Schwieriger Wiedereinstieg ins Lernen für hunderttausende Kinder
In Sierra Leone schultern rund 1,7 Millionen Kinder heute zum ersten Mal seit neun Monaten wieder ihre Schultaschen und kehren in die wegen der Ebola-Epidemie verlassenen Klassenzimmer zurück. „Die Wiedereröffnung der Schulen ist ein Moment der Hoffnung, und doch ist sie nur der Anfang eines wahrscheinlich Monate andauernden Prozesses“, kommentiert Caroline Klein von der Kinderhilfsorganisation World Vision die Entscheidung der Regierung in Sierra Leone.
Die in Freetown praktizierende Ärztin Alison Schafer beobachtet zwiespältige Reaktionen auf die Nachricht. „Die meisten Kinder sind begeistert darüber, wieder zur Schule gehen zu können, nachdem sie so lange untätig zuhause bleiben mussten. Aber viele haben auch Angst“, berichtet die auf psychosoziale Hilfe spezialisierte World Vision-Mitarbeiterin. „Die Furcht vor einer Ebola-Ansteckung im Klassenraum scheint bei ihnen aber geringer zu sein als ihre Sorgen darüber, ob sie alles Gelernte vergessen haben und das Versäumte aufholen können.“
Nach Angaben der Regierung haben 8617 Kinder einen oder beide Elternteile durch die Krankheit verloren. Letztlich seien jedoch alle Schulkinder in Sierra Leone von den Auswirkungen der Ebola-Epidemie betroffen, sagt Schafer. „Jetzt geht es darum, ein Lernumfeld zu schaffen, in dem die Kinder sich sicher fühlen und ihre Gefühle ausdrücken können über das, was sie erlebt haben“.
Vor allem sei es wichtig, Lehrer mit Kenntnissen auszustatten, um den Kindern die Rückkehr zu erleichtern. Schafer gehört zu den Co-Autorinnen eines Handbuchs, das das Bildungsministerium Lehrern im ganzen Land zur Verfügung stellt. Darin wird gezeigt, wie man Stressanzeichen bei Kindern erkennen und damit umgehen kann - mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Reizbarkeit und Hyperaktivität zum Beispiel. World Vision hat mehr als 1000 Lehrerinnen und Lehrer darin geschult, Kinder mit psychischen Schwierigkeiten zu unterstützen.
Doch nicht überall im Land können Schulen wieder öffnen. Zum Höhepunkt der Ebolakrise wurden viele der Gebäude als Behandlungszentren genutzt und müssen jetzt erst einmal desinfiziert und neu ausgestattet werden. „Wir sind vorsichtig optimistisch, dass der Großteil der Schulen heute die Tore öffnet. Das wäre ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zur Regeneration nach Ebola“, sagt Projektkoordinatorin Caroline Klein. „Doch es gibt noch viel zu tun, bis alle Klassenzimmer im ganzen Land wieder sichere Lernorte für Kinder sind“.
World Vision Deutschland unterstützt die Wiederaufnahme des Unterrichts unter anderem mit Handwaschstationen, Seifen und Infrarot-Thermometern für die Schulen, denn Hygiene und Information sind wichtige Pfeiler im Kampf gegen Ebola. Außerdem stellt die internationale Kinderhilfsorganisation rund 58.000 Patenkindern Bücher, Schuluniformen und Arbeitsmaterial zur Verfügung, damit sie wieder in den Schulalltag zurückfinden können.
Die Regierung von Sierra Leone setzt für die nächsten zwei Jahre die Schulgebühren aus, um den Kindern die Rückkehr zu erleichtern. Schafer ist dennoch besorgt, dass einige von ihnen niemals wieder zur Schule zurückfinden könnten. „Viele Kinder haben in den letzten Monaten zu arbeiten angefangen. Sie verkaufen Holz, jobben. Es wird schwer, gerade für die ärmeren Familien, auf dieses noch so kleine Einkommen zu verzichten, das ihre Kinder besteuern. Das betrifft vor allem die Mädchen. Wir müssen uns stark dafür machen, dass diese Kinder wieder zur Schule gehen können“.
In den vergangenen Monaten hat World Vision in Sierra Leone den Schulunterricht via Radio unterstützt, Aufklärungsmaßnahmen und Hausbesuche in 25 Projektgebieten durchgeführt, in sechs Distrikten vorbeugende Gesundheitsaufklärung durchgeführt und den Einsatz von Beerdigungsteams koordiniert. Bislang ist kein World Vision-Patenkind an Ebola erkrankt.
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