"Katastrophen treffen arme und benachteiligte Menschen besonders hart. Wir erklären potentiell Betroffenen, wie sie sich selbst im Katastrophenfall schützen und anderen helfen können. Dafür bilden wir Freiwillige aus und unterstützen Dörfer dabei, gemeinsame Vorsorgemaßnahmen umzusetzen: mit der Erstellung von Notfallplänen und Frühwarnsystemen, der Anschaffung von Rettungsbooten und Feuerlöschern und mit Erste Hilfe- und Schwimmkursen. So retten wir Leben."
Felix Neuhaus von unserer Bündnisorganisation AWO International. Er ist Experte für Katastrophenvorsorge und den Schwerpunkt Freiwilligen- und Zusammenarbeit.
Im Interview spricht er darüber, wie Katastrophenvorsorge in Ländern wir den Philippinen und Guatemala funktioniert und wieso Netzwerken dabei wichtig ist.
Aktion Deutschland Hilft: Neben akuter Nothilfe setzen viele Organisationen in unserem Bündnis, darunter auch AWO International, vermehrt Projekte zur Katastrophenvorsorge um. Warum ist Katastrophenvorsorge eine sinnvolle Ergänzung zur Nothilfe?
Felix Neuhaus: Katastrophenvorsorge trägt zur Selbsthilfe bei, kann die Folgen von Katastrophen maßgeblich minimieren und Menschenleben retten. Ein Beispiel: Als der Tropensturm Haiyan im Jahr 2013 über die Philippinen zog, starben mehr als 6.000 Menschen.
Seitdem wurden auf den Philippinen von staatlicher und zivilgesellschaftlicher Seite große Anstrengungen unternommen, um Behörden und Bevölkerung besser auf Katastrophen vorzubereiten. Als am 1. und 2. November 2020 Taifun Goni, der stärkste Tropensturm seit Haiyan, über das Land zog, starben weniger als 100 Menschen; eine Million Menschen wurde im Vorfeld evakuiert.
AWO International ist bereits seit 2014 in der Katastrophenprävention aktiv. Was macht nach Ihrer Erfahrung wirksame Vorsorgeprojekte aus?
Eine große Rolle spielt dabei Netzwerkarbeit. Staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure müssen in die Projektarbeit einbezogen werden, eine breite Akzeptanz für die Vorsorgemaßnahmen zu schaffen, schnelle Kommunikation zu ermöglichen und lokale Unterstützung im Notfall zu erhalten. Auch die Zusammenarbeit mit den Medien ist elementar, um möglichst viele Menschen im Notfall zu erreichen.
Außerdem ist es wichtig, soziale Strukturen in Gemeinden nachhaltig aufzubauen und zu stärken. Das gelingt zum Beispiel durch Katastrophenvorsorge-Gruppen, die Risiken bewerten, Notfallpläne ausarbeiten und die geplanten Maßnahmen entsprechend umsetzen. Um die Nachhaltigkeit der Projekte zu sichern, achten wir beim Aufbau von Katastrophenvorsorge-Strukturen zudem auf ausreichend lange Projektlaufzeiten und setzen auf die Ausbildung der lokalen Bevölkerung, die auch nach Projektende im Zielgebiet lebt und ihr Wissen weiterhin nutzen und verbreiten kann.
Welche Rolle spielt der Klimawandel im Zusammenhang mit Katastrophenvorsorge?
Der Klimawandel ist ein schleichender Prozess und wird oft nicht als "klassische Katastrophe" wahrgenommen. Die Bedeutung nimmt in unserer Projektarbeit aber stark zu, denn die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels bringen Menschen an den Rand ihrer Existenz. Grundwasserspiegel sinken, Brunnen versiegen, traditionelle Sorten in der Landwirtschaft haben Schwierigkeiten sich den neuen klimatischen Bedingungen anzupassen, Ernten werden durch extreme Wetterereignisse vernichtet – sprich: Der eigene Grund und Boden reicht oft nicht mehr aus, um die Familie zu ernähren.
"Vorsorge kann die Lebensbedingungen vieler Menschen signifikant verbessern"
Katastrophenvorsorgemaßnahmen können die Lebensbedingungen vieler Menschen signifikant verbessern und sie widerstandsfähiger gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels machen. Besonders wichtig ist der Aufbau von Frühwarnsystemen. In Indien konnten wir beispielsweise ein Informationssystem für die Vorhersage von Wetter und außergewöhnlichen Wetterereignissen für die Landwirtschaft installieren. Die Menschen dort wurden über SMS mit regelmäßigen Wetterberichten versorgt und erhielten Updates und Warnungen.
Auf dieser Basis haben sich Landwirte auf nahende Katastrophen vorbereitet und konnten sich abzeichnenden Dürren etwa durch trockenresistenteres Saatgut entgegenwirken. Guatemala gehört zu den am stärksten durch Katastrophen und den Klimawandel gefährdeten Ländern der Welt.
Welchen Risiken ist die Bevölkerung dort ausgesetzt?
In Zentralamerika stoßen zwei große tektonischen Platten aufeinander, was zu häufigen Erdbeben führt. Das letzte, von dem auch Guatemala betroffen war, liegt nur drei Jahre zurück. Außerdem gibt es in Guatemala über 200 Vulkane, von denen viele aktiv sind. Als am 3. Juni 2018 der Vulkan Fuego ausbrach, waren 1,7 Millionen Menschen in drei Bundesstaaten betroffen.
Neben den Gefahren aus dem Erdinneren sind es vor allem extreme Wetterereignisse, die dem Land zu schaffen machen. Dürren in der pazifischen Küstenregion, eisige Winde und Hagelstürme in den Höhenlagen, aber auch tropische Wirbelstürme aus der Karibik, die zu großen Überschwemmungen führen können.
Mit welchen Vorsorgemaßnahmen unterstützt AWO International die Bevölkerung dort?
In Guatemala setzen wir seit vielen Jahren inklusive Hilfsprojekte um, die auf Familien mit Menschen mit Behinderung abzielen. Bei diesen Projekten erarbeiten wir gemeinsam mit den Menschen unter anderem Risikokarten, erstellen inklusive Notfallpläne und stellen Notfallequipment zur Verfügung.
Lebensrettende Vorbereitung für Haushalte mit behinderten Familienmitgliedern
So besitzen am Fuße von Vulkanen lebende Haushalte mit behinderten Familienmitgliedern sogenannte Go-Bags. Das sind Rucksäcke mit Dokumenten, Erste-Hilfe Material und anderen lebenswichtigen Utensilien, die im Ernstfall immer griffbereit sind und den Menschen helfen, sich und ihre Angehörigen schnell in Sicherheit zu bringen. Wenn es gelingt, das Jubiläumsprojekt zur inklusiven Katastrophenvorsorge zu realisieren, können wir mit all dem weitermachen.
Worin bestehen die größten Herausforderungen bei der Umsetzung von Vorsorgeprojekten?
Unsere größte Herausforderung ist die Finanzierung. Der Bedarf ist enorm, doch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit eher gering. Im Kontext der Corona-Krise in Deutschland hat der Virologe Christian Drosten den Satz "There is no glory in prevention" geprägt.
Katastrophenvorsorge verhindert Leid, bevor es geschieht. Helfen Sie uns, zu helfen – jetzt mit Ihrer Spende!
+++ Spendenaufruf +++
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis der Hilfsorganisationen,
bittet um Spenden für die Katastrophenvorsorge:
Stichwort: Katastrophenvorsorge
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