Hilfsorganisationen haben ein großes Interesse daran, dass in Projektländern handlungsfähige und demokratisch legitimierte Regierungen agieren. Die Menschen in Haiti haben kürzlich den populären Musiker Michel Martelly zum Präsidenten gewählt. An ihn knüpfen sich starke Erwartungen von allen Seiten.
Martelly wird der 56. Präsident in der Geschichte Haitis, das seit 200 Jahren unabhängig von Frankreich ist. Bei der gleichzeitig abgehaltenen Parlamentswahl siegte allerdings die bisherige Regierungspartei Inité. Nach Angaben der Wahlkommission verfügt Inité im künftigen Parlament über 33 Sitze. 49 weitere Sitze teilen sich sechs weitere Parteien, darunter Martellys Partei Repons Peyisan, die nur drei Abgeordnete ins Abgeordnetenhaus entsendet. Erschwert wird die politische Situation zudem durch die Rückkehr des Ex-Diktators Jean-Claude Duvalier und des im März der 2004 vertriebenen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide.
In der Vergangenheit erwiesen sich Haitis Regierungen als korrupt und handlungsunfähig – was die Zusammenarbeit mit den Behörden infolge des Erdbebens vom Januar 2010 bislang schwierig machte, und damit auch den Fortschritt der Hilfsaktivitäten.
Aktion Deutschland Hilft ist weiterhin mit zwölf Mitgliedsorganisationen in Haiti vertreten, die die Haitianer beim Neuanfang mit ihrer Unterstützung begleiten. Hilfsorganisationen können und sollen einen wichtigen Beitrag leisten, um Haiti auf dem Weg zu einer funktionierenden Gesellschaft zu begleiten. Sie haben dabei nicht den Auftrag, Funktionen des Staates zu übernehmen (wie etwa die Gewährleistung grundlegender Bereiche wie des Gesundheitswesens oder der Bildung) – können aber doch beim Aufbau dieser Bereiche unterstützend tätig sein.
Beispiel ADRA
In Petit-Goâve wurden 1270 Übergangshäuser in Zusammenarbeit mit den späteren Bewohnern fertig gestellt. Parallel dazu gab es berufliche Bildungsangebote: Hierbei werden die Mitarbeiter während des Häuserbaus zu Maurern, Schreinern, Elektrikern oder Sanitäranlagenbauern ausgebildet. Dadurch sollen sie in die Lage versetzt werden, beim Wiederaufbau ihres Landes mitzuwirken und sich ein Einkommen zu erwirtschaften.
Beispiel CARE
CARE schult und begleitet traditionelle Geburtshelferinnen, um die hohe Müttersterblichkeit zu senken. Außerdem wird die Bildung von Mütter- und Kinderclubs gefördert, um Hygiene-Aufklärung zu verbreiten und das Gemeinschaftsgefühl in den Camps zu stärken. In Artibonite hatte CARE bereits vor dem Erdbeben sogenannte Gemeinde-Radiostationen unterstützt, um bürgerschaftliches Engagement zu stärken. Diese Stationen waren dann beim Ausbruch der Cholera sehr hilfreich, um Informationen über Schutz und Vorsorge zu verbreiten.
Beispiel Malteser International
Um die aufgebauten Basisgesundheitsdienste langfristig wieder in die lokalen Strukturen des Gesundheitswesens zu integrieren, wird mit möglichen Partnern kooperiert (z.B. der lokalen Kirche, dem Krankenhaus oder einer Schwesternschule). Um das Gesundheitswesen zu stärken, werden in diesem Zusammenhang auch mögliche Trainingsbedarfe ermittelt und umgesetzt – so planen die Malteser, künftig auch Hebammen auszubilden.
Beispiel Habitat for Humanity
Bisher erhielten bereits über 500 Haitianer Schulungen im erdbebensicheren Bauen und über 200 Menschen wurden von Habitat for Humanity angestellt, um beim Wiederaufbau mitzuhelfen. Dafür hat die Organisation Habitat Ressource Centers (HRCs) gegründet: Durch engen Kontakt zu den Kommunen können die am ehesten bedürftigen Familien schneller ausfindig gemacht und Prioritäten beim Wiederaufbau gesetzt werden. Die HRCs bieten neben dem Wiederaufbau Hilfestellungen durch Schulung, Ausbildung und Einstellung von Haitianern. Langfristig wird die Baubranche nachhaltig entwickelt und die Qualität des Hausbaus verbessert. Im Frühling wird in Léogâne damit begonnen, 650 Häuser zu bauen. Neben einem Fokus auf Trainings wird dort eine komplexe Stadtplanung mit Berücksichtigung eines Gemeindezentrums, Schulen, guter Infrastruktur und Hausvergrößerungsmöglichkeiten geplant.
Was Haiti nun braucht sind Arbeitsplätze, massive Investitionen in Bildung und Infrastruktur, eine Landrechtsreform, eine solide Stadtplanung für Port-au-Prince und den Ausbau des Gesundheitssystems – bei all dem werden die Hilfsorganisationen die künftige Regierung weiterhin unterstützen.
Die Herausforderungen dieser Katastrophe, die von vielen Hilfsorganisationen als am schwierigsten zu bewältigende Krise aller Zeiten bewertet wird, waren von Beginn an gewaltig:
- Armut (Haiti ist eines der ärmsten Länder der westlichen Hemisphäre, in dem 70 Prozent der Bevölkerung mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen muss; der Großteil der Menschen, die am schlimmsten vom Erdbeben betroffen waren, hat schon vorher unterhalb der Armutsgrenze gelebt)
- Folgekatastrophen wie Wirbelstürme und der Cholera-Ausbruch
- Instabile Sicherheitslage (zuletzt durch Unruhen bei den Wahlen; die haitianische Polizei funktioniert nur äußerst schlecht)
- Korruption
- Kostenexplosion (infolge der großen internationalen Präsenz und der damit verbundenen hohen Nachfrage an Baumaterialien, Fahrzeugen, Miethäusern etc.)
- Schleppende Einfuhrabwicklung durch die Zollbehörden, verzögerte Visa-Antragsverfahren
- Brain drain (Abwanderung von Akademikern in andere Länder)
- Mangelnde Eigenverantwortung vieler Betroffener
Die Arbeit in Haiti stellt bis heute eine kräftezehrende Herausforderung dar
Beispiel World Vision
Auf Angebote von World Vision, der Regierung bei der Reparatur des Trinkwassersystems im Elendsviertel Cité Soleil zu helfen, gab es keine Rückmeldungen. Daraufhin erkundigte sich die Organisation nach einer Liste der Defekte und erklärte sich bereit, Material und gegebenenfalls auch Personal zu stellen, um die Regierung bei der dringend notwendigen Reparatur zu unterstützen. Die einzige Rückmeldung der zuständigen Behörde war der Wunsch nach finanziellen Mitteln. Eine Bedarfsliste oder ein Reparaturplan wurde nicht zur Verfügung gestellt, ebenso fehlte ein Finanzmittelplan, der diese Forderung gerechtfertigt hätte. Die Menschen in Cité Soleil werden schon bald kein sauberes Trinkwasser mehr haben, da noch keine langfristige Lösung in Zusammenarbeit mit der Regierung erarbeitet werden konnte.
Beispiel Johanniter
Die Johanniter wollen ein Ambulanzsystem in Léogâne entlang der Route Nationale 2 aufbauen. Dabei sollen zwei bis drei Gesundheitsstationen wieder aufgebaut und ausgestattet werden. Eine Orthopädiewerkstatt besteht bereits; in dieser werden auch Orthopädietechniker ausgebildet. Das Problem: Die Organisation hat noch immer keine offizielle Registrierung, obwohl diese sofort nach Eintreffen in Haiti kurz nach dem Beben beantragt wurde. Die Folge ist, dass die Johanniter keinen Projektvertrag mit dem Gesundheitsministerium als Partner und Träger abschließen können. Inzwischen ist die Registrierung zumindest angekündigt.
Beispiel Malteser International
Malteser International konzentriert sich in Haiti auf vier Bereiche: die Sicherung der Basisgesundheitsversorgung mit besonderem Fokus auf die Mutter-Kind-Gesundheit, eine Verbesserung des Ernährungsstatus im Distrikt Léogâne, der Wiederaufbau von Schulen sowie die Cholera-Prävention. Mit dem Verlauf der Projekte ist man zufrieden – trotz der schlechten Sicherheitslage und den massiven Verzögerungen bei der Einfuhr von Gütern. Bei einem Kooperationsprojekt mit arche noVa in Petit-Goâve wird die während der Nothilfephase installierte Trinkwasseraufbereitungsanlage zur ungewollten Dauerlösung, da auch nach einem Jahr die zerstörte Wasserleitung nicht – wie von den Akteuren versprochen – repariert wurde. Voraussichtlich wird dies erst 2012 geschehen.
Beispiel CARE
Genauso wie für andere Hilfsorganisationen ist es auch für CARE schwierig, seinen Mitarbeiterstamm langfristig zusammenzuhalten. Haiti ist seit dem Erdbeben kein Standort mehr für ausländische Familien, Kinder müssen außerhalb des Landes bleiben. Das führte zu einigen Abwanderungen. Zum hohen Arbeitspensum der Mitarbeiter kommt noch die angespannte Sicherheitslage hinzu. Auch lokale, gut ausgebildete Kräfte sind schwierig zu finden und zu halten. Viele verlassen nach wie vor das Land, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Gut acht Monate nach dem Erdbeben konnte allerdings wieder damit begonnen werden, Positionen längerfristig zu besetzen.
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