Ein Fabrikgebäude am Mittelmeer, in der Stadt Sidon im Libanon. Schafe werden hier geschlachtet. Es stinkt den ganzen Tag nach aufgeschnittenen Tierkörpern. Arbeiter schlachten die Tiere, dann enthäuten sie sie. Tierreste liegen herum, mit Schubkarren werden sie weggebracht. Niemand trägt einen Mundschutz oder Handschuhe. Die Luftfeuchtigkeit in diesen Tagen beträgt 85 Prozent. Es ist heiß, mindestens 33 Grad, an manchen Tagen werden es 35 oder 38 Grad. Hier unten, in der Fabrik, gibt es keine Klimaanlage, keine geschlossenen Kühlräume, keine Fenster, die jemand schließen könnte. Hier ist es heiß, und es stinkt. Den ganzen Tag.
Oben, über eine einfache Betontreppe, gelangt man in den Zwischenstock. Eine Art Lager für alle möglichen Dinge, die niemand mehr zu benötigen scheint. Man hört Kindergeschrei, Lachen, Rufen. Eine dieser Stimmen gehört Jalal, der mit seinen zwölf Jahren zur Zeit in Sidon lebt, dieser Stadt am Mittelmeer, in dem es eine Fabrik gibt, in der Schafe geschlachtet werden und die ihm und seiner Familie Schutz bietet.
Dann geht es weiter hinauf in dieser Fabrik, auf einer Art Rollweg, als ob man hier oben Fahrrad fahren könnte. Aber vielleicht braucht man das für Schubkarren, wie unten, wo die toten Ziegen irgendwie wegtransportiert werden müssen. Jalals Vater hat früher einmal hier gearbeitet, und der Besitzer hat ihm und seiner Familie und drei weiteren angeboten, hier zu wohnen. Bis der Krieg zuhause wieder vorüber ist, solange, so hat er ihnen gesagt, könnten sie hier bleiben.
Es ist ein stinkendes, lautes Zuhause, aber sie haben wenigstens ein Dach über dem Kopf. Den Gestank bemerken sie nur, wenn sie jemand daran erinnert oder wenn sie nachts wach werden. Dann hören sie auch Autos herumfahren oder große Schiffe auf dem Mittelmeer, die laut in ihr Horn blasen.
Zuhause, da wo sie herkommen, in einem kleinen Dorf in Syrien, ist es nie laut. Dort ziehen manchmal noch Pferde große Mengen Heus vom Feld in die Scheuer. Alle drei, Jalal und seine Geschwister, verstehen nicht genau, was sie hier tun. Sie haben zwar gesehen, dass Männer mit Panzern kamen und andere mit großen Gewehren, aus denen ganz viele Schüsse auf einmal herauskamen. Sie haben gesehen und gehört, wie aus lauten Flugzeugen Bomben abgeworfen wurden und auch fast ihr kleines, einfaches Haus zerstört hätte. Sie haben den Rauch aufsteigen sehen, der aus dem Nachbardorf aufstieg, nachdem die Flugzeuge wieder da gewesen waren.
Und dann, wenn diese Bilder sich in ihren Köpfen wieder einmal breit machen und einfach nicht verschwinden wollen, was auch immer man dagegen unternimmt; wenn diese Angst wieder da ist und sie keinem anderen Gedanken oder Gefühl erlaubt, sich zu zeigen, dann sind Jala und seine Geschwister eben füreinander da. Bis diese blöden, schlimmen Gedanken wieder weg sind. "Dann weinen wir auch manchmal," sagt Jalal. "Auch wir Jungs. Das ist nicht schlimm, das Weinen. Manchmal geht es nicht anders, aber danach ist es besser." Kurz scheint ein Lächeln auf, ganz kurz. Dann verdüstert sich seine Miene wieder.
Außerdem sind die Eltern da, und die Männer, die die Schafe schlachten. "Sie sind sehr freundlich. Sie machen manchmal auch Witze." Das gefällt seinem Bruder und seiner Schwester. Jeden Tag sehen sie einander, wenn wieder feuchtes Tierfell zu ihnen in die "Wohnung" gebracht wird, um dort zu trocknen. Sie hängen es direkt vor die Öffnungen, wo der Wind durchzieht, damit es schneller geht. So leben sie miteinander, die Arbeiter, die Flüchtlinge und die toten Schafe. Jeden Tag, jede Nacht. Seit vier Monaten.
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