von Aktion Deutschland Hilft
Die Weltklimakonferenz von Glasgow ist vor wenigen Tagen zu Ende gegangen. Die einen sind enttäuscht und verbittert nach Hause gefahren – die anderen sprechen von einem historischen Moment.
Klimaforscher Mojib Latif, Botschafter von Aktion Deutschland Hilft, teilt im Interview seine Sicht auf die Ergebnisse der COP26. Der 67-Jährige hat klare Forderungen an die Politik. Und diese beziehen sich sowohl auf die Klimakrise als auch die aktuelle Corona-Lage in Deutschland.
Aktion Deutschland Hilft: Die Meinungen zum Erfolg der COP26 gehen auseinander. Greta Thunberg fasst die Konferenz mit "Bla bla bla" zusammen. Die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze hingegen sagt, die Ergebnisse brächten eine deutliche Beschleunigung für den Klimaschutz. Wie sehen Sie das, Herr Latif?
Mojib Latif: Ich kann sehr gut nachvollziehen, was Greta Thunberg sagt. Das war jetzt die 26. Weltklimakonferenz und anhand der Daten kann ich nicht erkennen, dass sich etwas tut. Auch 2021 steigt der Treibhausgasausstoß wieder, nachdem er 2020 wegen des Locksdowns etwas zurückgegangen war. Das reicht nicht, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen und die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen.
Ich kann aber auch die andere Position verstehen. Was Frau Schulze meint, ist, dass das Thema dank der Konferenz wieder in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit und der Weltwirtschaft gerückt wird. Dahinter steht mehr eine Hoffnung als Daten, die sich tatsächlich belegen lassen.
Was hätten Sie sich vom Klimagipfel in Glasgow erhofft?
Ich kritisiere an den Klimakonferenzen die schwammigen Formulierungen, die alle Optionen offenlassen. Aktuelles Beispiel ist die Kohle. Es wird kein Ausstieg gefordert, stattdessen sollen die Staaten "ihre Bemühungen verstärken", schrittweise aus der Kohle auszusteigen. Das ist so windelweich. Ein klarer Appell zum Ausstieg wäre immerhin ein deutliches Signal gewesen. Denn wir haben nicht mehr so fürchterlich viel Zeit.
Was meinen Sie damit?
Wenn wir über die nächsten zehn Jahre so viel CO2 ausstoßen wie heute, hätten wir die 1,5 Grad schon gerissen. Das Gebot der Stunde müsste sein, dass der globale Ausstoß von Treibhausgasen sofort beginnt zu sinken. Doch die Politik hat noch nicht so richtig begriffen, dass man mit der Natur nicht verhandeln kann.
Das geht mit Corona übrigens auch nicht. Wenn wir dem Virus die Möglichkeit geben, sich auszubreiten, dann tut es das. Und wenn wir weiter Treibhausgase in die Luft blasen, erwärmt sich die Erde immer mehr. Das sind einfache naturwissenschaftliche Zusammenhänge. Doch ich habe das Gefühl, dass sie vielen Teilen der Gesellschaft und Politik nicht klar sind.
Wie viel muss denn noch passieren, bis eine Bremse gezogen wird?
Ich glaube, sowohl beim Klimawandel als auch COVID-19 haben wir es teilweise mit Verdrängung zu tun. Wir können nicht sagen, wir seien gut durch die Pandemie gekommen – bei fast 100.000 Toten. Nach der Flutkatastrophe im Sommer, die fast 200 Leben gefordert hat, kann man nicht sagen, die Auswirkungen seien nicht schon dramatisch.
Was das Klima betrifft, sind wir auf dem Weg, den "Wohlfühlbereich" zu verlassen. Ich bin jetzt 67 Jahre alt und habe in den vergangenen 20, 30 Jahren einige Jahrhundertfluten erlebt. Dazu kommen Hitzewellen, das Waldsterben – davor darf man die Augen nicht mehr verschließen! Aber die Politik scheint alle Zeit der Welt zu haben.
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Tuvalu's foreign minister has given a speech to the United Nations climate conference in Glasgow (#COP26) standing knee-deep in seawater to show how his low-lying Pacific island nation is on the front line of climate change https://t.co/tpypOvaVOp 1/5 pic.twitter.com/Eha8rLzv0L
— Reuters Science News (@ReutersScience) November 9, 2021
Der Außenminister des Inselstaats Tuvalu stand bei seiner Rede zum Weltklimatag knietief im Wasser, um auf die steigenden Meeresspiegel aufmerksam zu machen. Indiens Umweltminister betont das Recht von Entwicklungs- und Schwellenländern, fossile Brennstoffe zu verwenden – diesen haben die Industrienationen schließlich ihren Wohlstand zu verdanken. Wie kann man bei diesen unterschiedlichen Positionen zueinander finden?
Ich verstehe, dass es schwer ist, sich bei einer Klimakonferenz mit fast 200 Ländern zu einigen. Ärmere Länder haben jedes Recht, unzufrieden sein. Sie leiden ganz besonders unter den klimatischen Veränderungen. Sie müssen sich außerdem vor den Veränderungen schützen können und das kostet viel Geld.
Die Industrienationen sind Hauptverursacher des Klimawandels, daher ist es angemessen, dass sie ärmere Länder unterstützen. Trotz dieser historischen Verantwortung weigern sie sich, die gemachten Zusagen einzuhalten. Dabei ist das eine Frage der globalen Gerechtigkeit.
Man kann Entwicklungs- und Schwellenländern den Wunsch nach Wohlstand nicht verwehren. Doch wenn wir wollen, dass sie es "sauber" machen, müssen wir sie dazu in die Lage versetzen. Es braucht einen Geldtopf, der Anpassungen an den Klimawandel finanziert und einen weiteren, der nachhaltige Entwicklungen und neue Technologien fördert. Ich fordere schon lange eine Allianz der Willigen, in der sich Länder wie Deutschland, die EU und die USA zusammenschließen und vorangehen. So hätten wir die Chance, gemeinsam politischen Druck auf die Blockierer aufzubauen.
Sie machen seit so vielen Jahren auf die Auswirkungen der globalen Erderwärmung und die Dringlichkeit von rechtzeitigen Maßnahmen aufmerksam. Was motiviert sie, weiterzumachen?
Das Klima ist einfach viel zu wichtig, als dass ich aufgeben könnte. Und es gibt Hoffnungsschimmer.
- Weltweit ist der CO2-Ausstoß seit 1990 um 60 Prozent gestiegen. In Deutschland ist er im gleichen Zeitraum um ungefähr 40 Prozent gesunken – und uns geht es gut! Ich hoffe, dass das viele Länder zum Nachahmen motivieren wird.
- Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Teile des Klimaschutzgesetzes der Bundesregierung im April für verfassungswidrig erklärte. Auch in anderen Ländern gibt es Urteile, die in diese Richtung gehen. Beispielsweise wurde in den Niederlanden der Mineralölkonzern Shell zur Senkung der Treibhausgase verurteilt. Es gibt immer mehr Konsens, dass wir die Probleme nicht länger vor uns herschieben und auf nachfolgende Generationen abwälzen können. Und dass es Gerechtigkeit geben muss: zwischen Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens, zwischen Arm und Reich, Jung und Alt.
- Fridays for Future und dass weitere Teile der Bevölkerung nicht mehr bereit sind, die bisherige Klimapolitik hinzunehmen.
Als Autor zahlreicher Bücher, Klimaforscher, Hochschullehrer und Person der Öffentlichkeit setzt sich Prof. Dr. Mojib Latif seit Jahrzehnten für ein Umdenken in der Gesellschaft ein und warnt vor den dramatischen Folgen des Klimawandels. Latif forscht am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und lehrt an der Universität Kiel.
Außerdem unterstützt Herr Latif Aktion Deutschland Hilft als Botschafte, auf die Bedeutung von Katastrophenvorsorge aufmerksam zu machen.
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