Seit 20 Jahren sind die Rechte von Mädchen und Jungen in der UN-Kinderrechtskonvention verankert.
Welche Bedeutung hat die Konvention in der Humanitären Hilfe? Wie werden Hilfsorganisationen den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen in Krisengebieten wie dem Jemen gerecht? Und was kann getan werden, um die Gleichberechtigung von Mädchen zu stärken?
Kai Gehring, Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages, hat zu diesen Themen mit Christoph Waffenschmidt, Aufsichtsrat von Aktion Deutschland Hilft und Vorstand von World Vision Deutschland, gesprochen.
Kai Gehring: In diesen Tagen feiern wir den 30. Jahrestag der UN-Kinderrechtskonvention. Welche Bedeutung hat die Konvention mit den darin verbrieften Rechten für Ihre Arbeit?
Christoph Waffenschmidt: Die UN-Kinderechtskonvention hat in internationales Recht gefasst, woran wir glauben und was uns antreibt: dass jedes Kind auf der Welt es verdient hat, in Freiheit, Frieden und Würde aufzuwachsen, außerdem mit Respekt behandelt, vor Gewalt geschützt und gefördert zu werden – als eigene Persönlichkeit wie als junges Mitglied einer Gesellschaft. Dadurch haben wir einen anerkannten Referenzrahmen, um konkrete Maßnahmen zum Wohl der Kinder politisch einzufordern, aber auch selbst mit unserer Arbeit einen wirksamen Beitrag zu leisten.
Auf dem Fundament der Konvention und mit unserer fast 70-jährigen Projekterfahrung arbeiten wir jeden Tag daran, den Kindern zu ihren Rechten zu verhelfen. Dadurch bekommen zum Beispiel immer mehr Mädchen und Jungen Zugang zu sauberem Wasser, Gesundheitsvorsorge und Bildung sowie Unterstützung durch ein für Kinderrechte sensibilisiertes Umfeld.
Wir legen auch großen Wert auf das Empowerment der Kinder, damit sie selbst ihre Probleme vorbringen und aktiv Veränderungen mitgestalten können. Stellt man sicher, dass die Kinderrechte in die Realität umgesetzt werden, hat man eine fast ganzheitliche Perspektive auf die positive Entwicklung der Kinder. Ich sage "fast", da wir das Recht der Kinder auf eine unversehrte Umwelt bisher in der UN-Konvention und deren Umsetzung vermissen. In dieser Hinsicht ist die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung fortschrittlicher, aber deren Umsetzung ist für Kinder nicht einklagbar.
Vor den größten Herausforderungen stehen wir in fragilen Kontexten und in Konfliktgebieten. Dort leben zum Beispiel die meisten von Bildung ausgeschlossenen Kinder. Nicht nur weil Schulen unter Beschuss geraten oder nicht mehr zugänglich sind, sondern weil in einer Krise Bildung oft nicht als überlebensnotwendig angesehen wird. Auch Kindern ohne Staatsangehörigkeit wie den Kindern der Rohingya, wird Bildung neben vielen anderen Rechten verwehrt. Die Rechte sind aber universal und gelten für alle Kontexte. Auch ein Kind in einem Konfliktgebiet hat ein Recht auf Bildung.
Humanitäre Hilfe ist zeitlich begrenzt und steht oft unter dem Druck akuter Notlagen. Wie schaffen Sie es, dabei die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen angemessen zu berücksichtigen?
Mit unserer jahrzehntelangen Erfahrung verstehen wir immer besser, welche besonderen Risiken und Hilfsbedürfnisse in unterschiedlichen Krisen für die ärmsten und verletzlichsten Menschen – einschließlich der Kinder und Jugendlichen – entstehen. Dieses Wissen wenden wir nicht nur in den eigenen Projekten an, sondern geben es auch weiter. Aktion Deutschland Hilft fördert diesen Know-How-Transfer übrigens innerhalb des Bündnisses und darüber hinaus.
Was oft vergessen wird: Wenn Kinder großem Stress, Not und vielleicht auch Gewalterfahrungen ausgesetzt sind, ist es insbesondere wichtig, dass ihr Recht auf Spiel und Freizeit umgesetzt wird. Kinderfreundliche Spiel-oder Lernorte geben Kindern einen Halt und haben einen positiven, stabilisierenden Einfluss auf ihr Wohlbefinden. Manche Krisen erfordern darüber hinaus individuelle Hilfe, die durch ein Fallmanagement in der Humanitären Hilfe angeboten wird. Auch die elterliche Fürsorge ist als Recht verankert. Daher beteiligen wir uns auch an Anstrengungen zur Familien-Zusammenführung. Je mehr kinderspezifische Ansätze angeboten werden, desto besser kann man auf die besonderen Bedürfnisse und Rechte von Kindern eingehen.
Wir vergrößern unsere eigenen Handlungsmöglichkeiten dadurch, dass wir zusammen mit Partnern gefährdete Familien und Gemeinschaften möglichst schon vor einer akuten Notlage über Risiken aufklären bzw. mit ihnen gemeinsam Vorsorge-Pläne entwickeln. Das kann man bei einer absehbaren Sturm-oder Flutkatastrophe genauso machen wie bei der Einrichtung eines Flüchtlingslagers oder bei einer Nahrungskrise.
Gute lokale Hilfsstrukturen aufzubauen, hat die nachhaltigsten Effekte. Dazu haben wir in der Entwicklungszusammenarbeit und in der Übergangshilfe nach einer akuten Notlage sicherlich die besten Möglichkeiten, aber wir können in allen Phasen Wege finden, auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen einzugehen – vor allem, wenn wir sie selbst einbeziehen. Es ist uns wichtig, ihnen dabei auf Augenhöhe zu begegnen und ihre eigenen Ideen ernst zu nehmen.
Wie hat sich die Unterstützung für Mädchen und junge Frauen in humanitären Krisen in den letzten Jahren geändert? Gibt es dafür besonders erfolgreiche Beispiele?
Es wird stärker berücksichtigt, dass Mädchen und Frauen in den meisten Gesellschaften zwar viele soziale Aufgaben wahrnehmen, aber nicht gleichberechtigt behandelt werden und daher auch in Krisen gezielt angesprochen und gestärkt werden müssen. Ein guter Ansatz ist heute zum Beispiel, Frauen bei der Organisation der Hilfe mit Entscheidungs- und Führungsaufgaben zu betrauen oder ihnen gezielt Ausbildungs- und Verdienstmöglichkeiten zu verschaffen.
Besser wahrgenommen, dokumentiert und berücksichtigt wird die Gefahr zunehmender geschlechtsspezifischer Gewalt und Ausbeutung in Krisen. Verschiedene Richtlinien und Standards, an denen auch World Vision mitgearbeitet hat, unterstreichen die Verantwortung aller Akteure der humanitären Hilfe, das gewaltige Ausmaß des Problems anzuerkennen und Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Menschen, vor allem Mädchen und Frauen, wie auch zur Unterstützung der Betroffenen zu ergreifen. Auch wenn diese Arbeit einiger Spezialisten und mancher Spezialprojekte bedarf – etwa zur Veränderung von Einstellungen gegenüber Mädchen und Frauen, müssen Schutzmaßnahmen in allen Bereichen und Phasen der Humanitären Hilfe mitgeplant werden. Das schließt strenge Safeguarding-Maßnahmen bei den Organisationen selbst ein, um zu verhindern, dass das Machtgefälle zwischen Hilfsorganisationen und Hilfeempfängern ausgenutzt wird.
Wir machen gute Erfahrungen mit Ansätzen, die sich sowohl direkt an die Frauen und Mädchen als auch an deren gesellschaftliches Umfeld richten und die dabei auch anerkannte "Hüter und Hüterinnen von Werten" einbeziehen.
Wie versuchen Sie in Ihren Projekten, den Bedrohungen des Kinderhandels und der Kinderprostitution entgegenzuwirken?
Wo es uns möglich ist, versuchen wir an den Wurzeln dieser Bedrohungen anzusetzen: mittellosen Familien eine Lebensgrundlage zu verschaffen oder ihnen zu helfen, eine Krise zu überstehen. Gleichzeitig beobachten und analysieren wir gemeinsam mit Ortskundigen, wo es konkreten Schutzbedarf für die Kinder gibt und welche vorhandenen staatlichen oder nicht-staatlichen Schutzmechanismen mit unserer Hilfe gestärkt werden können. Häufig sind Aufklärungs-und Trainingsmaßnahmen damit verbunden. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden außerdem darin geschult, dafür zu sorgen, dass unsere Präsenz weder Kinder noch Erwachsene in Gefahr bringt. Sie sind u.a. verpflichtet, die Projektbeteiligten über ihre Rechte aufzuklären und auf Beschwerde-Möglichkeiten hinzuweisen sowie Vorfälle zu melden.
In aktuellen Konflikten wie im Jemen wird rücksichtslos auch gegen Kinder und Jugendliche vorgegangen. Welche Möglichkeiten sehen sie angesichts der katastrophalen Lage, ihr Leid zu lindern?
Wir rufen im politischen Umfeld unermüdlich dazu auf, Kampfhandlungen durch zivile Konflikt-Lösungen zu ersetzen, weil den Kindern damit am meisten geholfen wäre. Wo es uns möglich ist, versuchen wir den leidenden Menschen nah zu sein und ihnen Hoffnung zu geben. Andernfalls helfen wir durch Partner. Wir handeln nach den humanitären Prinzipien, diese sind: Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Neutralität.
Aktion Deutschland Hilft ermöglicht uns, auf die Grundbedürfnisse von Kindern, wie Zugang zu Nahrung, Wasser oder ein Mindestmaß an Schutz und medizinischer Versorgung einzugehen. Geflüchteten Kindern bieten wir sichere Orte zum Spielen an oder ermöglichen ihnen Zugang zu Bildung. Wir versuchen ihnen Möglichkeiten zur Entfaltung zu bieten, die physisch wie psychisch heilend und stärkend wirken. Es ist äußerst wichtig, dem Grauen etwas entgegen zu setzen und Hoffnung am Leben zu erhalten. Dies gilt für alle Länder, Jemen eingeschlossen.
+++ Spendenaufruf +++
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