Welche Folgen wird das Corona-Virus in Ländern haben, deren Gesundheitssysteme weniger stabil sind als das in Deutschland? Wieso sind Ausgangsbeschränkungen für Menschen im globalen Süden häufig eine besonders große Herausforderung? Und wieso ist es wichtig, diese Menschen, andere Krankheiten und Krisenherde jetzt nicht zu vernachlässigen?
Antworten auf diese und weitere Fragen gibt Professor Dr. David Stadelmann, Inhaber des Lehrstuhls für Entwicklungsökonomie an der Universität Bayreuth.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf Entwicklungs- und Schwellenländer?
In zahlreichen Entwicklungsländern liegt die Wirtschaftsleistung pro Einwohner bei einem Bruchteil der Wirtschaftsleistung von Industrieländern. Daher stehen dort viel weniger finanzielle und technische Ressourcen für das Gesundheitssystem zur Verfügung. Das ist ein großes Problem. Die Pandemie wird die Länder sehr hart treffen – aber vermutlich weniger hart als die reichen.
Warum?
COVID-19 scheint vor allem für ältere Menschen gefährlich zu sein. Aufgrund einer leider immer noch deutlich niedrigeren Lebenserwartung, einer hohen Fertilität und einem kleineren Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung, könnte Corona im globalen Süden weniger Menschen treffen als hierzulande.
Es mangelt dort jedoch seit Jahren massiv an Ressourcen im Gesundheitswesen, weshalb Menschen nur beschränkt in Krankenhäusern behandelt werden können. Da finanzielle Ressourcen sehr knapp sind, sollten im Kampf gegen Corona möglichst keine anderen Krankheiten oder Probleme vernachlässigt werden.
Sie fürchten also, dass Corona andere Probleme verdrängt, zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent?
Viele Menschen in Afrika leiden unter Krankheiten, die zahlreiche Tote fordern und zu schweren sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen führen. Alleine Malaria fordert jährlich Hunderttausende Tote, vor allem Kinder.
Ausgangsbeschränkungen treffen arme Menschen besonders hart, denn sie müssen sich ihr Einkommen Tag für Tag erarbeiten. Gesetzliche Maßnahmen könnten – als sekundäre Effekte der Pandemie – in Afrika also eine größere Rolle spielen als die gesundheitlichen Konsequenzen.
In vielen afrikanischen Ländern herrschen schwierige politische Rahmenbedingungen. Sprich: Die Regierenden stellen die Bedürfnisse der Bürger nicht in den Mittelpunkt ihres Handelns. Durch die jetzt notwendigen Einschränkungen könnte versucht werden, die seit 1990 erreichten Demokratisierungsprozesse dauerhaft zurückzudrehen. Das hätte schlimme gesamtgesellschaftliche Folgen.
Wie können internationale Organisationen diese Länder jetzt unterstützen?
Wegen der Reisebeschränkungen ist derzeit vieles schwierig. Die Organisationen müssen darauf achten, bei der Bekämpfung von Corona mit Augenmaß und Rationalität vorzugehen. Es gilt mehr denn je, darauf hinzuweisen, den Menschen in den Mittelpunkt der Politik zu stellen.
In manchen Ländern des globalen Südens kann das bedeuten, die wenigen vorhandenen Ressourcen nicht nur in den Kampf gegen Corona zu stecken. Es ist wichtig, darauf zu achten, dass Ausgangsperren und Isolationsmaßnahmen nicht vor allem jene treffen, die täglich um ihr Überleben kämpfen.
Warum ist es wichtig, diese Länder bei der Bekämpfung der Pandemie jetzt zu unterstützen?
Große und relevante Probleme mit Herz anzuschauen, heißt, sie rational anzuschauen. Ich denke nicht, dass es nur darum gehen darf, die Länder bei der Bekämpfung der Pandemie zu unterstützen. Dass Beatmungsgeräte und Ärzteteams aus Industrielstaaten jetzt in arme Länder geschickt werden, ist unrealistisch.
Die Bürger in armen Ländern sind ständig von so vielen verschiedenen Problemen gleichzeitig betroffen. Mit Ressourcen, die hierzulande im Überfluss existieren, könnte man Erleichterung in Bereichen schaffen, die nichts direkt mit COVID-19 zu tun haben. Eine derartige Solidarität ist realistisch und wäre wünschenswert.
Wenn in Industrieländern die Produktion heruntergefahren wird, hat das sicher ökonomische Auswirkungen auf die Länder, die am Anfang der Produktionskette stehen. Was erwarten Sie diesbezüglich?
Das betrifft insbesondere die Schwellenländer, die systematisch und stark in unsere Produktion integriert sind. Durch die Einschränkung der Produktion bei uns wird auch dort die Produktion zurückgefahren. Für viele afrikanische Länder ist das weniger relevant, da sie nicht so stark wie asiatische Länder in weltweite Produktionsketten eingebunden sind.
Erwarten Sie, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie vergleichbar mit 2008 oder schlimmer sind?
Südkorea scheint zu zeigen, dass ein funktionierendes Gemeinwesen mit solchen Krisen umgehen kann, ohne massive Einschränkungen wie in China durchsetzen zu müssen. Auch die meisten europäischen Länder und die USA verfügen über solide Grundstrukturen.
Natürlich bricht wegen der restriktiven Maßnahmen derzeit die Wirtschaftsaktivität ein. Aber ich gehe noch davon aus, dass dies ein zeitlich beschränktes Phänomen ist. Die Übergangsphase ist nun zu bewältigen. Menschen, die bereits immun gegen Corona sind, werden eine zentrale Rolle spielen, die Pandemie und ihre Folgen zu überwinden.
Trotzdem dürften die wirtschaftlichen Konsequenzen schwerwiegender sein als in 2008. Hoffnung geben unsere wirtschaftlichen Strukturen und grundlegende Rahmenbedingungen wie Rechtsstaatlichkeit.
Viele nehmen die Pandemie zum Anlass, Globalisierung und weltweiten Handel in Frage zu stellen. Ist das berechtigt?
Nein. Eher das Gegenteil sollte der Fall sein. Globalisierung und Handel haben zu unserem enormen Wohlstand beigetragen. Deshalb können wir uns eine bessere Gesundheitsversorgung leisten als die Länder, die weniger im Weltmarkt integriert sind.
Es wird daher keine zentrale Rolle spielen, in welchem Land die ersten funktionierenden Behandlungen oder ein Impfstoff gegen COVID-19 gefunden werden, weil wir uns dank unserer wirtschaftlichen Stärke diese Behandlungen leisten können. Dank unserer Offenheit profitieren wir von den Innovationen anderer, können deren Erfindungen und Gesundheitsprodukte importieren.
Als Lehre aus diesen Auswirkungen: Müssten Märkte stärker reguliert oder freier werden?
Infektionskrankheiten haben immer gesamtgesellschaftliche Lösungsstrategien erfordert. Unternehmen können diese unterstützen. Je mehr wirtschaftliche Ressourcen wir zur Verfügung haben, desto besser können wir Krisen angehen. Genau deshalb war es so wichtig, trotz wirtschaftlich guter Zeiten in der Vergangenheit die Staatsausgaben im Griff zu halten – das Geld ist jetzt in der Krise vorhanden.
Eine flexible und freie Soziale Marktwirtschaft ist ein sehr verlässlicher Lieferant von Wohlstand, positiven Entwicklungen im Gesundheitswesen und anderen gesellschaftlichen Bereichen. So erleichtert uns die enorme technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte das Leben selbst in Quarantäne: Dank enormer Entwicklung von Telekommunikationstechnologien ist für viele Menschen Homeoffice mögich. Teile der Wirtschaft und Verwaltung können weiterhin arbeiten, während die Infektionskurve abflacht. Und wir können unsere Liebsten weiterhin hören und sehen und damit einander unterstützen. Vor 20 Jahren wäre das undenkbar gewesen.
Prof. Dr. David Stadelmann hat den Lehrstuhl für Entwicklungsökonomie inne und ist Mitglied des Exzellenzclusters "Africa Multiple" an der Universität Bayreuth. Er beschäftigt sich insbesondere mit Fragestellungen zu Wirtschaftswachstum, ökonomischer Entwicklung und politischer Ökonomie. Aus seiner Sicht trifft die Corona-Pandemie aufgrund der Altersstruktur die hochentwickelten Industrienationen wohl härter als die Entwicklungsländer, könnte dort aber von drängenden Problemen ablenken und manche verstärken.
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