Eine Reporterin des ZDF und zwei Expertinnen der Bündnispartner über Frauen in Krisenregionen
Frau Morawietz, wie haben Sie während Ihrer Reportagereisen die speziellen Notlagen von Frauen wahrgenommen?
Morawietz: Seit dem Jahr 2000 bin ich regelmäßig für meine Redaktion "Mona Lisa" in den Kosovo gefahren. Wir haben über die Nöte der Minderheiten dort berichtet, besonders aber über Roma und Ashkali. In einem der Flüchtlingscamps, das die UN damals als provisorische Unterbringung errichtet hat, leben die Menschen auf dem vergifteten Abraum einer Bleierz-Mine. Schwangere Frauen bringen dort hirngeschädigte Babies zur Welt, Kinder fallen in Ohnmacht. Über 80 Menschen sollen an ihrer Bleivergiftung gestorben sein, man hat sie nie obduziert. Die Verantwortlichkeit wurde damals hin und hergeschoben, und gerade jetzt, wo der Kosovo unabhängig geworden ist, geht dieses Prozedere weiter. Die Frauen der Roma-Familien leiden unter der Bleivergiftung, unter wirtschaftlicher Not und auch unter Gewalttätigkeiten der eigenen Männer.
Für die allermeisten Medien ist das Thema Kosovo inzwischen abgehakt...
Morawietz: Das stimmt. Und für die Verantwortlichen, so scheint es, auch. Dabei müsste im konkreten Fall sicher zunächst mal die komplette Evakuierung stattfinden, aber die scheitert seit Jahren an finanziellen Möglichkeiten bzw. an fehlenden Ausweichquartieren. Es mangelt auch an einer nachhaltigen Unterstützung und Förderung der Frauen und Mädchen. Zumeist halten die die Familie zusammen, sind aber auch der patriachialischen Ordnung ausgesetzt. Das heißt, Mädchen werden auch zwangsverheiratet, geschlagen und erniedrigt.
Schleicher: Frauen und Kinder werden vollkommen zu Recht als Gruppen wahrgenommen, die unter Krisensituationen, Kriegen und Umweltkatastrophen ganz besonders zu leiden haben und besonderen Schutz bedürfen. Der Opfer-Ansatz greift aber zu kurz. Frauen verfügen über große Potenzen – nicht nur für eine nachhaltige Bewältigung von Krisen, sondern auch für deren Vorbeugung sowie für die Überwindung von Armut und Ungerechtigkeit. In der Regel hängt dies ja alles miteinander zusammen. Es geht deshalb neben dem Schutz, vor allem um die Förderung der Potenzen von Frauen und ihre Wahrnehmung als Partner.
Look: Ich möchte das bisher Gesagte mit einigen Zahlen untermauern: 70 Prozent der 1,4 Milliarden Menschen, die in absoluter Armut leben, sind Frauen. Auch der weibliche Anteil der Analphabeten ist besonders hoch, Zweidrittel aller Analphabeten weltweit sind weiblich. Mädchen und Frauen in Entwicklungsländern sind auch besonders stark gefährdet, tödlich zu erkranken – durch Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt, durch Genitalverstümmelung oder armutsbedingte Krankheiten wie HIV/Aids, Malaria oder Tuberkulose. Dabei haben Frauen und Mädchen das große Potenzial, soziale und wirtschaftliche Veränderungen zu erreichen. Das nutzt schließlich der ganzen Gemeinde. Die Stärkung von Frauen steht daher immer im Mittelpunkt der Arbeit von CARE, damit Frauen und Mädchen ihre Armut überwinden und eine tragende Rolle in der Gesellschaft einnehmen können.
Morawietz: Frauen gehören sicherlich in mehrfacher Hinsicht zu den Hauptleidtragenden von Krisen. Im Krieg sind sie Opfer von Vergewaltigung und Vertreibung, müssen aber auch gleichzeitig für Familie und Kinder sorgen. Oft sind sie auch noch mit kriegstraumatisierten Ehemännern konfrontiert, die wenig Unterstützung bieten können. Kommen Alkoholsucht und wirtschaftliche Not dazu, erleben sie die Gewalt häufig auch innerhalb der Familie.
Frau Look, Frau Schleicher, in welcher Form unterstützen CARE und SODI International schutzbedürftige Frauen?
Look: Wenn Frauen eigenständig Geld verdienen können, verbessert sich die Situation der gesamten Familie. Denn Frauen investieren 90 Prozent ihres Einkommens in die Familie; Männer hingegen geben nur 30 bis 40 Prozent des Gehalts an ihre Familie weiter. Daher unterstützt CARE zum Beispiel in Malawi Frauen und Mädchen mit „Hilfe zur Selbsthilfe“. Das heißt, sie erhalten Saatgut und lernen, wie man Obst und Gemüse ertragreich anbaut und vitaminreich und gesund kocht. Durch Hygienetrainings und den Bau von Sanitäreinrichtungen wird die gesundheitliche Situation der Menschen verbessert. Kleinkreditprogramme ermöglichen den Frauen, eigenständig mit Geld zu haushalten, zu sparen und zu investieren. Mit dem verdienten Geld können sie ihre Kinder besser versorgen und Medikamente und Arztbesuche bezahlen. Nur dadurch, dass die Frauen ihre Familien nachhaltig unterstützen können, wird der Teufelskreis von Armut, Krankheit und Chancenlosigkeit durchbrochen.
Schleicher: Entsprechend unseren Erfahrungen aus der Entwicklungszusammenarbeit bemühen wir uns, auch in unseren Nothilfeprojekten in Sri Lanka und Indien die besonderen Bedürfnisse von Frauen zu berücksichtigen – und sie als eine wichtige Kraft für eine nachhaltige Überwindung der Folgen des Tsunami zu fördern. So werden zum Beispiel in zwei Dörfern in Südindien 220 Frauen zu Eigentümerinnen von Häusern, deren Dächer Zuflucht bei Flutwellen bieten. „Gender-Mainstreaming“ ist in unserer Arbeit inzwischen zu einem durchgängigen Prinzip geworden, seine Durchsetzung gelingt natürlich unterschiedlich gut. Einige Projekte richten sich direkt an Frauen.
Zum Beispiel jenes Projekt, das SODI gemeinsam mit der Vietnamesischen Frauenunion in der Provinz Nghe An entwickelte...
Schleicher: Ganz genau. Dieses Projekt verbindet berufliche Trainingskurse für Frauen mit der Aufklärung über internationales und vietnamesisches Arbeitsrecht sowie über Regelungen zur Gleichstellung der Geschlechter. Frauen – insbesondere auch in entlegenen Bergdörfern – werden über Möglichkeiten beraten, Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten oder ein Kleinstunternehmen zu etablieren. Für Mutige, die diesen Schritt wagen, ist ein Kleinkreditprogramm willkommene "Hilfe zur Selbsthilfe".
Wird auch in Flüchtlingslagern geschlechterspezifisch geholfen?
Look: Ja. Denn 80 Prozent aller Flüchtlinge sind weiblich oder minderjährig und leiden besonders unter den Extremsituationen, denen sie ausgesetzt sind. Beim Aufbau von Flüchtlingslagern, der Verteilung von Hilfsgütern und Trinkwasser und bei medizinischer Hilfe achtet CARE besonders auf die Bedürfnisse von Frauen. Traditionell ist es Aufgabe von Frauen und Mädchen, Wasser oder Feuerholz zu holen. Wenn sie sich dafür jedoch weit von den Flüchtlingslagern entfernen müssen, werden sie zur Zielscheibe von Übergriffen. Durch die Bereitstellung von Trinkwasser und Feuerholz innerhalb der Lager kann man vor solchen Gefahren schützen. Durch den Bau von Sichtschutz an Waschplätzen und Latrinen wird zudem die Privatsphäre von Frauen und Mädchen gewahrt und Übergriffen vorgebeugt. In einigen Ländern wie in Kambodscha oder Kongo, ist sexuelle Gewalt gegen Frauen grausamer Alltag und wird sogar als Kriegswaffe instrumentalisiert. CARE richtet hier Zentren für missbrauchte Frauen und Mädchen ein, in denen sie medizinische Versorgung, eine Chance auf Einkommen und rechtlichen Beistand erhalten.
In welchen Bereichen sehen Sie künftig den dringensten Handlungsbedarf?
Schleicher: Berufliches Training und Einkommensförderung durch Kleinkreditprogramme sind ein traditionelles Feld der Zusammenarbeit mit der Vietnamesischen Frauenunion. Neu ist die Verbindung mit Aufklärung und Beratung. Dies unterstreicht unser gemeinsames Ziel, das geistige und wirtschaftliche Potenzial von Frauen zu stärken und diese zu befähigen, ihre Kreativität, ihre Fähigkeiten und ihre Energie zur Geltung zu bringen. Frauen werden befähigt, gleichberechtigt an der gesellschaftlichen Entwicklung teilzuhaben. Dies ist nicht nur ein ganz entscheidender Beitrag zur Überwindung von Armut, die weltweit zu zwei Dritteln weiblich ist, sondern auch zu einem Mehr an Demokratie in der Gesellschaft.
Look: ...absolut richtig. Auch CARE kämpft gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung und Ausgrenzung von Frauen und Mädchen. Alle Projekte von CARE haben die Gleichstellung von Frauen als Ziel. Das ist eigentlich ein grundlegendes Menschenrecht, wird aber leider zu oft an den Rand gedrängt. Doch ohne gleiche Chancen für Frauen kann die Armut in der Welt nicht besiegt werden.
Morawietz: Mir erscheint das Problem der Nachhaltigkeit als sehr wichtig. Immer wieder habe ich vor Ort erlebt, wie enttäuscht Menschen sind, wenn sich Versprechen nicht einlösen lassen und eine andere Katastrophe das Interesse auf sich zieht. Ich denke, gerade den Bereich Arbeit und Ausbildung bei Frauen und Mädchen gilt es noch viel mehr zu unterstützen. Wirkungsvoll sind natürlich die bereits mehrfach angesprochenen Mikrokredite, die gerade auch die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen anschieben. Sie produzieren ihre eigene Ware, verkaufen sie und sichern so die Existenz der Familie. Ganz selten werden solche Mikrokredite nicht zurückgezahlt. Kleiner Einsatz, große Wirkung – das ist meine Erfahrung.
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