von Aktion Deutschland Hilft/action medeor
Die Zahl der Kranken in Afrika steigt, Kliniken und Ärzte sind überlastet: In vielen Ländern des Kontinents trifft das Coronavirus auf schlecht vorbereitete Gesundheitssysteme.
Doch die großen Probleme liegen anderswo, sagt Sid Peruvemba. Im Interview erklärt der Experte von action medeor, wie sich die Lage entwickeln könnte und wie sich die Pandemie auf die humanitäre Hilfe auswirkt.
action medeor: Herr Peruvemba, wie ist die Corona-Lage in Afrika derzeit?
Sid Peruvemba: Die katastrophalen Ausbrüche des Coronavirus, die man in Afrika befürchtet hat, sind bislang ausgeblieben. Warum das so ist, weiß man noch nicht sicher. Es gibt keine gesicherte Datenlage, weil viel weniger Test-Kapazitäten vorhanden sind als beispielsweise bei uns.
Experten sagen unterschiedliche Entwicklungen voraus – warum?
Weil es unterschiedliche Faktoren gibt, die für und gegen eine Ausbreitung des Virus sprechen. Einerseits hat der afrikanische Kontinent eine sehr junge Bevölkerung und viele afrikanische Staaten haben sehr früh mit Lockdowns und Kontrollen reagiert. Außerdem sind die Menschen weniger mobil und reisen weniger als beispielsweise in Europa. Das alles trägt sicherlich dazu bei, die Ausbreitung des Virus zu hemmen.
Andererseits leben die Menschen oft auf engem Raum zusammen, viele leiden unter Vorerkrankungen und Mangelernährung, haben keinen Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung oder können sich einen Arzt nicht leisten. Daher bleibt Corona in meinen Augen auch in Afrika weiterhin eine Gefahr.
Wirkt sich die Corona-Pandemie in Afrika also momentan gar nicht so schlimm aus?
Nein, im Gegenteil: Die Menschen in Afrika, vor allem in Subsahara-Afrika, leiden spürbar unter der weltweiten Corona-Pandemie. Allerdings treffen sie die Folgen des globalen Lockdowns derzeit deutlich stärker als das Virus selbst. Das hat schlimme Folgen.
Welche Folgen haben die Lockdowns denn in Afrika?
Durch die Lockdowns funktionieren die Warenströme und Versorgungsketten nicht mehr. Die Menschen verlieren ihre Existenzgrundlage; gleichzeitig steigen die Preise für Lebensmittel und Medikamente. Wir merken bereits jetzt, dass Hunger und Krankheiten sich weiter ausbreiten.
Hinzu kommen weitere Probleme: Heuschreckenschwärme, Überschwemmungen, Dürre. Corona beeinflusst natürlich auch die Hilfsmaßnahmen gegen diese Katastrophen.
Hat das auch Auswirkungen auf die humanitäre Hilfe?
Ja, natürlich. Es sind zum Beispiel Ernährungs- und Gesundheitsprogramme heruntergefahren oder unterbrochen worden, weil keine Schutzausrüstung für das Gesundheitspersonal vorhanden war.
Wir befürchten inzwischen wieder einen Anstieg von Krankheiten wie Malaria, HIV/Aids oder Tuberkulose, bei deren Bekämpfung wir in den vergangenen Jahren durchaus Erfolge vorweisen konnten.
Und unlängst haben die Vereinten Nationen davor gewarnt, dass durch die Pandemie die weltweite Mangelernährung wieder auf einen Höchststand klettern kann. Es wird befürchtet, dass durch die wirtschaftlichen Folgen von Corona jeden Monat weitere 10.000 Kinder weltweit sterben könnten, mehr als die Hälfte davon allein in Subsahara-Afrika.
Wie treten Sie und Ihre Partner bei Aktion Deutschland Hilft dem entgegen?
Wir versuchen nach Kräften, unsere bisherigen Hilfsprogramme auch unter Corona-Bedingungen aufrecht zu erhalten. Wir ergänzen diese Programme natürlich durch Hygienevorkehrungen und Schutzmaßnahmen gegen Corona. Und wir hören nicht auf, den Menschen in Not zu helfen, wo es geht.
action medeor ist vorwiegend im Gesundheitsbereich tätig. Wie ordnen Sie die Corona-Pandemie im Vergleich zu anderen Krankheiten ein?
Corona hat die Welt im Griff. Aber in Entwicklungsländern sterben nach wie vor 2,6 Millionen Menschen jedes Jahr an Tuberkulose, HIV/Aids und Malaria. Das bedeutet, dass allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres mehr als 850.000 Menschen an diesen behandelbaren Krankheiten gestorben sind – fast fünfmal so viele wie im gleichen Zeitraum an COVID-19. Es ist wichtig, dass wir diese Probleme nicht aus dem Auge verlieren.
Sid Peruvemba ist seit 1990 in der internationalen Zusammenarbeit tätig. Er arbeitete unter anderen beim Malteser Hilfsdienst und bei Malteser International. Seit 2019 ist er im Vorstand von Aktion Deutschland Hilft; seit 2020 zusätzlich im Vorstand von action medeor. Das Interview entstand in Zusammenarbeit von action medeor und Aktion Deutschland Hilft.
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