Die Menschen flüchteten weiter Richtung „grüne Grenze“, die hier jedoch nicht grün, sondern eher beige und staubig und bergig ist. Wegen der Berge mussten sie die letzten Kilometer meist zu Fuß zurücklegen – um hinter der Grenze von Armeeeinheiten aufgenommen zu werden. Wer Pech hatte, kam ins Flüchtlingslager. Zum Beispiel ins jordanische Lager Zaatri, ein entsetzlicher Ort, an dem man „Staub isst und Staub trinkt“, wie es Inass El-Kadiri beschreibt, eine Mitarbeiterin von Islamic Relief. Wer Glück hatte, konnte sich in die Städte und Dörfer durchschlagen, um dort Wohnraum anzumieten. Wobei „Glück“ der denkbar falsche Begriff in diesem Zusammenhang ist. Denn schimmelige und kalte Zimmer von 15 Quadratmetern, in denen sich nicht selten acht- bis zehnköpfige Familien drängeln, sind kein Glück. Und auch die Mieten von umgerechnet 100 Euro sind kein Glück. Glück sieht anders aus.
„Wir haben doch nichts, wir sind hier ohne Gepäck angekommen“, sagt Fatih, der mit seiner Frau und den vier Kindern in der libanesischen Bekaa-Ebene Unterschlupf gefunden hat. Im April seien sie geflüchtet, so der Vater weiter, „weil wir nicht wollten, dass unser damals noch ungeborener Sohn Cem als erstes in seinem Leben den Krieg sieht“. Die Familie ist auf die Unterstützung von World Vision angewiesen; von der Organisation erhält sie Essensgutscheine und Hygieneartikel – und auch mit Decken wurden sie versorgt, eine lebenswichtige Notwendigkeit angesichts des Winters, der hier in der Bekaa-Ebene besonders kalt ist.
„Wir wollten nicht, dass unser damals noch ungeborener Sohn Cem als erstes in seinem Leben den Krieg sieht.“ Fatih über die Flucht im April 2012
„Ganz klar, wir haben sehr viele Probleme“, sagt Fatih. „Aber das alles ist nichts gegen unsere allergrößte Sorge: Dass unsere Kinder Haluk, Nara und Elin nicht zur Schule gehen können.“ Man habe der Familie gesagt, dass die einzige öffentliche Schule in dem Ort überfüllt sei – „und die nächste Schule ist zu weit abgelegen, um sie zu Fuß zu erreichen“. Er selbst könne weder lesen noch schreiben, an Unterricht zuhause sei also nicht zu denken. Die Kinder seien aber doch sechs und neun Jahre alt und damit in einem Alter, in dem die so wichtige Bildungsgrundlage vermittelt werde. „Sie haben doch jetzt schon ein ganzes Jahr verpasst!“ Fatihs Verzweifelung ist mit Händen zu greifen.
World Vision organisiert Transport zur Schule
Patricia Mouamar von World Vision spricht mit dem Direktor der örtlichen Schule – und hört neben dem Argument, dass die Einrichtung mit 772 Schülerinnen und Schülern ihre Kapazität erreicht hat, noch eine zweite Sorge: „Im Gegensatz zu den libanesischen Schülern sprechen die syrischen Flüchtlingskinder weder Englisch noch Französisch“, übersetzt Mouamar die emotionalen Ausführungen des Direktors. „Daher hat die Schulleitung die Befürchtung, dass die Lernleistung der örtlichen Kinder stark gehemmt werden könnte.“
Nesrin, die Mutter von Haluk, Nara und Elin erzählt davon, wie ihrem Sohn und ihren Töchtern manchmal die Tränen kommen, wenn sie die anderen Kinder zur Schule gehen sehen. „Ein untragbarer Zustand“, sagt Patricia Mouamar und berichtet, dass World Vision in Kürze den Transport von syrischen Flüchtlingskindern in weiter abgelegene Schulen übernehmen wird – finanziert mit Spendengeldern von Aktion Deutschland Hilft. Auch um Schulmaterialien wolle man sich kümmern. Eine Lösung, die der Familie eine gute und langfristige Perspektive aufzeigt – im Libanon, denn ihr Heimatland Syrien werden sie für lange Zeit nicht mehr betreten können.
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