Auslandshelfer des Bündnisses werden laufend professionell betreut
„Gemeinsam schneller helfen“, „Hilfe im Paket“, „Wir helfen hier und jetzt“, „Menschen helfen weltweit“ oder „Hilfe braucht Ideen“ – Aktion Deutschland Hilft und viele der Mitgliedsorganisationen machen mit Slogans auf sich aufmerksam, die „Hilfe“ oder „helfen“ enthalten. Kein Wunder, die Kernaufgabe der Mitarbeiter besteht nun einmal darin, in Not geratenen Menschen tatkräftig beizustehen. Was aber, wenn die Helfer selber Hilfe brauchen? Wenn sie in einem Krisengebiet massiv mit Tod und Verletzung, Trauer und Zerstörung, Gewalt und Gefährdung konfrontiert sind?
Die entsetzlichen Bilder bleiben auch nach der Rückkehr in die Heimat im Kopf der Helferinnen und Helfer. Die Empfindungen hinterlassen Spuren in der Psyche, die lange über das Erlebte hinaus bleiben können. Diese außergewöhnlichen Belastungen verlangen deshalb eine fachkundige Begleitung während und nach Beendigung des Einsatzes. Und auch bereits vor einem Einsatz kann einiges getan werden, um die Helfer psychisch auf das, was kommen kann, vorzubereiten.
Die Vorbereitung
Bonnland ist ein hübsches Dorf mitten in Unterfranken. Fachwerkhaus reiht sich an Fachwerkhaus, die Idylle ist wie gemalt. Gäbe es da nicht einen Haken: Aus Bonnland sind sämtliche Bewohner längst weggezogen. Der Ort ist ein reines Übungsdorf, das von einem großen Übungsgelände der Bundeswehr umgeben
ist. Doch nicht nur Soldaten trainieren hier für den Ernstfall, auch Not- und Entwicklungshelfer absolvieren in Bonnland Übungen, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind.
„Wir schicken schon seit vielen Jahren unsere Mitarbeiter zum UN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr“, sagt Iris Manner von World Vision. „Unsere Hilfseinsätze führen uns oft genug in Länder mit äußerst fragilen Sicherheitslagen.“ So hat das internationale Kinderhilfswerk gerade ein neues Projekt für ehemalige Kindersoldaten im Ost-Kongo gestartet, wo immer noch zahlreiche Milizen aktiv sind und schwer bewaffnet auf Raubzüge gehen. Manner: „Wir müssen psychisch auf Extremsituationen wie Anschläge, Überfälle, Kidnappings oder Schussverletzungen vorbereitet sein – und wir müssen wissen, wie man sich im Ernstfall zu verhalten hat.“
Realitätsnah werden entsprechende Szenarien nachgestellt; die Helfer wissen nie, was als nächstes auf sie zukommt. Nach jeder Übung wird Bilanz gezogen, wobei der Ausbilder immer Klartext spricht. Was ist gut gelaufen? Wobei hat man sich falsch verhalten und dabei sich und womöglich auch andere in Gefahr gebracht? Im Lauf der fünftägigen Ausbildung werden den Helfern verschiedenste Minen gezeigt, Fesseln und Augenbinden angelegt; sie werden an illegalen Checkpoints schikaniert und müssen mit Warlords verhandeln. Unter der ständigen Bedrohung durch Rebellen müssen sie ein Flüchtlingslager organisieren, verletzte Menschen retten und Evakuierungsmaßnahmen einleiten. „Das Training ist ausgesprochen hart und intensiv“, sagt Iris Manner. „Doch während der realen Hilfseinsätze denkt man dann oft genug an die Zeit in Bonnland zurück – und beherzigt viele Ratschläge oder Vorsichtsmaßnahmen.“
Während des Einsatzes
Januar 2010. Haiti. Schon die Fernsehbilder, die von den apokalyptischen Ausmaßen des Erdbebens zeugen, sind kaum zu ertragen: Leichenberge, verstümmelte Menschen, schreiende Kinder. Nicole Bergmann reist kurz nach der Katastrophe für AWO International ins Land, um die Nothilfe zu koordinieren. Sie trifft auf viele Kollegen der Bündnispartner ADRA, arche noVa, Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Help und Malteser: „Natürlich haben wir uns an den Abenden zusammen gesetzt und über das Gesehene und Erlebte gesprochen, aber – ganz ehrlich – eigentlich viel zu wenig, weil man nach so einem Arbeitstag meist derart erschöpft ist, dass man gar nicht mehr reden kann.“ Und Worte fassen könne man das Gesehene ohnehin kaum.
Der ASB schickt sogenannte First Assistance Samaritan Teams (FAST) in Auslandseinsätze. Die Teams bestehen aus speziell ausgebildeten Helfern, die in Deutschland meist im Rettungsdienst tätig sind und an Bilder von Schwerverletzten gewöhnt sind. Nach Erdbeben, Wirbelstürmen oder gar kriegerischen Auseinandersetzungen herrschen jedoch häufig schwierigste Bedingungen, unter denen Amputationen durchgeführt oder gar Schussverletzungen behandelt werden müssen. „Beim FAST übernimmt der jeweilige Einsatzleiter die Aufgabe der psychosozialen Betreuung der Helfer“, sagt Marion Michels vom ASB. „Während des Einsatzes führt er tägliche Gesprächsrunden, bei denen sich die Teammitglieder über belastende Erfahrungen austauschen können.“ Dadurch könne der Einsatzstress verringert und die Arbeitsfähigkeit aufrechterhalten werden. „Gegebenenfalls werden einzelne Helfer bei zu großer psychischer Belastung aus der akuten Situation herausgezogen.“
Nicole Bergmann hat in Haiti genau diese Situation erlebt: „Eine junge und unerfahrene Krankenschwester, die für eine kleinere deutsche Hilfsorganisation unterwegs war, hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten. Mein Kollege und ich haben sie zunächst bei uns einquartiert, um sie wieder aufzubauen – und letztlich haben wir auch dafür gesorgt, dass sie mit dem nächsten Flieger zurück nach Deutschland reisen konnte.“
Die Malteser stehen ihren Auslandshelfern rund um die Uhr zur Seite: „Wir haben eine Telefon-Hotline, die grundsätzlich 24 Stunden am Tag besetzt ist“, sagt Sören Petry, Leiter der Psychosozialen Notfallversorgung bei den Maltesern. „Diese wurde auch von zweien unserer Haiti-Helfer genutzt. Die Kollegen sind zuvor Augenzeugen eines blutigen Anschlags geworden.“
Die Nachsorge
Nach dem Einsatz gilt es, den Übergang zurück in die Normalität zu gewährleisten – mit professioneller Unterstützung. „Wir empfangen unsere Auslandshelfer bereits bei ihrer Ankunft am Frankfurter Flughafen“, sagt Knut Fischer, Bundespfarrer der Johanniter. „Dann fahren wir gemeinsam in unseren Regionalverband Rhein/Main, wo sich die Mitarbeiter duschen können und etwas zu essen bekommen. Gemeinsam mit einem Seelsorger sprechen wir dann über die gemachten Erfahrungen.“ Und gerade im Fall jenes Erkundungsteams der Johanniter, das unmittelbar nach dem Beben in Haiti unterwegs gewesen ist, waren die Erfahrungen beispiellos drastisch. Fischer: „Immer wieder kam die Rede auf den Leichengeruch, der in der Luft lag. Besonders schwer war es für unsere Mitarbeiter zudem, im Einzelfall nicht sofort helfen zu können, da man nun mal zunächst wichtige Informationen über den Gesamtbedarf einholen musste.“ Später wird die psychologische Nachsorge bei einem Helfer-Wochenende in Berlin noch einmal vertieft. Im Mittelpunkt stehen dann Reflexionsrunden mit Seelsorgern sowie bestimmte Formen der Andacht und der Meditation.
Der ASB verfährt ähnlich: Die FAST-Teams werden direkt nach den Einsätzen zu einer Nachbesprechung mit ausgebildeten Fachkräften eingeladen. Sie erhalten erneut die Möglichkeit zum Austausch, werden über potentiell auftretende Symptome aufgeklärt und erhalten Angebote zur Stressverarbeitung. Auch die Malteser kümmern sich im Bedarfsfall intensiv um ihre Mitarbeiter: Bereits am Flughafen werden ihnen Gesprächsangebote unterbreitet. Sören Petry: „Die Erfahrungen, die unser erstes Team in Haiti gesammelt hatte, konnten wir dann gleich an einen Mitarbeiter weitergeben, der im Anschluss ins Land geflogen ist. So war er gut gewappnet.“
Natürlich verarbeitet jeder Mensch die Erlebnisse auf seine Weise; niemand ist verpflichtet, die Angebote der Organisationen wahrzunehmen. Manche können besser, andere weniger gut über stressvolle Situationen sprechen und Emotionen ausdrücken. Wichtig ist, dass die Frauen und Männer eines wissen: Bei Bedarf wird den Helfern geholfen.
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