Gregor Werth, Landeskoordinator und Nothelfer von Help - Hilfe zur Selbsthilfe war 48 Stunden nach dem Erdbeben 2010 in Haiti vor Ort und ist einer der wenigen Helfer, die auch nach drei Jahren noch im Land sind. Nach Einsätzen u. a. im Niger und in Burkina Faso ist er nun als Help-Landeskoordinator in Haiti für die Hilfsprojekte in den Bereichen Shelter-Bau, Ernährungssicherung und Landwirtschaft verantwortlich. Im Interview berichtet er von der Arbeit als Nothelfer, von seinen ganz persönlichen Erfahrungen in Haiti und über sein Fazit der Hilfe drei Jahre nach dem Erdbeben.
Herr Werth, Sie leben, wohnen und arbeiten seit drei Jahren in Haiti. Wo steht das Land aus Ihrer Sicht heute?
Seit dem Erdbeben ist viel geschehen. Erst recht wenn man beachtet, dass es NUR drei Jahre her ist. Die Infrastruktur war vollkommen zerstört und wurde wieder aufgebaut. Mit den vielen Nichtregierungsorganisationen im Land hat sich vor allem auch die Gesundheitssituation aller Menschen verbessert und auch die Ernährungssituation ist stabil. Von geschätzten 1,5 Millionen Obdachlosen nach dem Erdbeben leben aktuell noch 350.000 Menschen ohne Dach über dem Kopf – Eine Zahl, die auch schon vor dem Erdbeben existierte.
Sie arbeiten nun seit drei Jahren in Haiti, wie würden Sie die Bedingungen beschreiben unter denen Sie arbeiten?
In dem Beruf als Nothelfer bzw. Projektkoordinator in Krisengebieten zu arbeiten, sollte eine bewusste Entscheidung sein. Neben der Tatsache, dass in der Regel die Familie weit weg ist und man nicht spontan mal mit einem guten Freund ein Bier trinken kann, gibt es tagtäglich viele Dinge, die man beachten muss. Gerade Haiti ist ein Land mit vielen Problemen, wobei wohl die Sicherheit eines der größten ist. Hier, aber auch in anderen Ländereinsätzen wie z.B. in vielen afrikanischen Regionen, muss man immer aufmerksam sein, da die Menschen eine andere Mentalität haben. Auf der anderen Seite ermöglicht mir mein Beruf aber auch, viele neue Länder und ihre Bewohner kennenzulernen. Da ich quasi seit der ersten Stunde nach dem Erdbeben für Help Nothilfe geleistet habe, habe ich hier in drei Jahren viel mit aufgebaut. Haiti und die Projekte die ich hier betreue sind so etwas wie mein Baby, darin steckt viel Arbeit, viel Energie, aber sicher auch mal Frust über die Gesamtsituation im Land.
In drei Jahren haben Sie viel Leid gesehen, wie geht man damit um, ohne selbst zu leiden?
Als ich kurz nach dem Erdbeben durch die Hauptstadt Port-au-Prince fuhr, um mir ein Bild der Lage zu machen, traf ich auf eine junge Frau. Schwer traumatisiert lief sie nackt und verwirrt durch die zerstörten Straßen. Da schießen einem so viele Fragen durch den Kopf: Wie kann ich helfen? Wo finde ich die richtige Hilfe? Was kann ich überhaupt tun? In diesen Momenten fühlt man sich hilflos, weil man auch selber nicht genau weiß, was jetzt das Richtige ist. Grundsätzlich hat man im Umgang mit Leid nur zwei Möglichkeiten: Entweder man stumpft dagegen ab oder man schaut bewusst hin, um irgendeinen Weg mit den richtigen Hilfsmaßnahmen zur richtigen Zeit zu finden. Und es ist wichtig zu erkennen, dass man sicher vielen Menschen helfen kann, aber nicht allen.
Als was für Menschen haben Sie die Haitianer kennen gelernt?
Die Haitianer sind auf jeden Fall ein sehr freundliches und fröhliches Volk. Aufgrund ihrer Geschichte sind sie stolz und selbstbewusst. Aus dieser Historie und vielen Schicksalsschlägen, die das Land in den letzten Jahrhunderten erleben musste, stammt allerdings auch ein relativ großes Gewaltpotential. Die Haitianer scheinen manchmal gleichgültig gegenüber dem Tod zu sein, weil er für sie zu etwas Alltäglichem geworden ist. Im kleinen Rahmen versuchen wir von Help hier ein Umdenken zu bewirken. Unsere 55 lokalen Mitarbeiter trainieren wir daher in Gewaltprävention. Auch in der Hoffnung, dass sie die neuen Wege der Konfliktbewältigung ohne Gewalt, ohne Waffen auch an Freunde und Bekannte weitergeben. Ein Großteil der Bevölkerung hier lebt von nur 2USD am Tag. Wenn sich aber die Lebenssituation bessert, die Zufriedenheit steigt, dann ändert sich auch die Mentalität der Menschen und das Gewaltpotential würde vermutlich auch sinken.
Wie sehen Sie die Zukunft Haitis?
Das Erdbeben war sicher das Schlimmste, was diesem eh schon schwachen Land geschehen konnte. Aber mittlerweile verstehen viele Menschen diese unfassbare Katastrophe auch als Chance für einen besseren Neuanfang, um Haiti auch langfristig zu stärken und weniger angreifbar zu machen. Ganz sicher gibt es viele Hürden, die mir auch alltäglich die Arbeit erschweren und es läuft nicht immer alles rund, wenn wir es mit unserem deutschen Verständnis betrachten. Auch Absprachen auf internationaler Ebene müssen noch verbessert werden. Letztendlich hat Haiti viel zu bieten: Der Tourismus ist zum Beispiel eine große Chance – in den 60ern war Haiti ein sehr beliebtes Reiseziel für Amerikaner, Petit Goâve und Léogâne waren bekannte Badeorte. Haiti kann das schaffen!
Vielen Dank!
Das Interview führte Birte Steigert von Aktion Deutschland Hilft.
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