-Maßnahmen und die Sicherstellung des Kindeswohls, zum Beispiel durch psychosoziale Programme, sowie der Bereich Nothilfe.
Was hat Dich am meisten auf Deiner Reise beeindruckt?
Was mich besonders bewegt und auch traurig gemacht hat waren die persönlichen Begegnungen. Oft habe ich in anderen Ländern im Fall von Katastrophen oder Konflikten erlebt, dass die Menschen dennoch eine gewisse Zuversicht hatten. Hier aber fragten wir einen Familienvater bei einer Begegnung, wie es ihm gehe. Statt zu antworten, fing er an zu weinen. Wie tief muss dieser Mann verletzt und verzweifelt sein, wie sehr ist er traumatisiert?
Aber es gab auch sehr schöne und rührende Momente. Das Engagement unserer Helfer – sei es bei der Lebensmittelhilfe oder Unterkunftsbetreuung, beim Nothilfe-Management oder im Krankenhaus – hat mich sehr beeindruckt. Sie waren trotz des Zeitdrucks und der schwierigen humanitären Situation sehr geduldig, verständnisvoll und hilfsbereit. Und da war ein junger syrischer Flüchtling, der sich so sehr über unsere Hilfe gefreut hat und gleichzeitig so hilfsbedürftig war, dass er in Tränen ausgebrochen ist.
Gerade in dieser schwierigen Zeit ist es enorm wichtig, sich gegenseitig zu stärken, aufeinander zuzugehen, mit den Menschen mitzufühlen und ihre Emotionen zu teilen. Indem man sich ihrer annimmt, gibt man ihnen das Gefühl, nicht allein zu sein. Gerade jetzt, wo den Menschen das Elementarste fehlt – nämlich ihr Recht auf Sicherheit im eigenen Land – ist es enorm wichtig, dass wir unserer Pflicht als Helfer nachkommen und den Flüchtlingen in ihrer Not beistehen.
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