Herr Hansen, Sie sind Abteilungsleiter Asien und Haiti von Malteser International. Neben der direkten Hilfe nach einer Katastrophe ergreifen die Malteser bereits im Vorfeld extremer Naturereignisse wichtige Maßnahmen der Katastrophenvorsorge. Was kann man unter Katastrophenvorsorge im Allgemeinen verstehen?
Katastrophenvorsorge dient letztendlich der Schadensminimierung. Wenn Menschen auf eine bevorstehende Naturkatastrophe vorbereitet sind, ist der Schaden in der Regel geringer. Je nach Studie rechnet man da in unterschiedlichen Größenverhältnissen von eins zu zwei bis eins zu sieben. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass 1 Euro, der in Katastrophenvorsorge investiert wird, den Schaden um zwei bis sieben Euro reduziert.
Katastrophenvorsorge versucht also, Menschen in katastrophengefährdeten Gebieten bestmöglich auf einen Katastrophenfall vorzubereiten und somit die oft verheerenden Folgen einer Katastrophe möglichst gering zu halten. Was sind denn konkrete Maßnahmen der Katastrophenvorsorge?
Das Wichtigste ist, dass die Menschen sich selber organisatorisch vorbereiten, das heißt, dass alle Kräfte, die im Falle einer Katastrophe zum Einsatz kommen sollen – das wären hier in Deutschland beispielsweise Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste oder etwa das Technische Hilfswerk, und ähnliche Strukturen gibt es oft auch in anderen Ländern – sich gut aufeinander abstimmen und einen entsprechenden Einsatzplan haben. Diese organisatorischen Dinge sind eigentlich das Essentielle.
Hinzu kommt, dass die eventuell betroffene Bevölkerung ebenfalls überhaupt das Bewusstsein bekommt, dass es von Vorteil ist, sich vorzubereiten. Das Wichtigste überhaupt ist meist, Evakuierungspläne zu kennen und auch einzuüben. Die Malteser und andere Organisationen üben mit der Bevölkerung in katastrophengefährdeten Gebieten das richtige Verhalten im Katastrophenfall.
Darüber hinaus gibt es auch Maßnahmen, die zur Reduzierung des eventuellen Schadens beitragen können. Beispielsweise kann man bei Fluten in Gebirgsregionen, die durch Sturzbäche, Hochwasser oder Ähnliches ausgelöst werden können, die Schäden begrenzen, indem man an den Flüssen gewisse Schutzverbauungen errichtet, damit die Häuser nicht von den anschwellenden Gebirgsbächen weggerissen werden, wie wir das zum Beispiel in Pakistan gesehen haben. Auch Dämme können gebaut werden, Häuser durch entsprechende Baumaßnahmen erdbebensicherer gemacht und gegen starke Stürme geschützt werden. Das gehört ebenfalls mit zur Katastrophenvorsorge, das ist dann eher die technische Seite.
In Ichinoseki in Japan wird demnächst das Kinderheim „Fujinosono“ neu gebaut, nachdem das alte Heim von dem verheerenden Erdbeben extrem beschädigt wurde und im Falle eines erneuten Bebens nicht mehr sicher ist. Werden auch hier Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge getroffen und wie sehen diese konkret aus?
Ja, weil u.a. die betroffenen Kinder des Heimes sich nicht ausreichend vorbereitet fühlten. Sie mussten in den ersten Wochen nach dem Beben unter ganz erbärmlichen Umständen in einer Turnhalle auf dem Boden schlafen, ständig in Angst, dass auch diese Turnhalle einstürzen könnte. Gleichzeitig existierte keine Stromversorgung – womit in dem Land bisher klassischerweise geheizt wurde – und auch keine stabile Wasserversorgung, sodass also die hygienischen Umstände sehr schlecht und die Temperaturen so niedrig waren, dass einfach keine wirklich gesunde Atmosphäre für die Kinder existierte. Daraus hat der Trägerverein des Kinderheims gelernt und sich zum Ziel gesetzt, für zukünftige Fälle dieser Art vorzusorgen. Unterstützt von Malteser International will dieser nun das neue Gebäude erdbebensicherer, energieeffizient und mit eigener regenerativer Stromversorgung und eigener Wassernotreserve bauen. Das Kinderheim wird kann dadurch auch für 120 Menschen aus der Gemeinde als eines der Evakuierungszentren und insbesondere für Menschen mit Behinderungen dienen. Die städtische Behörde ist darüber sehr glücklich.
In welchen anderen Gebieten der Welt sind die Malteser derzeit im Bereich der Katastrophenvorsorge aktiv?
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge in allen Regionen zu treffen, in denen wir mit besonders starken und zahlreichen Naturkatastrophen zu rechnen haben. Asien ist gewissermaßen der Hotspot der Naturkatastrophen, gerade um den Feuerring um den Pazifik herum gibt es regelmäßig Erdbeben, Tsunamis und auch Vulkanausbrüche. Allein in dieser Region um Indonesien bis hin nach Myanmar entlang der thailändischen Küste, wo 2004 die verheerende Tsunamikatastrophe war, haben wir seit einiger Zeit bereits entsprechende Katastrophenvorsorgeprojekte.
Auch in Indien haben wir mit entsprechenden Partnern Projekte umgesetzt und in Pakistan, wo es 2005 das Erdbeben gab. Die Regierungen in der ganzen Region haben eigentlich erst nach diesen großen Katastrophen selber das Bewusstsein bekommen, mehr tun zu müssen und entsprechend auch mit den Hilfsorganisationen zusammenzuarbeiten.
Darüber hinaus haben wir auch in Haiti, was auch erdbebengefährdet gelagert ist und gleichzeitig von vielen Hurrikans heimgesucht wird, die immer wieder zu Verwüstungen führen, das Thema Katastrophenvorsorge aufgegriffen und entsprechende Projekte inzwischen in der Implementierung.
Sieht Katastrophenvorsorge denn in allen Regionen gleich aus oder sind die Maßnahmen von Region zu Region unterschiedlich?
Der grundlegende Ansatz ist eigentlich zunächst einmal gleich, wir sprechen von gemeindebasierter Katastrophenvorsorge und im Englischen von „community based disaster risk reduction and management“. Wir setzen immer bei den Gemeinden an, das heißt, wir versuchen die Gemeinden zu organisieren und zunächst einmal nicht nur zu informieren, sondern auch zu sensibilisieren, damit sie die Katastrophenvorsorge als wichtiges Thema für sich selber und für die ganze Dorfgemeinschaft betrachten.
Es werden dann Komitees gewählt, die bestimmte Aufgaben bekommen. So gibt es etwa Komitees zur Rettung, zur Ersten Hilfe, zur Bergung von Verletzten und Ähnliches. Einige Komitees kümmern sich speziell um Behinderte, andere übernehmen die Aufgabe, sich im Katastrophenfall um die Kinder zu kümmern, das ist also ein richtiges Dorfprojekt.
Daran setzen wir an, aber wir beziehen gleichzeitig auch die Regierung mit ein, die eigentlich offiziell ja dafür zuständig ist und verknüpfen sozusagen die Gemeindeebene mit der Regierungsebene, die meistens entweder bei der Städtischen Behörde oder bei einer Distriktsbehörde liegt. Durch internationale Experten bilden wir diese Behörden in der Katastrophenvorsorge weiter.
Gibt es Fälle, in denen man von einem „Erfolg“ Ihrer Arbeit sprechen kann, mit anderen Worten, hat die Katastrophenvorsorge bereits Wirkung gezeigt?
Ja. Wir haben beispielsweise in Nordindien an der Grenze zu Nepal eine Bevölkerung mit einem Frühwarnsystem – das unter anderem auch von Aktion Deutschland Hilft mitfinanziert wurde – versorgt. Gleichzeitig haben wir die Bevölkerung wie eben beschrieben auf den Katastrophenfall vorbereitet und die Menschen dazu motiviert, sich Boote zu bauen. Mit Mitteln der Europäischen Union haben wir auch einige größere Rettungsboote zur Verfügung gestellt. Seitdem das Projekt im Jahr 2008 und 2009 umgesetzt wurde, gab es zwei größere Fluten in der Region.
In beiden Fällen wurden die Katastrophenvorsorgekomitees alle aktiv, das Frühwarnsystem hat funktioniert. Die Leute konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, und auch das Vieh und die wichtigsten Güter ins Trockene bringen, bevor die Flut kam. Sehr erfolgreich waren aber auch die höhergelegten Wasserzapfstellen, wo die Boote in Flutsituationen anlegen und die Bewohner sich dann immer noch sauberes Trinkwasser pumpen konnten. Das System wurde von der Regierung als Modell anerkannt und von ihr in Nachbardistrikten verbreitet. Damit haben wir einer Bevölkerung von etwa 18.000 Menschen das Leben in der katastrophengefährdeten Region deutlich erleichtert.
Ein weiteres Projekt ist ein Erdbebenvorwarnsystem, das in Deutschland entwickelt worden ist. Es reagiert auf die ersten Wellen von Erdbeben, die wir als Menschen selber nicht wahrnehmen können, die aber zum Beispiel Tiere wahrnehmen können. Diese Wellen werden von dem Gerät gemessen und ein Alarm wird ausgelöst. Es handelt sich zwar nur um einige Sekunden, bis dann die zerstörerische Hauptschockwelle kommt, aber diese reichen häufig schon aus, damit die Leute, wenn sie vorbereitet sind, entsprechend reagieren und sich aus den Häusern oder anderweitig in Schutz begeben können. Dieses Erdbebenvorwarnsystem haben wir in Pakistan schon sehr erfolgreich implementiert und testen es jetzt auch in Haiti und Indonesien.
Gibt es etwas, dass Ihnen im Bereich der Katastrophenvorsorge besonders am Herzen liegt, gibt es einen Bereich in dem man die Vorsorge noch weiter verstärken sollte?
Ein Bereich ist einfach noch offensichtlich: Es gibt immer noch zu wenige Verbindungen zwischen den Regierungsinstitutionen, die für den Bereich Rettung und Katastrophenvorsorge zuständig sind, und der Bevölkerung in den Dörfern. Wir haben das jetzt auf den Philippinen wieder gesehen, es gibt zwar seit 2010 ein Gesetz, aber die Philippinen sind sehr groß, es gibt viele Inseln, es ist natürlich bis heute noch nicht in voller Breite umgesetzt worden.
Es dauert sicherlich noch einige, vielleicht noch über zehn Jahre, bis in den Ländern, die zwar jetzt die Ideen haben, die Projekte richtig umgesetzt wurden. Insbesondere die Kommunikation zwischen Regierungsseite und der Bevölkerung muss noch besser funktionieren.
Häufig wird dann, wenn die staatlichen Seiten die Projekte durchführen, die Bevölkerung ganz unten in den Dörfern vergessen. Und das ist eben auch die Rolle von Nichtregierungsorganisationen wie den Maltesern und anderer Mitgliedsorganisationen von Aktion Deutschland Hilft, die Brücke zwischen den Projekten auf der unteren Ebene bis hin zur nationalen Ebene zu schlagen.
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