von Aktion Deutschland Hilft
Seit Tag 1 nach der Erdbeben-Katastrophe im Februar 2023 sind 20 Bündnisorganisationen von Aktion Deutschland Hilft in der Türkei und Syrien im Einsatz.
Katharina Kiecol, Pressereferentin von Malteser International, war kurz nach der Katastrophe und nun erneut in der Krisenregion. Im Interview berichtet sie von ihren Eindrücken.
Aktion Deutschland Hilft: Katharina Kiecol, wie stellt sich ein Jahr nach der Katastrophe die Lage vor Ort dar?
Egal auf welcher Seite der Grenze: Alle Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sind noch immer schwer traumatisiert. Das hat mich sehr bewegt. Der Schrecken über die Hilflosigkeit, dieser Naturgewalt ausgesetzt gewesen zu sein, ist noch immer allgegenwärtig.
Und noch immer gibt es in dieser Region kleinere Erdbeben, sodass die Panik immer wieder getriggert wird. Sicher fühlt sich seit dem verheerenden Erdbeben im Februar 2023 niemand mehr.
Jeder und jede in der betroffenen Region lebt jetzt mit dem Bewusstsein, dass von heute auf morgen alles verloren gehen kann – auch das eigene Leben. Das hat die Menschen verändert. Viele berichteten mir, dass sie nicht mehr an die Zukunft denken, sondern im Hier und Jetzt leben. Denn was morgen oder schon in den kommenden Stunden sein wird, das weiß niemand.
Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Herausforderungen? Und: Gibt es Unterschiede bei der Umsetzung der Hilfsmaßnahmen in den zerstörten Gebieten der Türkei und Syriens?
Sowohl in der Türkei als auch in Syrien lebt eine große Zahl nach wie vor in Notunterkünften auf sehr beengtem Raum. Allein in der Türkei sind dies bis heute mehr als 3 Millionen Menschen. Noch immer säumen Trümmerfelder manche Straßenzüge. Das Ausmaß dieser Katastrophe war so immens, dass es noch eine ganze Zeit in Anspruch nehmen wird, die Ortschaften wiederherzustellen, zerstörte Häuser wiederherzurichten oder neue Wohnungen zu bauen.
In Syrien ist es ein großes Problem, dass es in den betroffenen Gebieten keine funktionierenden staatlichen Strukturen gibt und dort noch immer Krieg herrscht. Das erschwert einen Wiederaufbau natürlich enorm. Wir von Malteser International konzentrieren uns dort vor allem auf die gesundheitlichen Strukturen und haben unsere Partnerorganisationen vor allem dabei unterstützt, Verletzte zu behandeln und medizinische Verbrauchsmaterialien zu liefern.
Zudem haben wir damit begonnen, Betroffene des Erdbebens dabei zu unterstützen, selbst Obst und Gemüse anzubauen. So können sie sich selbst ausreichend mit Lebensmitteln versorgen und überschüssige Waren sogar weiterverarbeiten, zum Beispiel zu Tomatenpaste, um diese dann zu verkaufen. So können sie künftig ihren Lebensunterhalt mitfinanzieren.
Wie würden Sie den Stand der Hilfe beschreiben? Befinden sich die Hilfsorganisationen mit ihren Maßnahmen noch immer in der Nothilfe-Phase – oder rücken mehr und mehr Projekte, die den Wiederaufbau der Infrastruktur zum Ziel haben, in den Fokus?
Es ist derzeit beides wichtig: Noch immer leben Millionen Menschen in Notunterkünften, haben ihre Arbeit verloren und sind auf die Unterstützung von außen angewiesen. Aber gleichzeitig müssen wir sie auch dabei unterstützen, neue Wege zu gehen, Geld zu verdienen und so ihren Weg zurück in die Unabhängigkeit zu finden. So werden wir jetzt in der Türkei damit beginnen, gemeinsam mit unserer Partnerorganisation Orange Kleinunternehmer:innen bei ihrem Wiedereinstieg in die Selbstständigkeit zu begleiten.
Gibt es wichtige Projekte, die von Malteser International – auch durch Spendengelder von Aktion Deutschland Hilft – in nächster Zeit umgesetzt werden können?
Die Projekte, die durch Spendengelder von Aktion Deutschland Hilft umgesetzt werden, zielen darauf ab, die Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit der vom Erdbeben betroffenen Menschen zu stärken. In den Sektoren Gesundheit, Hygiene, Wasser, Sanitär und der allgemeinen Verbesserung der Lebensgrundlagen werden wir in Nordwest-Syrien und der Türkei durch Spenden finanzierte Projekte durchführen: Zum Beispiel werden Landwirte Gutscheine für landwirtschaftliche Produkte erhalten, die sie vor Ort in bestimmten Läden einlösen können – wovon auch Ladenbesitzer profitieren. Zudem werden lokale Wirtschaftsbeziehungen gestärkt.
Frauen und Menschen mit Behinderung erhalten Training und Ausstattung für die Weiterverarbeitung von Gemüse, und Trainingseinheiten für die Entwicklung eines eigenen Business. Weitere Projektteilnehmende unterstützen die Landwirt:innen bei der Ernte und anderen landwirtschaftlichen Tätigkeiten und werden dafür finanziell entlohnt. Diese Projekte sind besonders wichtig, um Menschen vor Ort nachhaltig in ihrem Streben nach Unabhängigkeit zu stärken.
Wenn wir einen vorsichtigen Blick in die Zukunft wagen: Was macht Ihnen Hoffnung, dass sich die Situation der Menschen in den betroffenen Gebieten nachhaltig verbessert?
Millionen Menschen haben alles verloren. Da ist es erstmal schwer, einen positiven Blick in die Zukunft zu werfen. Aber natürlich gibt es jetzt auch die Chance, Häuser solider wiederaufzubauen oder an sichereren Ort neu zu errichten. In den Gesprächen, die ich mit den Menschen geführt habe, wollte niemand mehr einen Blick in die Zukunft wagen.
Was ich von meinem Besuch mitgenommen habe, ist die Aussage eines Kollegen vom Türkischen Roten Halbmond, der mir sagte: "Ich schaue jetzt kein Fernsehen mehr. Ich spreche mit meiner Frau. Ich nutze die Zeit, die wir gemeinsam haben."
+++ Spendenaufruf +++
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis der Hilfsorganisationen,
bittet dringend um Spenden für die betroffenen Menschen in der Türkei und Syrien.
Stichwort: Erdbeben Türkei und Syrien
IBAN DE62 3702 0500 0000 1020 30, BIC: BFSWDE33XXX
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