von Aktion Deutschland Hilft
Seit Tag 1 der schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien sind Bündnisorganisationen im Einsatz – darunter die Helfer:innen des FAST-Team des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). FAST steht für First Assistance Samaritan Teams.
Auch Hannah Egger, normalerweise in der Abteilung Projekte & Qualitätssicherung von Aktion Deutschland Hilft tätig, war ehrenamtlich in der Türkei im Einsatz. Im Interview berichtet sie über ihre Erlebnisse.
Aktion Deutschland Hilft: Was fällt dir nach deiner Rückkehr aus dem Erdbebengebiet als erstes ein, wenn du an den Einsatz denkst?
Hannah Egger: Diese zerstörte Stadt, Samandağ. Sie liegt ganz im Südosten der Türkei, 20 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Bei einem der vielen Nachbeben wurde sie schwer getroffen – fast zwei Wochen nach den ersten Erdbeben am 6. Februar.
Man kann die Zerstörung kaum begreifen. Man läuft durch die Stadt, kommt sich vor wie in einem Endzeitfilm, komplett surreal. Nur ganz langsam kommt im Kopf an, was hier passiert ist.
Was brauchen die Menschen dort am dringendsten?
Weiterhin vor allem Unterkünfte wie Zelte, die Regen abhalten. Viele Menschen haben, als wir dort waren, immer noch unter Plastikplanen geschlafen.
Viele unterirdische Leitungen wurden zerstört. Die Wasserversorgung, Sanitäranlagen, die Stromversorgung, das Internet: Das muss alles wiederhergestellt werden.
Psychosoziale Hilfe wird von großer Bedeutung sein. Es gibt Menschen, die ihre ganze Familie verloren haben, oder ihre:n Lebenspartner:in. Posttraumatische Belastungen als Folge so einer Katastrophe zeigen sich oft erst Monate später.
Neben der psychosozialen Unterstützung, die du erwähnt hast: Welche mittel- und langfristige Hilfe brauchen die Menschen im Erdbebengebiet?
Die Stadt Samandağ, in der ich war, wird wahrscheinlich nicht mehr aufgebaut. Viele Menschen sind schon zu Verwandten in andere Landesteile oder sogar ins Ausland gezogen. Viele werden vermutlich nicht zurückkehren.
Es gibt bei diesen Katastrophen auch immer Menschen, die nichts haben: weder Kontakte, noch Geld, um woanders neu anzufangen. Für sie muss ein neuer Ort gefunden werden, an dem zuerst Übergangsunterkünfte, dann langfristige und vor allem sichere Wohnungen entstehen.
Es sind so viele Menschen obdachlos geworden - nicht nur in Samandağ, sondern der ganzen Region. Um sie alle sicher und winterfest unterzubringen, wird viel Baumaterial benötigt. Und der nächste Winter ist angesichts der großen Zerstörung nicht mehr weit weg.
Besonders dramatisch ist die Situation der syrischen Geflüchteten. In der Region leben sehr viele, die erst durch den Krieg in ihrer Heimat alles verloren haben und jetzt erneut durch das Erdbeben in der Türkei. Als Hilfsorganisation wird es sehr wichtig sein, den Fokus auch auf benachteiligte Personengruppen zu setzen.
Wie hat das FAST-Team des ASB, mit dem du vor Ort warst, die Menschen unterstützt?
Unsere Hauptaufgabe war die Trinkwasseraufbereitung. Unser erstes Team hatte schon drei Wassertanks aufgebaut, die jeweils 2.000 Liter fassen. Wir haben das Wasser in der Nähe von Notunterkünften und am Marktplatz zur Verfügung gestellt.
Mehrmals am Tag haben wir die Tanks aufgefüllt und Kanister, sogenannte Jerry Cans, für diejenigen abgefüllt, die keine geeigneten Gefäße haben. In den vier Wochen des FAST-Einsatzes haben wir mehr als 200.000 Liter sauberes Trinkwasser produziert. Wir haben eng mit Hatsu, einem örtlichen Wasserversorger kooperiert, der mit unserem Wasser auch andere Orte beliefert.
Die Schnelleinsatz-Teams des Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) nennen sich First Assistance Samaritan Teams – kurz FAST. In ihrer Freizeit lassen sich dafür Helfer:innen aus dem gesamten Bundesgebiet in den Bereichen Trinkwasser und Basismedizin ausbilden.
Nach Naturkatastrophen Zyklon Idai oder dem Erdbeben in der Türkei und Syrien reisen die Teams in die Krisengebiete, um die betroffenen Menschen vor Ort zu unterstützen.
Die FAST-Helfer sind für ihren Einsatz hochwertig und umfangreich ausgestattet. Kernstück sind Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung, die 2.500 Liter sauberes Wasser pro Stunde produzieren. Außerdem installieren die Teams Wasserfilter für Dorfgemeinschaften, Schulen oder Gesundheitsstationen.
Das medizinische FAST arbeitet mit einer Zeltambulanz, die entsprechend den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ausgestattet ist. 2017 klassifizierte die WHO das FAST für seine hohen Standards und langjährige Erfahrung in der medizinischen Nothilfe: Als erstes Team in Europa bestand es die Prüfung in der Kategorie "Emergency Medical Team 1".
Die lokalen Mitarbeiter:innen haben wir geschult, wie die Anlagen funktionieren und zu warten sind. Wir haben die Anlagen am Ende des Einsatzes an Hatsu übergeben, um auch die langfristige Versorgung der Menschen zu sichern.
Zusätzlich haben wir insgesamt 13 Sky Hydrants an zwei syrische Hilfsorganisationen übergeben. Das sind mobile Trinkwasseranlagen, die keinen Stromanschluss benötigen. Wir haben die Kolleg:innen der Organisationen im sicheren Umgang mit den Anlagen geschult.
Und wie funktioniert so eine Trinkwasseraufbereitung?
Das Wasser wird aus einer Quelle, zum Beispiel einem Fluss, gepumpt und danach mehrfach vorgefiltert. Das ist in einem Katastrophengebiet sehr wichtig, da das Wasser meist viele Schwebstoffe enthält.
Mithilfe der Ultrafiltration werden im Anschluss alle Schadstoffe wie Nitrit, Bakterien und Viren herausgefiltert. Aber bevor das Wasser an die Menschen ausgegeben wird, testen es die Mitarbeiter:innen vor Ort. Bei dieser Trinkwasseranalyse prüfen wir zum Beispiel den Gehalt von Chlor und Salz. Ein gewisser Chlorgehalt ist wichtig, da sich sonst durch kleine Verunreinigungen an den Ausgabestellen Bakterien vermehren könnten.
Wir haben das Wasser vor Ort auch getrunken und uns ging es immer allen gut.
Du hast erwähnt, wie wichtig die psychosoziale Hilfe für die Menschen in der Türkei und Syrien sein wird. Auch viele Einsatzkräfte haben nun erschreckende Erfahrungen gemacht…
Die Einsatzkräfte kennen durch ihre Jobs als Notärzt:innen oder Rettungsassistent:innen Extremsituationen, aber sie kennen nicht unbedingt die Katastrophenhilfe. Wir sind alle freiwillige Helferinnen und Helfer und die Arbeit vor Ort kann sehr belastend sein.
Aber alle im FAST wissen: Stimmungsschwankungen, Stress oder plötzliche Flashbacks nach einem Einsatz sind eine normale Reaktion auf eine nicht normale Situation. Wenn das über mehrere Wochen anhält oder sich verschlimmert, sollte man die Hilfen in Anspruch nehmen. Je länger man posttraumatische Belastungen mit sich herumträgt, desto schwieriger wird die Behandlung.
Wie sieht die Unterstützung für Helferinnen und Helfer aus?
Schon in der Ausbildung wird auf akute Belastungssituationen, Stressreaktionen und posttraumatische Belastungsstörungen der Einsatzkräfte eingegangen. Vor jedem Einsatz wird wiederholt, wie man auf sich achten kann, welche Warnzeichen des Körpers es gibt. Es gibt Notfallnummern, die wir während des Einsatzes rund um die Uhr kontaktieren können.
Nach dem Einsatz werden wir am Flughafen abgeholt und es gibt ein De-Briefing. Wir werden erinnert, auf welche Signale wir im Nachhinein achten sollten. Das sind z.B. Schlafstörungen oder Flashbacks. Wir können uns jederzeit beim Kriseninterventionsteam des ASB melden und auch die rufen unvermittelt bei den Einsatzkräften an, um sich zu erkundigen – bei mir hat zum Beispiel gestern Abend auf einmal das Telefon geklingelt.
Und wie geht es dir nach dem Einsatz?
Durch meine Arbeit bei Aktion Deutschland Hilft war mir relativ bewusst, was auf mich zukommt. Ich kannte die Bilder aus dem Erdbebengebiet und ich wusste, was die Mitarbeiter:innen der Bündnisorganisationen über die Lage vor Ort berichten.
Mir geht es gut. Ich bin froh, dass wir den Menschen vor Ort helfen konnten und bin froh, Teil des FAST zu sein.
20 Bündnisorganisationen im Erdbebengebiet im Einsatz
Der ASB ist eine von 20 Bündnisorganisationen von Aktion Deutschland Hilft, die den Menschen nach den schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien humanitäre Hilfe leisten. Von großer Bedeutung ist dabei die Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen und Mitarbeiter:innen.
Die Spendenbereitschaft für die Menschen im Erdbebengebiet war überwältigend. Danke an alle, die helfen!
+++ Spendenaufruf +++
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis der Hilfsorganisationen,
bittet dringend um Spenden für die betroffenen Menschen in der Türkei und Syrien.
Stichwort: Erdbeben Türkei und Syrien
IBAN DE62 3702 0500 0000 1020 30, BIC: BFSWDE33XXX
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