Haiti im Dezember 2011
Vor einem Jahr beschäftigten uns die Fragen „Wer wird Haitis Präsident - Preval, Manigat oder „Sweet Micky“ (Michel Martelly)? Gab es Wahlbetrug? Und wenn „ja“ - wie wird damit umgegangen? Können die Ausschreitungen bald gestoppt werden? Wie lange wird die Ausgangssperre noch anhalten?
Heute erscheinen diese Fragen in weiter Ferne. Hinsichtlich der Wahl hat das Volk gesiegt. Der Betrug wurde offen gelegt, und in der zweiten Wahlrunde hat der Künstler und Geschäftsmann Michel Martelly gesiegt. Nun ist er bereits seit Mai 2011 als Präsident von Haiti vereidigt. Die Regierungsbildung hat sich - nicht unerwartet – noch bis Oktober 2011 hingezogen, als Dr. Gary Conille als Premierminister ernannt wurde.
So gibt es erst seit Ende Oktober eine Regierung, von der sich die internationale Gemeinschaft Lösungsansätze erhofft zu Themen, die unter den Nägeln brennen - zu weiteren Hilfsmaßnahmen, zu Standards, zum Wiederaufbau, zur Zukunft des Landes.
Auch wenn Antworten auf diese Fragen nicht von heute auf morgen parat stehen, wenn es vieler Diskussionen bedarf, wenn viele Meinungen und Ratschläge gehört werden wollen und müssen, so kann ich aus meiner Perspektive als Mitarbeiterin eines deutschen Hilfsbündnisses doch feststellen, dass dies weit mehr ist, als wir uns im letzten Jahr erhofft haben. Denn es gab Augenblicke, in denen für uns in Haiti bis hin zu einem Bürgerkrieg fast alles denkbar war.
Anders - ganz anders als erwartet fahre ich heute mit dem Wagen am Place St. Pierre entlang und traue meinen Augen kaum…
Dort wo vor einigen Monaten noch Zelte standen, in denen mehr als 500 Familien fast wie selbstverständlich in Notunterkünften gelebt haben – in provisorischen Behausungen, die zum Stadtbild gehörten - steht jetzt plötzlich ein Weihnachtsmarkt. Hätte mir vor nur vier Monaten jemand mitgeteilt, dass diese Flüchtlingsbehausungen im Dezember gegen einen Weihnachtsmarkt ausgetauscht werden, ich hätte es für einen schlechten Scherz gehalten.
Dennoch: Die Notunterkünfte gibt es nicht mehr, stattdessen stehen hier nun weiße Pavillons, in denen es haitianisches Handwerk und auch Essen zu kaufen gibt. Kinder malen Bilder und basteln. Zudem schmückt an einer Seite ein Rondell den Platz. Ein Rondell, das mit Rasen und Blumen bepflanzt wurde, und ein Brunnen, aus dem abends sogar Wasser plätschert. In der Mitte des Place St. Pierre steht ein etwa vier Meter hoher Weihnachtsbaum – handgefertigt aus Holzplatten und bemalt mit Weihnachtskugeln. Aus Riesenlautsprechern dröhnen haitianische Versionen von Weihnachtsliedern. Weihnachten in Haiti! Ein Stück Normalität in einem Land, das immer wieder mit Katastrophenmeldungen in der Presse erscheint. In diesem Stadtteil von Port au Prince, in Petionville, scheint es ein wenig von dem zu geben, was wir als normal bezeichnen würden.
Zwar ist der Place St. Pierre umzäunt mit Maschendraht, Eintritt zu dem Markt wird jedoch nicht verlangt, und so sieht man auch die Schulkinder in ihren Uniformen zur Mittagszeit über den Markt schlendern. Der Markt ist offen für jedermann. Auch das stimmt positiv, denn es ist nicht selbstverständlich in Haiti und lässt hoffen, dass dieser kleine Schritt in eine gute Richtung weist.
Nur ein kleiner Schritt, der Hoffnung zu geben vermag? In einem Land, in dem auch heute noch über 500.000 Menschen Notunterkünften leben, und in dem es an noch tragbaren Konzepten für eine Zukunft des Landes fehlt. Nicht nur, aber wohl auch deshalb wird eben dieser Weihnachtsmarkt sehr kontrovers diskutiert. Es gibt Stimmen, die meinen, dass erst einmal der Rest des Landes funktionieren soll, bis es Anlass dazu gibt aufzufahren und Geld zu verschleudern für einen Markt, in einem der seit jeher besten Gegenden von Port au Prince.
Gespalten – so ist auch meine Stimmung, wenn ich an Haiti denke. Hier in der Sonne der Karibik, die jeden Tag wieder und wieder scheint wie gemalt, kann man an manchen Tagen zu der Auffassung kommen, es sei doch alles nicht so arg.
Wenn ich mir jedoch das „CIA - World Factbook“ zu Haiti anschaue und dort lese , dass 80 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze und von weniger als zwei US-Dollar pro Tag leben, dann erscheint meine Hoffnung auf Besserung für Haiti eher irreal und naiv – getäuscht von der ungetrübten Sonne.
„Lava pafasile“ (Das Leben ist nicht einfach!) entspricht dem Alltag hier.
Viele Hilfsorganisationen ziehen mittlerweile wieder ab, da die Nothilfephase beendet ist. Man könnte meinen: „Endlich! Die NGO´s ziehen ab – die Nothilfephase ist also vorbei – wird ja auch mal Zeit!“ Das stimmt, aber die Armut in vielen Gebieten Haitis ist sicherlich ebenso groß ist wie vor dem Beben und vor der Cholera.
Haiti zwei Jahre nach dem Beben – es wurde viel geschafft in den letzten zwei Jahren seit dem Beben. In einem Land wie Haiti fällt es nur leider nicht so sehr ins Gewicht, denn hier gibt es noch immense Aufgaben. Aber ich konnte miterleben, wie unsere Mitgliedsorganisationen tausende Häuser gebaut haben – sog. Übergangshäuser – die aber nicht nur einen Übergang für die Haitianer darstellen, sondern ein neues Zuhause bedeuten. Schulen wurden gebaut in den Städten aber auch in entlegensten Gebieten auf dem Land und feierlich eingeweiht. Es wurden Kliniken und Gesundheitszentren errichtet, sanitäre Anlagen aufgebaut und die Wasserversorgung gesichert. Und es gab und gibt Ausbildungen in den unterschiedlichsten Bereichen, z. B. Medizin, Handwerk und Technik.
Gerade deshalb hat für mich der Weihnachtsmarkt auch symbolischen Charakter – ein Schritt in eine Richtung, die diesem Land vielleicht die Hoffnung gibt, die es so sehr braucht.
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